AboAbonnieren

Pro und ContraSollte es ein soziales Jahr für Rentner geben?

Lesezeit 5 Minuten
Neuer Inhalt

Ein neuer Zivildienst für Rentner, löst das wirklich Probleme?

  1. Ein funktionierendes Gemeinwesen braucht Menschen, die nicht zuerst an sich, sondern an das Gemeinwohl denken. Tut eine Pflicht, Gutes zu tun, not? Auch und gerade für Menschen im Ruhestand?
  2. Richard David Precht, 56, ist Philosoph, Schriftsteller und Honorarprofessor. In seinem eben erschienenen Buch schreibt er „Von der Pflicht“. Er sagt: Ja.
  3. Frank Olbert, 58, ist Korrespondent des „Kölner Stadt-Anzeiger“. Nach dem Abitur leistete er Zivildienst, eine gute Erfahrung, die er allerdings nur freiwillig wiederholen würde.

Sollen Rentner ein soziales Jahr machen? Pro von Richard David PrechtCorona-Leugner arbeiten selten auf Intensivstationen. Und Menschen, die sich in ihrem Leben viel um andere Menschen sorgen und kümmern, demonstrieren selten gegen die Corona-Maßnahmen der Regierung zum Schutz der Verletzlichen. Wer man ist und was man denkt, ist maßgeblich eine Folge dessen, was man tut. Oder wie Sartre sagt: Mit meinem Tun zeichne ich mein Gesicht!

Der liberal-demokratische Staat braucht, um als Staat funktionieren zu können, Menschen, die nicht nur an sich denken, sondern auch an andere und sich für das Gemeinwohl einsetzen. Diese Einsicht ist häufig formuliert worden. Doch was sichert den Zusammenhalt und die Gemeinwohlorientierung in Zeiten der Hyperkonsumgesellschaft, in der Geiz geil ist und mein Schnäppchen auf Kosten der anderen geht? In der mit einem Milliardenaufwand tagtäglich an den persönlichen Egoismus des Konsumenten appelliert wird?

Die Idee, ein Gesellschaftsjahr für alle Schulabgänger einzurichten und es an die Stelle des Wehrdienstes oder Zivildienstes zu setzen, ist durchaus populär und wird gerade von der CDU neu eingebracht. Eine ergänzende Idee dazu scheint mir ein zweites Gesellschaftsjahr zu sein, dass all diejenigen Menschen absolvieren, die in Rente oder Pension gehen, sofern sie körperlich und psychisch dazu in der Lage sind. Die Rede ist von im Durchschnitt 63-Jährigen, die auf diese Weise ihre Erfahrungen weitergeben können und möglicherweise eine ehrenamtliche Beschäftigung finden, der sie auch nach dem Gesellschaftsjahr weiter nachgehen. Gedacht ist an eine Zeit von 15 Stunden die Woche, das entspricht drei Vormittagen oder Nachmittagen.

Das Grundgesetz lässt die Frage, inwiefern zwei solche Gesellschaftsjahre rechtens sind, offen. Denn von Zwangsarbeit oder Arbeitsdienst kann hier ja nicht die Rede sein, eher schon von nicht näher definierten allgemeinen Bürgerpflichten, die der Staat einfordern darf. Warum aber überhaupt der Gedanke der Pflicht?

Nun, ein Drittel aller so genannten Seniorinnen und Senioren sind bereits ehrenamtlich engagiert, für sie bedeutete das Gesellschaftsjahr nichts Neues. Möglicherweise ein Drittel derjenigen, die in Rente oder Pension gehen, möchten partout nichts mehr für die Gesellschaft tun – sind sie nicht zu überzeugen, so können sie sich von ihrer Pflicht befreien lassen, denn Unwillige kann niemand gebrauchen.

Bleibt das wertvolle letzte Drittel: All diejenigen Menschen, die so viel zu geben haben, aber nicht in ein Umfeld eingebunden sind, in dem man sich ehrenamtlich engagiert. Ihr Gesellschaftsjahr im Alter könnte nicht nur Kindern in Krebsstationen oder Menschen in Altenheimen das Leben erleichtern, indem sie dort vorlesen, es könnte nicht nur Naturschützern und Sportvereinen helfen – es wird ohne Zweifel auch etwas mit den Senioren und Seniorinnen machen, die die schöne Erfahrung machen, gebraucht und geschätzt zu werden – eine Erfahrung, die beileibe nicht jedem über 60 in Deutschland vergönnt ist. „Selbstwirksamkeit“ nennen die Psychologen das Gefühl, wertvoll zu werden durch das, was man für andere tut.

Ein Land in dem zwei Drittel aller Menschen etwas für die Gemeinschaft und Gesellschaft tun, wäre ein Traum. Und in der Frage, was unser Land weiterhin und dauerhaft zusammenhält, wäre mir viel wohler.

Contra von Frank Olbert

Querdenker seien in der Regel nicht ehrenamtlich engagiert, meint der Philosoph Richard David Precht. Auch wenn dazu keine empirische Erhebung vorliegt, könnte er damit recht behalten, und vielleicht auch mit seiner Schlussfolgerung, dass es Corona-Leugnern und anderen Verschwörungstheoretikern guttun könnte, im Zuge eines verpflichtenden Gesellschaftsjahrs ihre verqueren Vorstellungen an der Realität zu messen. Auch wenn sie bereits 65 Jahre alt und in Rente sind.

Doch wozu sollte man deswegen alle anderen in die Pflicht nehmen, ebenfalls ein solches Jahr zu absolvieren? Es scheint, als müsse hier so manches Argument an den Haaren herbeigezogen werden, um dem Vorschlag eines solchen Jahres eine Begründung beizugeben – auch die Behauptung, eine Sparkassenbeamtin oder ein Beamter sitze ja nicht aus Altruismus hinterm Schalter, sondern für den eigenen Lebensunterhalt. Also, glaubt Precht, könne man sie oder ihn anschließend ruhig zum Dienst an der Gemeinschaft verdonnern, damit ein wenig Allgemeinnützlichkeit das müde Ego wachrüttele.

So einfach lässt sich die Anstrengung und oft auch die unfreiwillig durchlebte Mühsal vieler Arbeitsjahrzehnte nicht beiseitewischen. Das Alter galt einmal als die Lebensphase der Würde, der Ruhe und Kontemplation nach einer Zeit, die für manche turbulent, für andere ermattend, und für nicht wenige nervtötend war.

Kein Zweifel, heute gelten die Mitte-60-Jährigen nicht unbedingt mehr als alt, im Gegenteil: Viele fühlen sich wie in den besten Jahren, nicht zuletzt eine immer bessere Gesundheitsvorsorge macht’s möglich, und sicher kann man dafür plädieren, dass diese Energie nicht einfach verpuffen sollte. Doch worauf sie verwendet wird, das sollte eine Sache der Freiwilligkeit sein.

Und die steht derzeit hoch im Kurs. Der Staat hat sich im Verlauf der vergangenen Jahrzehnte immer weiter von seiner Neigung verabschiedet, seine Bürger zumindest zeitweise zu entmündigen. Wer 1962 geboren wurde, musste 15 Monate Grundwehrdienst und sogar 20 Monate Zivildienst ableisten – beides ist seit gut zehn Jahren abgeschafft, was junge Frauen und Männer seither in die Lage versetzt, aus eigenem Antrieb ihr soziales oder ökologisches Gewissen zu entdecken. Wer dies in Anspruch nimmt, wird sich an sein freiwilliges Jahr wohl kaum als eine Zwangspause auf dem Weg von der Schule in die weitere Ausbildung und den Beruf erinnern.

Und nun soll das autoritäre Nützlichsein auf staatliche Anweisung sogar auf die Rentner ausgeweitet werden? Auf eine Bevölkerungsgruppe also, die nicht bloß ein Arbeitsleben hinter sich gebracht, sondern vielfach Kinder großgezogen und womöglich bereits Enkel hat? Man dürfte annehmen, dass damit bereits abgeleistet ist, was dem Erhalt der Gesellschaft dient, so wie ebenso klar sein dürfte, dass hier Anweisungen wirklich nicht mehr erteilt werden sollten.

Was aber vielleicht am meisten schmerzt am Vorschlag eines Pflichtjahres ist die Unterstellung, die besagt: Die haben doch Zeit, die haben doch sonst nichts Sinnvolles zu tun!

Vielleicht wird diese Zeit aber jetzt schon von vielen genutzt, um kranken Kindern vorzulesen und andere gute Dinge zu tun. Und wenn diese Zeit einfach nur genossen wird, so haben sich die Betroffenen auch das redlich verdient.