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Kurdische Milizen „ausrotten“Erdogan kündigt weiterer Militärschläge an

Lesezeit 5 Minuten
Recep Tayyip Erdogan beim G20-Gipfel in Indonesien.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan erwägt nach Luftangriffen auf kurdische Stellungen in Syrien und dem Irak auch eine Bodenoffensive gegen kurdische Milizen.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat weitere Militärschläge gegen kurdische Milizen im Irak und in Syrien angekündigt. In der Südtürkei und in Nordsyrien gibt es Tote. Die Sorge vor einer türkischen Bodenoffensive wächst.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat weitere Militärschläge gegen kurdische Milizen im Irak und in Syrien angekündigt und eine Bodenoffensive angedeutet. „Seit ein paar Tagen liegen wir den Terroristen mit unseren Flugzeugen, Geschützen und bewaffneten Drohnen im Nacken. Sobald wie möglich werden wir, so Gott will, zusammen mit unseren Panzern, Soldaten und Weggefährten, alle ausrotten“, sagte Erdogan am Dienstag.

Seit der Nacht zum Sonntag geht die Türkei gegen die syrische Kurdenmiliz YPG und die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK mit zahlreichen Luftangriffen im Nordirak und in Nordsyrien vor. Die Türkei habe Geduld gezeigt und sich an alle Abmachungen gehalten, so Präsident Erdogan weiter.

Erdogan will nicht weiter „hingehalten“ werden

Die Zeiten in denen sein Land „hingehalten“ wurde, seien nun vorbei. „Ab sofort gibt es für uns nur noch ein einziges Maß, ein einziges Limit. Und das ist die Sicherheit unseres eigenen Landes, unserer eigenen Bürger. Es ist unser legitimstes Recht, bis da hinzugehen, wo diese Sicherheit beginnt“, wo es nötig ist. Erdogan hatte bereits am Montag eine Bodenoffensive gegen kurdische Stellungen in Syrien und im Irak in Betracht gezogen. Es stehe außer Frage, dass man sich nicht auf Lufteinsätze beschränke, sagte er.

Es werde weiter „abgerechnet“, twitterte das türkische Verteidigungsministerium am Montag, während kurdische Aktivisten von starkem Beschuss in ländlichen Region im Osten Aleppos und in der Region Kobane berichteten. In der südosttürkischen Provinz Gaziantep starben der Türkei zufolge drei Menschen nach Beschuss aus Syrien.

Das ist bisher zwischen der Türkei und Syrien passiert

Die türkische Regierung hatte ihre Luftangriffe in Zusammenhang mit einem Anschlag auf der Istanbuler Einkaufsstraße Istiklal vor über einer Woche gebracht. Sie sieht YPG und PKK als Drahtzieher des Anschlags, beide hatten das zurückgewiesen.

Die Türkei war in der Nacht auf Sonntag gegen die syrische Kurdenmiliz YPG und die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK mit zahlreichen Luftangriffen im Nordirak und in Nordsyrien vorgegangen. Die syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte berichtete von mindestens 35 Toten. Kurdische Milizen hatten Vergeltung angekündigt.

Offizielle Darstellung der Ereignisse wird angezweifelt

Die Türkei sieht ihrerseits die Luftangriffe als Vergeltung für den Anschlag auf der Istanbuler Einkaufsstraße Istiklal am Sonntag vor einer Woche. Das türkische Militär beschriftete Bomben, die es auf Syrien abwarf, per Hand mit den Namen von zwei bei dem Istanbuler Anschlag getöteten Kindern, wie Fernsehbilder zeigten. Zwar sind die Ermittlungen zu den Hintergründen der Explosion noch nicht abgeschlossen, die Führung in Ankara sieht es aber als erwiesen an, dass YPG und PKK Drahtzieher des Anschlags sind. Beide hatten das zurückgewiesen. Die türkische Regierung stuft die YPG und PKK als Terrororganisationen ein.

Der Anschlag bietet nach Ansicht von Experten nun einen Anlass für die Militäroffensive, über die Ankara nicht erst seit dem Wochenende spricht. „Seit fast einem Jahr redet die türkische Regierung von einem möglichen Einmarsch“, sagte Sinem Adar, Wissenschaftlerin am Centrum für angewandte Türkeistudien (CATS) der Stiftung Wissenschaft und Politik. „Aus unterschiedlichen Gründen war ihnen das nicht möglich. Jetzt rechtfertigt der Angriff in Istanbul den Luftangriff aus Sicht Ankaras.“

Auswärtiges Amt ruft Ankara zur Achtung des Völkerrechts auf

Doch die offizielle Darstellung der Ereignisse wird vielerorts angezweifelt - in Deutschland wie auch in der Türkei. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) etwa schrieb auf Twitter: „Erdogans Bomben auf Kurden, die IS-Terroristen erfolgreich bekämpft haben, sollen vom wirtschaftlichen Desaster in der Türkei ablenken.“

Das Auswärtige Amt rief Ankara zu Zurückhaltung und zur Achtung des Völkerrechts auf. Die Türkei und alle anderen Beteiligten sollten „nichts unternehmen, was die ohnehin angespannte Lage im Norden Syriens und Iraks weiter verschärfen würde“, so Sprecher Christofer Burger. Die Türkei hatte ihre Offensive mit dem Recht auf Selbstverteidigung nach Artikel 51 der UN-Charta begründet. „Das Recht auf Selbstverteidigung beinhaltet nicht ein Recht auf Vergeltung“, so Burger.

USA und Russland rieten Ankara von Syrien-Offensive ab

Der Irak verurteilte die Angriffe auf kurdische Gebiete. Das Land dürfe keine Arena für Konflikte und „Abrechnungen“ externer Kräfte sein, hieß es in einer Erklärung des Außenministeriums. Inmitten der angespannten Situation reiste Bundesinnenministerin Nancy Faeser am Montag nach Ankara. Der zweitägige Besuch ist schon seit längerem geplant.

Sie will zu Beratungen mit dem türkischen Innenminister Süleyman Soylu zusammenkommen. Soylu, der als Hardliner gilt, hatte nach dem Anschlag mit dem Kommentar, die USA trügen eine Mitschuld für die Bombenexplosion, für Aufmerksamkeit gesorgt. Die Entscheidung für die nunmehr fünfte Syrien-Offensive der Türkei traf Erdogan offenbar im Flugzeug. Laut Präsidialamt unterschrieb er die Anordnung auf dem Rückweg vom G-20-Gipfel in Bali, wo er unter anderem US-Präsident Joe Biden traf. Man brauche niemandes Einverständnis, so Erdogan am Montag.

Die USA und Russland hatten Ankara zuvor deutlich von einer erneuten Offensive in Syrien abgeraten. Dass die nun ganz ohne deren Wissen stattgefunden hat, scheint einigen Experten jedoch unwahrscheinlich. Beide kontrollieren Teile des syrischen Luftraums. Özlem Alev Demirel, außenpolitische Sprecherin der Linken im Europaparlament, etwa teilte mit: „Die Bombardierungen finden in den Gebieten statt, in denen Russland und die USA den Luftraum kontrollieren. Beide Länder müssen also grünes Licht für diese Aggression gegeben haben.“

Kreml und Washington schweigen

Weder der Kreml noch Washington haben sich bisher zu den Angriffen geäußert. Russland unterstützt im syrischen Bürgerkrieg Regierungstruppen, die USA sehen in der YPG einen Partner im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Adar sieht in dem türkischen Vorgehen die Fortsetzung „der Kriegspolitik und Kriegsökonomie“, die der türkischen Führung ihr politisches Überleben seit 2015 gesichert habe.

Im Jahr 2015 hatte eine Reihe von Anschlägen mit vielen Toten das Land erschüttert. Mit Blick auf die Umfragen konnte die regierende AKP unter Erdogan als Ministerpräsident die Situation damals für sich nutzen. Eine kurz zuvor verlorene Mehrheit konnte sie damals wiedererringen.(dpa)