- Seitdem im Zuge der „Black Lives Matter“-Proteste Denkmäler zerstört worden sind, gibt es auch in Deutschland eine Debatte: Sollen Denkmäler von Kolonialherrschern beseitigt werden?
- Nein, findet Sarah Brasack. Denn das Entfernen von Denkmälern führt am Problem vorbei.
- Ja, schreibt Christian Bos. Niemand sollte heute noch zu einem Rassisten aufschauen müssen.
Stünde in Köln ein Hitler-Denkmal, gebe es keine Diskussion, ob es entfernt werden müsste. Dieser Hinweis muss sein. Die Debatte darüber, Denkmäler historischer (Männer-)Persönlichkeiten abzureißen, die unendliches Leid über Menschen gebracht haben, ist keinesfalls lächerlich. Spott oder Empörung angesichts vermeintlich übertriebener Forderungen sind insbesondere in den westlichen Ländern, den Profiteuren des Kolonialismus bis heute, völlig unangebracht. Trotzdem wäre es absolut falsch, sich jetzt an die Beseitigung sämtlicher Denkmäler mit kolonialistischem Bezug in Deutschland zu machen. Oder aber Statuen von Kriegsherren reihum mit Farbbeuteln zu attackieren wie jüngst in Köln das Reiterstandbild von Wilhelm II. Denn das Problem liegt woanders und ist leider komplexer.
Nicht nur die Vergangenheit war blutig, grausam und voller Unterdrückung. Auch wir, mit unserem bevorzugt billigen Konsum, laden täglich Schuld auf uns, beuten Menschen ebenso aus wie Tiere und die Umwelt. Leider ändern wir die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft aber nicht, indem wir historische Heroisierungen einfach wegradieren. Zumal: Wo liegt die Grenze? Fangen wir auch an, alle Goethe-Denkmäler zu enthaupten, weil dessen Frauenbild aus MeToo-Perspektive einigermaßen unerträglich ist? Wer entscheidet darüber, was als Nächstes entfernt werden muss, weil er ebenfalls Ungerechtigkeit erlitten hat?
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Besonders unter Studierenden nimmt die Identitätspolitik bisweilen bizarre Auswüchse an. Wenn etwa gefordert wird, literarische Klassiker in Seminaren nicht mehr lesen zu müssen, weil diese sexistisch, kolonialistisch oder anderweitig politisch höchst fragwürdig ist. Oder Abbildungen, die von Frauenverachtung und Sklaverei zeugen, aus Museen verschwinden zu lassen.
Wir müssen zuhören!
Hilfreich ist das nicht. Denn damit wird die Chance vertan, sich mit der Geschichte, vergangenen Diskurs- und Machtkonstellationen, kritisch auseinanderzusetzen. Am Streiten und Diskutieren kommen wir nicht vorbei, wenn wir nicht nur symbolisch agieren, sondern die Verhältnisse zum Besseren ändern wollen. Vor allem aber müssen wir eins lernen: Zuhören! Der große Schmerz hinter der „Black Lives Matter“-Bewegung zeigt einmal mehr, dass es überfällig ist, unsere Ignoranz gegenüber den weniger Privilegierten, denen unendlicher Schmerz zugefügt worden ist und noch wird, zu beenden.
Hinweisschilder neben Denkmälern wären übrigens eine Möglichkeit, auf den Kolonialismus hinzuweisen, unter dessen Folgen die halbe Welt heute noch leidet. So würden die einstigen Helden zu Mahnmalen einer Geschichte der Unterdrückung, deren Fortschreibung wir ändern könnten – wenn wir es wollten.
Sarah Brasack, leitende Redakteurin
Weg mit den problematischen Denkmälern
Denkmäler behaupten zwar das Fortwirken der Vergangenheit, aber selbstredend können Nachgeborene dieser Behauptung auch widersprechen. Und zwar vehement; im äußersten Fall dann eben so, wie es „Black Lives Matter“-Demonstranten in Bristol getan haben, als sie die Statue des Sklavenhändlers Edward Colston von ihrem Sockel stürzten und im selben Hafen versenkten, von dem aus einst Colstons Sklavenschiffe ablegten.War das nur ein „selbstgerechter“ Akt einer „johlenden Menge“, wie Jürgen Kaube in der „FAZ“ schrieb? Ein Akt, der einzig dem guten Gewissen der Denkmalstürzer dient und nichts an der Geschichte und ihrem weiteren Verlauf ändern wird? Dann ist auch das Besprühen des Reiterstandbilds von Wilhelm II. vor der Kölner Hohenzollernbrücke nur ein schnöder Akt des Vandalismus von geschichtsvergessenen Gutmenschen.Das Gegenteil ist der Fall, die Diskussion, die wir derzeit führen, und auch die Sachbeschädigung oder Demontage der umstrittenen Denkmäler selbst, sind Ausdruck und Teil eines Mentalitätswandels, eines dynamischen geschichtlichen Prozesses. Das letzte Wort ist wichtig: ein Prozess, nämlich ein ergebnisoffener. Der Streit muss um jedes einzelne Denkmal, jede Statue, jeden Straßennamen einzeln geführt werden. Aber dafür kann die radikale Lösung auch ein Ergebnis sein.
Niemand, der die Statue eines Rassisten von ihrem Sockel stürzen will, glaubt, damit irgendetwas rückwirkend wieder gutgemacht zu haben. Es geht um die Lebenden, um uns, vor allem aber um „people of color“, die doch wohl von ihrer Stadt verlangen können, dass hier nicht Menschen glorifiziert werden, die ihre Vorfahren unterdrückt, abgeschlachtet oder in Konzentrationslager gepfercht haben. Und das Argument, dass man ja gerade die Erinnerung an bestimmte Untaten auslöscht, wenn man das Standbild des Untäters entfernt, ist schlicht perfide: Wer wird denn das heroische Reiterstandbild Wilhelms II. als Mahnmal begreifen? Also: Runter vom Sockel! Man muss ihn ja nicht gleich in den Rhein werfen, ein Museum wird sich schon finden.Hinter dem Widerstand gegen politische Korrekturen steckt die Angst, dass am Ende alles fragwürdig geworden sein könnte. Sie kennen den Ausruf: Man weiß ja gar nicht mehr, was man noch sagen darf! Oder wem man noch ein Denkmal errichten darf. Nur korrespondiert die Angst nicht mit der Wirklichkeit. Im Gegenteil, die fraglichen Standbilder zeichnen sich gerade durch ihre enorme Standfestigkeit aus.
Dabei sind sie in einem System aufgestellt worden, das sich die wenigsten zurückwünschen. Wir schämen uns für die Verbrechen von damals. Niemand sollte heute mehr zu einem Rassisten aufschauen müssen.
Christian Bos, Redakteur Ressort Kultur