Bei seiner Rede vor dem Kongress stimmt Trump die Amerikaner mit einem kurzen Satz darauf ein, dass die Preise so schnell nicht sinken werden.
Lügen, Übertreibungen, VerdrehungenAuf Geisterfahrt durch Donald Trumps Paralelluniversum

US-Präsident Donald Trump hält am späten Dienstagabend (Ortszeit) seine fast zweistündige Rede vor dem Kongress.
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Donald Trump redet schon 78 Minuten, als es Bernie Sanders nicht mehr auf seinem Stuhl hält. „Mit der Wokeness ist es vorbei, und es geht uns so viel besser“, hat der Präsident gerade verkündet. Da verlässt der linke Senator den Plenarsaal. Vor ihm sind schon Dutzende andere Demokraten gegangen. „Ich konnte mir diese unaufhörlichen Lügen nicht mehr anhören“, sagt draußen die Abgeordnete Veronica Escobar.
Traditionell liefert die jährliche Rede des Präsidenten vor beiden Häusern des Kongresses eine politische Zwischenbilanz und einen Ausblick auf geplante Projekte, für die der höchste Repräsentant der USA parteiübergreifend um Unterstützung wirbt. Dass Trump von solchen Traditionen und von einer staatsmännischen Attitüde nichts hält, kann kaum verwundern. Doch an diesem Dienstagabend bietet er eine regelrechte Geisterfahrt durch sein Paralleluniversum voller Verdrehungen, Lügen, Selbstbeweihräucherung und Stimmungsmache.
Ein ausgeglichener Haushalt und ein Mensch auf dem Mars
Es ist ein Auftritt der Superlative: Am Ende wird Trump 99 Minuten lang geredet haben - länger als jeder seiner Vorgänger. In seinem Vortrag wimmelt es von Milliarden und Billionen, die er in Bewegung setzt. Er verspricht den amerikanischen Bürgern „das goldene Zeitalter“, einen ausgeglichenen Haushalt und die Landung von Astronauten auf dem Mars. „Amerika ist zurück“, verkündet er unter dem Jubel der Republikaner gleich zu Beginn. Tatsächlich meint er vor allem sich selbst. Den Schwarzen Peter für alles, was nicht funktioniert, schiebt er den Demokraten, dem Kongress oder seinen Kabinettsmitgliedern zu.
Sechs Wochen ist Trump nun im Amt, auch wenn es sich wie eine kleine Ewigkeit anfühlt. Und an Aktivität hat es der 47. Präsident der USA wahrlich nicht mangeln lassen. Von dem Ausgabenstopp für alle Auslandshilfen über die Aufhebung von Umweltauflagen, den Austritt aus der Weltgesundheitsorganisation und die Abschaffung des Homeoffice für Staatsbedienstete bis zur Umbenennung des Golfes von Mexiko kann er daher eingangs eine lange Litanei angeblicher Erfolge vortragen.
Elon Musk verfolgt Trumps Rede von Ehrentribüne aus
Doch ehe er so richtig loslegen kann, wird er durch einen Zwischenrufer aus dem Block der Demokraten gestört. „Sie haben kein Mandat, Medicaid zu kürzen!“, brüllt der afroamerikanische Abgeordnete Al Green, der dem Parlament seit 20 Jahren angehört, und fuchtelt dabei aufgebracht mit seinem Gehstock herum. Zur Finanzierung ihrer Steuersenkungen wollen die Republikaner über zehn Jahre 880 Milliarden Dollar bei der Krankenversicherung für sozial Schwache kürzen. Einmal wird Green vom Repräsentantenhauschef Mike Johnson ermahnt. Dann komplimentieren ihn Parlamentsdiener aus dem Saal.
Trump schaut sich die Szene halb belustigt, halb kopfschüttelnd an. Die Fernsehbilder dürften ihm gefallen. Sie passen zu seinem Zerrbild der Demokraten als linksradikale Chaoten. Das Gegenbild verkörpert der Milliardär Elon Musk, der auf der Ehrentribüne über den Abgeordneten sitzen darf. Der Präsident begrüßt ihn überschwänglich und beginnt dann zum schenkelklopfenden Vergnügen seiner Parteifreunde mit einer Aufzählung von Verschwendung und Betrug, die der Kostenbulldozer angeblich aufgedeckt hat.
„Wir haben Hunderte von Milliarden Dollar gefunden“, verkündet Trump, obwohl selbst die von amerikanischen Medien widerlegte Erfolgsmeldung von Musk deutlich darunter liegt. Als erstes rasselt Trump vermeintlich absurde Projekte der geschlossenen Entwicklungsbehörde USAID auf, die allerdings vor allem deshalb kurios klingen, weil der Präsident mit süffisantem Ton die Namen der afrikanischen Empfängerländer so ausspricht, als handele es sich um Tiki-Taka-Land. „Lesotho“, sagt er einmal und zieht die Augenbrauen hoch: „Ein Staat, von dem niemand gehört hat.“
Wahrheit ist für Trump ein relativer Begriff
Den Republikanern gefällt das. Genauso wie die Aufzählung der angeblichen Leistungen der staatlichen Rentenversicherung für 3,9 Millionen Amerikaner, die über 130 Jahre alt sein sollen. Die Behauptung ist längst widerlegt. Aber Wahrheit ist für Trump ein relativer Begriff. So hat er angeblich von Joe Biden „einen ökonomischen Alptraum“ geerbt, obwohl die Wirtschaft brummte. Seit dem Beginn seiner Amtszeit sollen Konzerne Investitionen von 1,7 Billionen Dollar versprochen haben - eine Mondzahl. Und erneut behauptet er, dass die USA mehr als 350 Milliarden Dollar Hilfen an die Ukraine gezahlt habe, obwohl es tatsächlich nur die Hälfte war.
Noch grotesker sich die inhaltlichen Verdrehungen, wenn sich der Mann, der gerade die Nachrichtenagentur AP von seinen Pressekonferenzen ausgeschlossen hat, als Vorkämpfer der „Free Speech“ feiert. Die Zeiten, in denen „ungewählte Bürokraten“ geherrscht hätten, seien vorbei, sagt ernsthaft der Mann, der Elon Musk einen Persilschein für verfassungswidrige Übergriffe aller Art erteilt hat. Seine Regierung bringe „Respekt und Unterstützung“ für die Polizei zurück, sagt Trump, der 1500 Straftäter begnadigte, die beim Kapitolsturm 140 Polizisten teilweise schwer verletzten. Und dann hat er rührselig noch einen Jungen eingeladen, der unbedingt Polizist werden möchte und an Krebs leidet. „Der Kampf gegen Krebs bei Kindern ist eine unserer Prioritäten“, verkündet Trump. Die Mittel für die entsprechende Forschung hat er gerade gestrichen.
Trump rät Bewohnern von Grönland, sich von Dänemark loszusagen
Eher kurz widmet sich Trump den Auslandsthemen. Doch er beginnt nicht etwa mit der Ukraine, sondern mit dem Panamakanal. 38.000 Amerikaner seien im vorigen Jahrhundert bei dessen Bau gestorben, viele davon an Malaria: „Keine schöne Art zu sterben“, sagt Trump, als sei das Land Panama, dem Ex-Präsident Jimmy Carter den Kanal überantwortete, daran schuld. „Wir holen uns den Kanal zurück!“, verkündet er wie ein imperialer Herrscher. Nicht besser soll es Grönland ergehen, dessen Bewohnern er rät, sich freiwillig von Dänemark loszusagen und den USA anzudienen. Doch sein Werben ist kurz. „Wir brauchen das“, erklärt er apodiktisch: „Wir werden es auf die eine oder andere Weise bekommen.“ Europa, China, Kanada und Mexiko, die angeblich die USA „sehr unfair behandelt“ haben, sollen dafür mit Zöllen auf ihre Waren bezahlen. Für Kanada, Mexiko und China sind die Zölle schon in Kraft getreten. Europa wird massiv betroffen sein, wenn Washington am 2. April - wie von Trump zum wiederholten Mal bestätigt die gleichen Zölle wie der alte Kontinent erhebt, bei dem zudem die Mehrwertsteuer eingerechnet werden soll.
Noch am amerikanischen Vormittag vor der Rede hat sich der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj beim Weißen Haus gemeldet und den Eklat vom Freitag, bei dem er sich minutenlang hatte beschimpfen lassen müssen, „bedauerlich“ genannt. „Die Ukraine ist bereit, so schnell wie möglich zum Verhandlungstisch zu kommen“, verkündet Trump. Auch aus Moskau habe er „starke Signale“ erhalten, dass sie „zum Frieden bereit sind“. Konkreter wird er nicht. Auch den Rohstoffdeal, der gerüchteweise schon am Dienstag hätte unterschrieben werden sollen, erwähnt er mit keinem Wort.
Lebenshaltungskosten steigen unter Trump weiter
Ähnlich spärlich fallen Trumps Ausführungen zu den beiden Themen aus, die im Mittelpunkt seines Wahlkampfes gestanden hatten und ihm nach Meinung von Demoskopen den Sieg bescherten: Migration und vor allem die steigenden Lebenshaltungskosten. Der Präsident brüstet sich, dass die Zahl der illegalen Grenzübertritte auf ein Rekordtief gefallen sei. Allerdings hatte diese Bewegung schon im vorigen Sommer angefangen. Die von ihm angekündigten Massenabschiebungen haben derweil zwar Panik und Angst bei den Einwanderern verbreitet. Doch die Zahlen liegen bislang unter denen von Joe Biden. Trump soll darüber höchst unzufrieden sein. In seiner Rede fordert er, der Kongress müsse so schnell wie möglich die Mittel für mehr Personal bewilligen.
Die Lebenshaltungskosten sind unter Trump keineswegs gefallen. Im Gegenteil. Die Preise für Eier sind - auch aufgrund der Vogelgrippe - auf ein Rekordniveau gestiegen, was vielerorts für Ärger sorgt. „Joe Biden hat die Eierpreise völlig außer Kontrolle geraten lassen“, versucht der Präsident nun einen seiner ältesten Tricks - das Schwarze-Peter-Spiel. Tatsächlich dürfte es wirtschaftlich für viele Amerikaner in den nächsten Monaten noch schwieriger werden. Ökonomen sind sich weitestgehend einig, dass die Zölle und erwartbare Gegenreaktionen der betroffenen Länder zu steigenden Preisen in den USA führen werden.
Das hat Trump bislang immer vehement bestritten. Nun sagt der Mann der Superlative ganz nebenbei einen Satz, der wohl als Untertreibung des Jahres gelten darf: „Die Zölle machen Amerika wieder reich. Aber es kann ein paar Beeinträchtigungen geben. Die sind nicht zu stark.“