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Querdenker-Szene NRWUnternehmen aus Köln und der Region suchen ungeimpfte Mitarbeiter

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In Düsseldorf demonstrierten am Samstag 4000 Menschen gegen die Corona-Maßnahmen. 

Köln/Düsseldorf – Mit Pfeifen, Trommeln und Fahnen sind am Samstag etwa 4000 Menschen bei der „Querdenken“-Demonstration durch Düsseldorf gezogen. „Wir sind im Krieg“, steht auf dem Schild eines Demonstranten, „Diktatur“ auf seiner Mütze. Der Demonstrationstross zieht über zwei Stunden durch die Innenstadt, die Polizei sperrt mehrere Straßen und Straßenbahnstrecken. Aus den „Merkel muss weg“-Rufen ist „Scholz muss weg“ geworden.

Es fällt schwer, die Gruppe an Demonstranten in Düsseldorf zu beschreiben. Ihre Symbole könnten kaum widersprüchlicher sein: Hier eine Trump-Fahne, dort eine rote Fahne mit dem Konterfei des Marxisten Che Guevara. AfD-Fahnen, Regenbogenfahnen, Fahnen mit Friedenstauben, eine umgedrehte Deutschlandfahne, wie Rechtsradikale sie häufig hissen, ein Demonstrant hält ein Schild hoch, auf dem steht: „Meine Impfung ist Gott.“ Während der rechtsradikale Blogger Kevin Gabbe den Protest filmt, dröhnt von weiter vorne das Partisanenlied „Bella Ciao“ herüber.

Keine Impfung, keine Pandemie, kein Lauterbach, keine Masken: Nur da scheinen sich die Demonstranten einig. „Die Querdenken-Bewegung kommt nur zustande, weil es einen minimalen Konsens in der Bewegung gibt“, sagt Andreas Zick, Professor für Konfliktforschung an der Universität Bielefeld. „Alles andere blenden die Demonstranten aus. Die Akzeptanz vollkommen widersprüchlicher Ideologien ist in populistischen Bewegungen wahnsinnig hoch.“

„Querdenken“ wird vom Verfassungsschutz beobachtet

Die Protestbewegung habe sich seit Beginn der Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen im März 2020 radikalisiert, teilt das nordrhein-westfälische Innenministerium auf Anfrage mit. Die Bewegung zeige „zunehmend demokratiefeindliche Tendenzen“ und grenze sich nicht vom Rechtsextremismus ab, sie verharmlose teilweise den Holocaust, indem Demonstranten die Pandemiebekämpfung mit dem Terror des NS-Regimes gleichsetzen.

Trotzdem: Ein gemeinsames ideologisches Weltbild, ein politisches Programm verfolge die Bewegung nicht. „Vielmehr ist sie ein Sammelbecken von Verschwörungsmystikern, Rechtspopulisten, Esoterikern, Wissenschaftsverweigerern sowie Personen aus der bürgerlichen Mitte“, schreibt das Ministerium. „Querdenken“ wird mittlerweile vom nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz beobachtet, ebenso die Gruppierung „Corona Rebellen Düsseldorf“.

Für sie schufen die Behörden eine neue Kategorie: Den Phänomenbereich „verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“. Der Verfassungsschutz zählt 300 Personen dieser Gruppen als „relevant“, zum Umfeld der Corona-Leugner gehören tausende Menschen.

Impfgegner bauen sich Parallelwelt auf

Die Eindrücke von der Düsseldorfer Demonstration spiegeln sich auch in zahlreichen Impfgegner- und Querdenker-Kanälen des Messenger-Dienstes Telegram wieder. In „Widerstand Köln“ posten Mitglieder ein Foto von Anne Frank („Die Leute, die Anne Frank getötet haben, haben das Gesetz verfolgt. Das Gesetz ist kein Kompass für Menschlichkeit“). Ein paar Posts weiter erscheint ein Link zum Online-Sender eines Sektenführers, der antisemitische Verschwörungstheorien verbreitet und Holocaustleugnern seine Bühne bietet. In anderen Gruppen ist es ähnlich: In einem Kanal instrumentalisieren Querdenker ein Zitat von Sophie Scholl, im nächsten Chat wird ein Post der Neonazi-Partei „Der Dritte Weg“ geteilt.

Andere Telegramkanäle zeugen dagegen von einer Parallelgesellschaft, die sich Impfgegner und Verschwörungstheoretiker aufbauen: Da ist die Gruppe „EoI – Einkaufen ohne Impfung Köln“, in der sich die Nutzer austauschen, wo Kunden ohne Impfung – möglichst auch ohne Maske – shoppen können. Dazu posten sie Boykottlisten von Unternehmen, die zu meiden sind, weil sie fürs Impfen werben.

Ein weiteres Beispiel aus der Impfgegner-Szene bietet die Plattform „impffrei.work“: Dort suchen Arbeitgeber ungeimpfte Arbeitnehmer, alles im Namen der vermeintlichen Toleranz gegenüber Ungeimpften. Ein Inhaber einer Kölner Physiotherapiepraxis sucht über diesen Weg neue Mitarbeiter. Eine Logopädin aus Troisdorf, die auf ihrer Webseite vor der Impfung von Kindern warnt, annonciert. Auch ein Naturkostladen aus Refrath hat eine Anzeige geschaltet sowie ein Software- und Hardwarevertrieb aus Bergisch Gladbach. Nicht nur Job-Suche geht über solche Plattformen, auchdie Partnersuche: Die Betreiber der Plattform „Impffrei.love“ beschreiben ihr Portal als „exklusiv für impffreie und bewusste Menschen“.

Konfliktforscher rechnet mit Gewalt durch Impfgegner

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Andreas Zick, Professor und Leiter des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) an der Universität Bielefeld.

Andreas Zick spricht, angelehnt an das Wort „Querdenken“, von „Querextremismus“: Ein Extremismus, der sich quer durch die Bevölkerungsschichten zieht. Er hält es für wahrscheinlich, dass einzelne Gruppierungen aus der Bewegungen auch vor Gewalt nicht zurückschrecken. „Querdenken wird aggressiver, die Drohungen gegen andere Menschen werden zunehmen“, prognostiziert Zick. Hochgewaltbereite Rechtsextreme hätten bei diesen Protesten wieder Anschluss an einen Teil der Gesellschaft gefunden. „Wir haben viele Waffen in diesen Milieus. Da muss der Staat sensibel sein.“

Ähnlich äußert sich das Innenministerium NRW: Der Verfassungsschutz registriere Drohschreiben und unangemeldete Proteste vor Wohnanschriften von Politikern – eine Taktik, die Rechtsextremisten seit Jahrzehnten verfolgen. In den letzten Tagen seien die „Querdenken“-Proteste weitgehend friedlich verlaufen, wenn auch die Organisatoren deutlich weniger Teilnehmer ankündigten, als tatsächlich kamen. In Düsseldorf zum Beispiel waren für Samstag nur 1000 Menschen angemeldet. Sollte sich der Corona-Leugner-Kern jedoch weiter radikalisieren, schreibt das Innenministerium, „können im schlimmsten Falle auch gewaltsame Proteste nicht ausgeschlossen werden“.

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Die Straftaten bei Kundgebungen in NRW mit Bezug auf die Pandemie haben sich 2021 im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt. Zick schlägt deshalb mehr Mittel für gewaltpräventive Maßnahmen vor, er spricht von Ausstiegsprojekten. Es sei vollkommen legitim, gegen die Corona-Maßnahmen zu demonstrieren. Dass Extremisten diese Proteste steuern, müsse man jedoch verhindern.

„Das hier ist kein Aufzug der AfD, das ist keine Identitäre Bewegung!“, ruft am Samstag eine Ordnerin bei der Querdenken-Demonstration in ihr Megafon. „Ihr Jungs mit den Deutschlandfahnen könnt gerne mitmachen – aber nicht hier ganz vorne!“ Gemurre bei den Rechten. „Genau deshalb verlieren wir“, sagt ein junger Mann. Doch sie folgen der Aufforderung und reihen sich in der Mitte des Demonstrationszuges ein. Mitmarschieren lässt man sie ja trotzdem.