Nach der Parlamentswahl in Bulgarien gibt es Hinweise auf Stimmenkauf und heftige Vorwürfe gegen das politische Establishment.
Parlamentswahl in BulgarienChaos an der Ostflanke der EU
Italienische Verhältnisse – damit wurde in der Vergangenheit das schnelle Scheitern von Regierungen mit häufigen Neuwahlen und schwierigen Koalitionsbildungen bezeichnet. Verglichen mit der Lage in Bulgarien war Italien selbst in den politisch turbulentesten Zeiten geradezu ein Hort der Stabilität: Zum siebten Mal innerhalb von nur dreieinhalb Jahren waren die Menschen in dem südöstlichen EU-Mitgliedsland am vorigen Wochenende zur Parlamentswahl aufgerufen. Mit acht Parteien, die den Sprung über die Vierprozenthürde schafften, dürfte eine Regierungsbildung erneut schwierig werden. Zuletzt führte nach vielen gescheiterten Versuchen eine von Staatspräsident Rumen Radow eingesetzte Technokraten-Regierung die Amtsgeschäfte in Sofia.
Die geringe Wahlbeteiligung von nur 36 Prozent ist ein deutliches Indiz für Ärger und Frustration in der Bevölkerung. Der bulgarische Europa-Abgeordnete Andrey Kovatchev führt darauf auch die Erfolge populistischer Parteien zurück, insbesondere der prorussich-nationalistischen „Wasraschdane“ (Wiedergeburt).
Dem früheren Ministerpräsidenten Boiko Borissow wird Korruption im Amt vorgeworfen
„Bulgarien ist permanent im Wahlkampfmodus, und es gibt im Land eine große Enttäuschung darüber, dass die bürgerlichen Parteien partout keine Einigung hinbekommen, sondern in ständigem Streit miteinander liegen“, sagt auch Norbert Beckmann-Dierkes. Er leitet das Büro der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) in Sofia. „Wir brauchen endlich wieder klare Verhältnisse“, sagt Kovatchev, dessen Familie in Köln lebt. Seine bürgerliche Gerb-Partei hat im Mitte-Rechts-Verbund des dreimaligen Premierministers Boiko Borissow mit der Union der Demokratischen Kräfte (SDS) gut 26 Prozent der Stimmen erreicht. Dahinter landete das liberal-konservative Bündnis PP-DB mit 14 Prozent, gefolgt von sechs weiteren Parteien, unter denen „Wasraschdane“ mit gut 13 Prozent Stimmanteil die stärkste Kraft ist. Mit ihr will allerdings niemand kooperieren.
Die beiden Erstplatzierten verbindet das Bekenntnis zur EU und zur Nato. Doch lehnt die PP-DB Borissow als Regierungschef ab. Ihm wird Korruption im Amt vorgeworfen.
Oligarch Deljan Peewski gilt als Phantom der bulgarischen Politik
Nicht nur Borissow ist eine Reizfigur für viele Bulgaren, sondern auch der Oligarch Deljan Peewski. Er wurde 2009 ins Parlament gewählt. Mit seiner „Bewegung für Rechte und Freiheiten“ (DPS) gilt er als einer der mächtigsten Männer Bulgariens und - wegen der Seltenheit seiner öffentlichen Auftritte zugleich als Phantom der bulgarischen Politik. Von den USA wurde Peewski wegen Korruption und des Missbrauchs öffentlicher Institutionen mit Sanktionen belegt. Kritiker werfen ihm vor, die DPS als einstige Vertretung der türkischen Minderheit für seine Interessen gekapert zu haben. Zuletzt unterstützte er Borissow und die Gerb-Partei – gegen deren erklärten Willen.
Der Spitzenkandidat der erst 2023 gegründeten Partei „Welitschie“ (Größe), der Unternehmer Ivelin Mihailov, prangert mafiöse Strukturen in der Politik seines Landes an. Offen bezichtigt er Borissow und Peewski, gemeinsame Sache zu machen und zum Beispiel an der Einschleusung illegaler Migranten über die türkisch-bulgarische Grenze zu verdienen. Beweise dafür liegen keine vor. Die Sicherung der Außengrenze nennt Mihailov als eine zentrale Aufgabe. Den führenden Parteienbündnissen des Landes wirft er vor, mit ihrer EU- und Nato-freundlichen Haltung eine Art politischer Camouflage zu betreiben. „Gerb-SDS und PP-DB geben sich den Anstrich von Pro-Europäern, um leichter an EU-Gelder heranzukommen“, sagt Mihailov und spricht von „Markenfälschung“. Die Stimmung in der Bevölkerung gegenüber der EU habe sich deshalb längst von fast hundertprozentiger Unterstützung in mehrheitliche Ablehnung, ja „Hass auf die EU“ verwandelt.
Zahlreiche Hinweise auf Wahlfälschung, Manipulation und Stimmenkauf
Norbert Beckmann-Dierkes von der KAS bestreitet das. Er verweist auf einen stabilen Rückhalt in der Bevölkerung für einen westlichen Kurs Bulgariens. Mihailov, der sich nach eigenen Worten für die Freiheit der Märkte und liberales Wirtschaften im Rahmen der EU einsetzt, berichtet auch davon, dass das Büro seiner Partei Ziel eines Brandanschlags geworden und das Ergebnis der Wahl vom 27. Oktober für „Welitschie“ in der Auszählung von 4,5 Prozent bis kurz vor Schluss auf am Ende 3,99 Prozent heruntergerechnet worden sei. Es gebe insgesamt zahlreiche Belege für Wahlfälschung, Manipulation und Stimmenkauf. Tatsächlich fehlen dem politischen Newcomer derzeit ganze 29 Stimmen für den Einzug ins Parlament. Ein Fall für eine Überprüfung, findet Norbert Beckmann-Dierkes.
Eine hohe Wahrscheinlichkeit für gekaufte Stimmen räumt auch Andrey Kovatchev von der Gerb-Partei ein, betont aber das Fehlen schlagender Beweise. Beckmann-Dierkes weist darauf hin, dass das amtliche Endergebnis nicht signifikant von verschiedenen Umfragen vor der Wahl abweiche. Das spreche gegen eine durchschlagende Fälschung. Aus dem Auswärtigen Amt in Berlin hieß es, man vertraue darauf, dass die zuständigen Institutionen ihrer Verantwortung gerecht würden und Hinweise auf Unregelmäßigkeiten im Wahlprozess aufklärten.
Tendenz, das eigene Land schlechtzureden
Den Vorwurf einer kompletten, kriminellen Verfilzung des politischen Betriebs hält der KAS-Büroleiter ebenfalls für unbegründet. Wie alle „Transformationsstaaten“ im Einflussgebiet der früheren Sowjetunion habe auch Bulgarien Probleme mit Korruption, sagt Beckmann-Dierkes. Er verweist aber auch auf Firmenansiedlungen und Investitionen aus dem europäischen Ausland. „Deutsches Geld ist sehr wichtig – und das kommt doch nicht, wenn man befürchten muss, dass es in dunklen Kanälen landet und versickert.“ Es gebe in Bulgarien selbst eine Tendenz, das eigene Land schlechtzureden und aus der Missstimmung in der Bevölkerung politisch Kapital zu schlagen.
Bulgarien sei aber alles andere als ein „failed state“. Öffentliche Verwaltung und Infrastruktur seien intakt. „Ich weiß nicht, wie es in Köln ist. Aber fahren Sie in Sofia mal mit der U-Bahn: Die kommt pünktlich, und in den Bahnhöfen könnten Sie vom Boden essen, so sauber ist es.“ Ein Problem für das öffentliche Leben sei es aber, dass die Kommunen als „Rückgrat“ wegen der gelähmten Parlaments- und Regierungsarbeit in Sofia kein funktionales Gegenüber hätten.
Sollte Peewski allerdings über seine Partei DPS in irgendeiner Form Einfluss auf die Regierungsbildung oder die Arbeit der künftigen politischen Führung Bulgariens erhalten, wäre das nach Beckmann-Dierkes' Auffassung eine Sollbruchstelle. Der Weg zu einer baldigen nächsten Wahl, der dann achten seit 2021, wäre vorgezeichnet. Und das, sagt der Europa-Abgeordnete Andrey Kovatchev, „wäre sehr schlimm“.