Zwei Lehrer aus der Lausitz schreiben einen Brandbrief – an ihrer Schule geben rechtsextreme Schüler den Ton an, die Schulleitung schaue weg. Aber jetzt zeigt der Brief Wirkung und die Menschen wollen sich mit den rechten Strömungen in die Gesellschaftsmitte nicht mehr abfinden.
Brandbrief„Hitlergrüße“ auf dem Schulhof – wie zwei Lehrer gegen Rechtsextremismus kämpfen
Hitlergrüße auf dem Schulhof, Hakenkreuze auf Schulmobiliar, rechtsextreme Musik im Unterricht, Abschlussfeiern in der Gaststätte eines stadtbekannten Neonazis – alles ganz normal? An der Grund- und Oberschule im Spreewaldstädtchen Burg in Brandenburg schien das alles geduldet zu werden. Die Schulleitung und Teile des Kollegiums schauten offenbar aktiv weg, wenn Schüler auf dem Sportplatz den Arm zum Hitlergruß hoben.
Wenn die wenigen Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund fast täglich drangsaliert und beleidigt wurden. Wenn der Schulbesuch zum Spießrutenlauf für alle wurde, die nicht den rechten Stimmungsmachern folgen. Rechtsextreme Einstellungen wurden als legitime Meinung verharmlost, die Gefahr von negativen Schlagzeilen lähmte alles.
Burg in Brandenburg: Bei den U-18-Wahlen liegen AfD und NPD vorn
Bis zwei junge Lehrer nicht mehr mitmachen wollten. Laura Nickel und Max Teske schrieben einen Brandbrief, erst anonym. Sie seien täglich mit „Rechtsextremismus, Sexismus und Homophobie“ konfrontiert, heißt es in dem Schreiben. Gegenüber dem RBB sprechen sie weiter, auch noch ohne Namensnennung. Es käme zu Mobbing, Ausgrenzung und Gewaltandrohungen gegenüber den „wenigen ausländischen und toleranten Schülern“. Bei der sogenannten U18-Wahl im Vorfeld der Landtagswahl gewann vor einigen Jahren eine breite Koalition aus AfD und NPD.
Als den beiden versichert wurde, dass sie keine disziplinarischen Maßnahmen zu befürchten hätten, zeigten Laura Nickel, Lehrerin für Englisch und Geschichte, und der Geografie- und Mathelehrer Max Teske, Gesicht. Erst auf einer Demo vor dem Schulamt in Cottbus, dann als Mitgründer eines Bündnisses „Schule für mehr Demokratie“. Es tut sich etwas in der ostdeutschen Provinz. Die rechtsextreme Normalität, die sich fernab der großen Städte über drei Jahrzehnte ausbilden konnte, wird von jungen, mutigen Menschen aus der Region nicht mehr einfach so hingenommen.
Am Himmelfahrtswochenende war es die 24-jährige Emily Siebert, die am Rande ihrer Heimatstadt Döbeln mit gezücktem Handy auf eine feiernde Männergruppe zuging, die an einem Pavillon Hakenkreuz- und Reichsadlerfahnen aufgehängt hatten. Sie werde immer wieder so handeln, sagte sie – auch wenn sie jetzt selber bedroht wird. „Das war mutig von ihr“, sagt Max Teske beim Treffen in einem Park in Cottbus, und Laura Nickel nickt dazu. Sich selbst würden sie gar nicht so sehr als mutig bezeichnen. Sie haben die Konsequenzen berechnet, aber sie wollten die Situation einfach nicht länger hinnehmen.
Die beiden sind keine naiven Berufsanfänger, die der Zufall in die Lausitz verschlagen hat. Das ist hier ist ihre Heimat. Sie haben ihre eigene Schulzeit zu einer Zeit verbracht, als die rechte Hegemonie schon deutlich zu spüren war. Max Teske kommt aus der 25.000-Einwohner-Stadt Spremberg, damals wie heute eine Hochburg der rechtsextremen Szene. „Ich war anders, ich war ein bunter Vogel“, erzählt er, „mit langen Haaren, die Seiten abrasiert, ich trug von der siebten bis zur zehnten Klasse eine Weste mit Buttons.“ Er wurde zur Zielscheibe, fast jeden Tag. Wurde bedroht, bedrängt, auf dem Schulweg abgefangen. „Mein Rückhalt waren meine Eltern und Geschwister, sonst niemand.“
Teske wurde Erzieher, als Quereinsteiger kam er zum Lehrerberuf. „Als ich in Burg an die Schule kam, fühlte ich mich wie vor 15 Jahren in Spremberg. Schüler wurden ausgegrenzt, hatten Angst.“ Im Lehrerzimmer spielte all das keine Rolle.
Die AfD/NPD-Mehrheit bei der U-18-Wahl hätte anderswo ein Beben ausgelöst. In Burg war das „eine Randnotiz in der Konferenz“, berichtet Laura Nickel. „Für die Schulleitung gab es keinen Grund, das zu thematisieren. Später bekam sie doch den Auftrag, ein Programm gegen Rechtsextremismus umzusetzen. Als sie ihre Gedanken vorstellen wollte, habe es aber geheißen: „Jetzt steht erst einmal der Unterricht im Fokus.“
An der Schule gelten sie nach dem Brief als „Nestbeschmutzer“, sagt Laura Nickel. „Ich habe schon das Gefühl, dass Schüler mit rechtsextremen Meinungen in Schutz genommen werden.“ Schließlich müsse die Schule „alle Meinungen akzeptieren“, werde dann gesagt. Ein „toxisches Gebilde“
Wenn rechtsextreme, rassistische und homophobe Sprüche als normale „Meinung“ bezeichnet werden, dann ist der Endpunkt einer Entwicklung erreicht, den Brandenburgs Verfassungsschutzchef Jörg Müller die „Entgrenzung des Rechtsextremismus“ nennt, sein „Vordringen in die Mitte der Gesellschaft“. In und um Cottbus ist das den Rechten besser gelungen als andernorts. Es gibt viele Gründe dafür: ein langjähriger Bürgermeister, der es versäumte, demokratische Akteure und Strukturen zu stärken. Und etwas, das Müller seit Jahren ein „toxisches Gebilde“ nennt, eine Verbindung von Rechtsextremismus, Hooligans, Türsteherszene und Gewerbetreibenden mit Ansehen und wirtschaftlichem Erfolg.
Daniel G., Besitzer des „Deutschen Hauses“, in dem die Abschlussfeier der zehnten Klassen stattfand, ist einer der bekanntesten Köpfe dieses Gebildes. Auch die Eisdiele gegenüber der Schule in Burg wird ihm zugerechnet. Als kürzlich ein Fernsehteam für die ARD-Sendung „Kontraste“ dort drehte, stand ein Mann auf und sagte drohend, die Journalisten sollten sich „sehr genau überlegen, was sie in dieser Stadt sagen und tun“.
Als diese Bilder ausgestrahlt wurden, reagierten auch die Offiziellen in Burg. Der Ort lebt vom Tourismus, die Debatte könnte massiven Schaden anrichten. Sie drehten einen vierminütigen Imagefilm mit dem Titel „Wir sind Burg“. Der ehrenamtliche Bürgermeister Hans-Jürgen Dreger sagt darin: „Wenn solche Vorfälle noch mal passieren sollten, bitte ich jeden, der darunter leidet, sich sofort beim Amt oder bei mir zu melden. Ich trete mit meiner ganzen Kraft ein und werde daran arbeiten, dass Burg ein Ort der Toleranz und Mitmenschlichkeit ist.“
Und die Schulsozialarbeiterin Sophie Schüler sagt in dem Video: „Ich weiß, dass die Schule die Vorfälle aufklären wird und dass auch ich noch viel mehr Arbeit in die Aufklärung der Schülerinnen und Schüler stecken muss.“
Laura Nickel und Max Teske machen ihr keinen Vorwurf: „Sie macht einen unglaublich guten Job. Aber sie ist halt auch nur eine Sozialarbeiterin bei mehr als 500 Schülern.“ Nötig seien mindestens zwei Stellen.
Das Ausmaß wird erst langsam deutlich
Vier Wochen nach dem Brandbrief sieht es nicht so aus, als ob die Debatte schnell wieder ausgetreten werden könne. Im Gegenteil: Das ganze Ausmaß der Vorfälle wird erst langsam deutlich. Kommende Woche werden mindestens 50 Akteure aus der Region zu einem Vernetzungstreffen in Cottbus zusammenkommen. Auch Pfarrer Lukas Pellio aus Max Teskes Heimatstadt Spremberg wird dann dabei sein. Der Mittdreißiger hat vor drei Jahren zusammen mit zwei Kolleginnen die Pfarrstelle angetreten – und positioniert die Kirche eindeutig an der Seite derjenigen, die für die Demokratie streiten. Die Zustände an den Schulen seien vielerorts so wie in Burg, sagt er.
„Als der Brandbrief veröffentlicht wurde und noch nicht klar war, um welche Schule es sich handelte, sagten mir viele aus unserem Netzwerk Unteilbar- Südbrandenburg: Das muss Spremberg sein. Und andere: Nein, das ist Guben. Oder Peitz. Oder Cottbus. Die Lage ist überall ähnlich.“ Am Spremberger Gymnasium beispielsweise wurde die AfD bei der Juniorwahl 2019 stärkste Kraft. Ebenso wie bei den Erwachsenen bei Landtags- und Kommunalwahl. Die AfD hat vor Ort keine Berührungsängste zu Rechtsextremen. „ Ihr Bürgermeisterkandidat ließ sich 2021 von Gewerbetreibenden unterstützen, die eindeutig aus dem rechtsextremen Milieu kommen. Das weiß auch jeder. Das ist hier ganz normal“, sagt Pellio.
„Eine fortschreitende Normalisierung rechtsextremen Denkens“ Nach der U-18-Wahl gründete sich am Spremberger Gymnasium eine Schülerarbeitsgemeinschaft „Vielfalt und Toleranz“. Auf der Suche nach Unterstützung wandten sie sich an Pfarrer Pellio. „Eigentlich müsste die Schulleitung ihre Schülerinnen und Schüler schützen. Aber hier geben in vielen Stufen Rechtsextreme den Ton an“, sagt er. „Die Schule ist ein Spiegelbild der Gesellschaft. Und in Südbrandenburg bedeutet das: Es gibt Kontinuitäten seit den Neunzigerjahren, es gibt eine fortschreitende Normalisierung rechtsextremen Denkens. Wenn es nicht von den Eltern weitergegeben wird, dann im Sportverein oder im Freundeskreis.“
„Schlimmer als in den Neunzigern“
Indem sie als Kirche Position beziehen, erfüllen sie auch eine seelsorgerische Funktion, sagt der Pfarrer: „Wir bieten einen sicheren Ort für diejenigen, die sich gegen die rechtsextreme Normalität stellen. Wir brauchen dringend mehr solcher Freiräume. „Es ist schlimmer als in den Neunzigern. Jetzt sind die Nazis überall“, sagen mir Leute, die sich schon damals gegen die Rechten gewehrt haben.“
Vom neuen Bündnis erhofft er sich, dass die Aufmerksamkeit nicht abebbt. „Wir lassen solche Zustände nicht mehr durchgehen“, sagt der kämpferische Kirchenmann. „Wir werden sie auch in Zukunft skandalisieren. Wir lassen uns nicht mit Bauernopfern abspeisen. Die Bildungsmisere muss endlich angegangen werden – wir brauchen deutlich mehr Lehrkräfte und Schulsozialarbeiter.“
Schulleitungen melden jetzt erst Vorfälle
Auch das Bildungsministerium in Potsdam reagiert und lädt nun für Ende Juni zu einer Tagung zum Thema „Extremismus an Schulen“ in Cottbus ein. Der neue Bildungsminister Steffen Freiberg (SPD) hat alle Schulen aufgerufen, extremistische Vorfälle zu melden. Daraufhin stiegen die Zahlen stark an: Zwischen dem 1. und 12. Mai dieses Jahres meldeten die Schulleitungen in Brandenburg 19 Vorfälle an die Schulämter, acht davon im Bereich des Schulamts Cottbus. Im Februar und März gab es landesweit nur zehn Meldungen. Am Freitag sind Laura Nickel, Max Teske und die Cottbuser Professorin und Rechtsextremismus-Expertin Heike Radvan zu Gast im Kanzleramt. Der Ostbeauftragte Carsten Schneider (SPD), selbst ein Kind der „Baseballschlägerjahre“ der Neunziger, hat sie eingeladen.
Radvan sagt vor der Abfahrt zu dem Treffen: „„Ich erhoffe mir Unterstützung für eine strukturelle Antwort auf das Problem. Wir haben im Osten in einigen Regionen ein spezifisches, historisch gewachsenes Problem mit extrem rechten Dominanzbestrebungen aber auch mit einer geschwächten demokratischen Zivilgesellschaft. Aber wir können das Problem nur verkleinern, wenn das ganze Gemeinwesen sich verantwortlich fühlt.“„ Nickel und Teske jedenfalls werden nicht aufgeben. „Ich liebe meinen Job“, sagt Teske. „Ich gehe jetzt noch lieber in die Schule als vor dem Brief.“ Weil sich jetzt, endlich, etwas bewegt.