Der polnische Botschafter in Deutschland, Dariusz Pawlos, zeigt sich entsetzt über den Rückhalt für Russland in der deutschen Gesellschaft. Der Diplomat fordert die beschleunigte Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine. Polen sei „offen für alles, was der Ukraine hilft“, sagt Pawlos im Interview mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.
Polnischer Botschafter im Interview„Mit dem Bösen verhandelt man nicht“
Herr Botschafter, welche Erwartungen hat Ihr Land mit Blick auf Hilfe für die Ukraine?
Dariusz Pawlos: Polen gehörte von Anfang an zu den stärksten Unterstützern der Ukraine. Kein Wunder, wir sind Nachbarn und wissen, dass die Ukrainer nicht nur für ihre eigene Unabhängigkeit kämpfen, sondern auch für die Freiheit Polens und der gesamten Europäischen Union. Heute ist ein beachtlicher Teil des ukrainischen Territoriums russisch besetzt. Um diese Gebiete zu befreien, braucht die ukrainische Armee auch Offensivwaffen – darunter Kampfpanzer in großer Zahl. In der Ukraine, das ist kein Partisanenkrieg. Man muss eine militärische Macht mit einer Gegenmacht bekämpfen. Und das schleunigst.
Sind die polnischen Panzer denn einsatzfähig? Jüngste Berichte lassen daran zweifeln.
Berichte gibt es viele. Wir haben Panzer in ausreichender Zahl, und das von uns zugesagte Kontingent ist verfügbar. Panzer zuzusagen und sie dann nicht bereitzustellen, wäre doch schizophren. Aber wir wissen auch, die Panzerlieferungen sind ein großes Unterfangen. Übrigens auch logistisch: Die Lieferung der Panzer erfolgt über polnisches Gebiet.
Mangelndes Tempo ist ein Vorwurf, der auch und gerade aus Polen ständig an die Adresse Berlins ging. Gilt das nach wie vor?
Die zögerliche Haltung der Bundesregierung war für uns unverständlich. Entweder hilft man – oder nicht. Man hat unserer Regierung bedeutet, sie solle nicht durch einseitige Vorstöße Druck auf die Bundesregierung ausüben. Das habe man in Berlin nicht so gern. Nun, seit einiger Zeit werden sie von unserem Premier keine Alleingänge mehr vernommen haben, sondern im Gegenteil das Bemühen um eine Verständigung mit Bundeskanzler Olaf Scholz. Aber denken Sie, dass das einfach wäre? Nein, ist es nicht. Wir kriegen keine Termine für die kurze, schnelle Abstimmung. Das ist manchmal enttäuschend. Und klar ist doch auch: Um Bewegungen in Gang zu setzen, braucht es bisweilen den starken Anstoß.
Heute amtiert in Berlin ein anderer Verteidigungsminister als vor einem Jahr. Welche Erwartungen verbinden Sie mit Boris Pistorius?
Ich sehe in diesem Amtswechsel eine große Chance für verbesserte Kontakte zwischen unseren Ländern. Es gab Zeiten, in denen Minister übereinander in den Medien gesprochen haben, aber nicht miteinander. Wir stehen jetzt unmittelbar vor der Münchner Sicherheitskonferenz mit der Teilnahme sowohl unseres Staatspräsidenten als auch unseres Premierministers. Eine so starke Repräsentanz hatten wir dort noch nie. Es wird Beratungen im Weimarer-Dreieck-Format zwischen den Spitzen Deutschlands, Polens und Frankreichs geben. Und ich bin sicher: Daraus werden sehr schnell Entscheidungen folgen.
Auch wegen der zu erwartenden russischen Großoffensive?
Wir müssen darauf vorbereitet sein. Niemand weiß, was die russischen Aggressoren vorhaben. Erinnern Sie sich daran, dass genau vor einem Jahr die Frage erörtert wurde: Werden die Russen angreifen oder nicht? Die verbreitete Annahme war: Das ist nur Säbelrasseln. Das war ein fataler Irrtum, ein Schock für den gesamten Westen. Überrascht waren wir in Polen gleichwohl nicht. Auch deswegen konnten wir die humanitäre Hilfe für die Millionen Flüchtlinge sehr schnell und gut organisiert bewältigen.
Nach der Entscheidung über Kampfpanzer geht es jetzt um Kampfjets. Wo steht Polen in dieser Frage?
Polen ist offen für alles, was der Ukraine hilft. Wir verstehen die Bitte der Ukraine und wären auch bereit, Kampfflugzeuge sowjetischer Bauart zu liefern. Ich betone: wären! Dazu braucht es aber einen gemeinsamen politischen Willen der Nato-Partner und eine mutige Entscheidung.
Ein „Friedensmanifest“ von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht, unterdessen unterzeichnet von mehr als 450.000 Menschen, warnt vor einer Eskalation des Krieges und fordert statt Waffenlieferungen Verhandlungen. Das müsste Ihnen als Diplomat einleuchten.
Mir will nicht in den Kopf, was einige in Deutschland sich unter Verhandlungen vorzustellen scheinen. Aktionen wie dieses Manifest helfen allein Putin. Natürlich gibt es grundsätzlich die Chance von Verhandlungen – aber nicht zu russischen Bedingungen. Verhandlungen jetzt würden nur den Status Quo befestigen, und das ist weder für die Ukraine noch für den Westen insgesamt hinnehmbar. Deshalb ist die Unterstützung, die Russland in Deutschland – auch in diesem Manifest - erfährt, für uns völlig unbegreiflich. Wir sind enttäuscht und entsetzt über den Riss, der hier offenkundig durch die deutsche Gesellschaft geht.
Vielleicht hat sie – besser als andere – die Lektion der Geschichte gelernt: Nie wieder Krieg!
Damit wir uns recht verstehen. Militärisch angegriffen ist derzeit allein die Ukraine. Aber seinen Krieg führt Russland doch längst auch gegen andere Staaten, auch gegen Polen und Deutschland – mit hybriden Desinformationskampagnen im Internet, mit Cyber-Attacken auf Unternehmen, auf unsere Kommunikationswege. Im Lichte dessen müssen wir uns fragen: Nehmen wir das hin? Oder setzen wir uns nach Kräften zur Wehr?
Aber kann die Ukraine militärisch gewinnen?
Schauen Sie sich die ukrainische Landkarte an: Die angeblich haushoch überlegene Militärmacht Russland hat es binnen einen Jahres nicht vermocht, die vermeintlich schwache Ukraine zu besetzen. Der Westen hat das Potenzial, die Ukraine militärisch so zu unterstützen, dass sie gewinnen kann. Dass sie am Tropf der Nato hängt, war von Anfang an klar. Die einzige offene Frage lautet also, wie stark der Zufluss der militärischen Unterstützung ausfällt.
Der wohl bedeutendste deutsche Intellektuelle, der Philosoph Jürgen Habermas, gibt aktuell zu bedenken, dass es eine für Putin „gesichtswahrende Lösung“ geben müsse.
Ich schätze und bewundere Jürgen Habermas. Aber ich erlaube mir zu entgegnen: Mit dem Bösen verhandelt man nicht. Putin darf nicht gewinnen. Denn dann würde er nicht Halt machen, zumal es im eigenen Land keine politische oder zivilgesellschaftliche Opposition gibt, die ihn stoppen könnte. Das russische Regime hat längst jegliche Form möglichen Widerstands beseitigt. Das bedeutet leider auch, dass ein Ende der Herrschaft Putins allein in Russland nichts zum Besseren bewegen würde.
Sie sprachen von der Hilfe Ihres Landes für Millionen ukrainischer Flüchtlinge. Wie hoch sind die Zahlen genau?
Nach aktuellem Stand haben seit Beginn des Kriegs 9,84 Millionen Menschen die ukrainische Grenze nach Polen überquert. Weitergezogen oder zurückgekehrt sind 7,9 Millionen. Wir haben damit annähernd drei Millionen Kriegsflüchtlinge in Polen. Denn man muss auch die etwa eine Million Ukrainer hinzuzählen, die 2014 im Zuge des russischen Überfalls auf die Krim nach Polen kamen. Es handelt sich um die größte Völkerwanderung in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg. All diese Menschen erhalten vielfältigste Hilfe. Das ist polnische Staatsräson, aber auch eine gewaltige Herausforderung für unser Land – auch auf lange Sicht. Denn nicht alle Flüchtlinge werden zurückkehren, und die Wunden des Krieges – physisch, seelisch, gesellschaftlich – werden nur sehr langsam heilen.
Was erwarten Sie an finanzieller Unterstützung von der Staatengemeinschaft?
In der ersten Phase wäre uns mit Mitteln aus dem Corona-Wiederaufbaufonds der Europäischen Union schon sehr geholfen. Ich weiß, dass das an die strittige Frage der Rechtsstaatlichkeit gekoppelt ist. Aber hier hoffen wir, die Verhandlungen mit Brüssel bald erfolgreich abschließen zu können.
Sie haben Germanistik studiert, sind seit Jahrzehnten aktiv im deutsch-polnischen Dialog. Wie beurteilen Sie das deutsch-polnische Verhältnis heute?
Nach dem zu urteilen, was ich hier in Köln und in Nordrhein-Westfalen erlebe, ist das Verhältnis hervorragend. Ich bekomme nur positive Signale. Die Zahlen zu den Wirtschaftsbeziehungen bestätigen das. Da eilen wir von Rekord zu Rekord. Auch Schulpartnerschaften und die Kooperation von Nichtregierungsorganisationen blühen. Die Medien schreiben von schlechten Beziehungen. Wenn all das von „schlechten Beziehungen“ zeugt, wie sähen dann erst gute Beziehungen aus?
Spannungen zwischen Berlin und Warschau sind aber kein Medienphänomen.
Ich plädiere für die Rückkehr zu Formaten, die lange vernachlässigt wurden. Deutsch-polnische Regierungskonsultationen gab seit 2018 nicht mehr – eine gefährlich lange Pause. Meine Regierung wäre jederzeit zu solchen Treffen bereit. Zu verbessern wäre auch der Polnisch-Unterricht an deutschen Schulen. 1991 hatten beide Länder vertraglich ein vergleichbares Angebot vereinbart. Heute lernen zwei Millionen polnische Kinder Deutsch, aber nur 14.000 deutsche Kinder Polnisch. Das finden wir nicht in Ordnung.
Haben Sie auch Empfehlungen zu Verbesserungen für Ihre Regierung?
Auf polnischer Seite erlebe ich manchmal zu viel Temperament. Man jongliert mit starken Argumenten, ohne zu hinterfragen: Was steht im Hintergrund? Und wie können wir Verständnis für deutschen Positionen zu zeigen? Dass einige unserer Politiker das nicht tun, bedauere ich.