Die Kölner Strafrechtlerin Frauke Rostalski, Mitglied im Deutschen Ethikrat, lehnt eine Streichung des Abtreibungsparagrafen 218 aus dem Strafgesetzbuch strikt ab.
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Reform des Paragrafen 218Mehr „Freiheit“ zulasten des ungeborenen Lebens?
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Anlässlich einer Sachverständigenanhörung im Rechtsausschuss des Bundestags am 10. Februar demonstrieren Bündnisse mit einem überdimensionalen Uterus für sexuelle Selbstbestimmung und für die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen.
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Ein Gesetzentwurf zur Reform des „Abtreibungsparagrafen“ 218 im Strafgesetzbuch (StGB), über den Abgeordnete von SPD, Grünen und Linkspartei noch vor der Bundestagswahl im Parlament abstimmen lassen wollten, setzt sich zur Aufgabe, den Schwangerschaftsabbruch „liberaler“ zu gestalten. Schon sprachlich ist dies allerdings mehr als schief. Der Sache nach wird hier in Gestalt der (auf die Schwangere begrenzten) Entkriminalisierung für mehr Freiheit der Schwangeren zulasten der Freiheit und sogar des Lebens des Ungeborenen gestritten. „Liberaler“ ist dies also allenfalls aus einer bestimmten Perspektive.
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Professorin Frauke Rostalski
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Weil aber im Kontext des Schwangerschaftsabbruchs mindestens zwei Blickwinkel freiheitsrechtlich bedeutsam sind, sollte auch begrifflich klar formuliert werden. Ein bestimmtes Schwangerschaftsabbruchsrecht ist nicht mehr oder weniger liberal, sondern bringt die gegenwärtige gesellschaftliche Verteilung von Freiheitssphären zwischen Mutter und werdendem Kind zum Ausdruck.
Diese Verteilung kann mehr oder weniger lebensschützend oder aber selbstbestimmungsfreundlich ausgestaltet sein. Der Entwurf rückt das Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren in den Fokus. Kann aber eine Entkriminalisierung das Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren tatsächlich stärken? Voraussetzung dafür wäre es zunächst, dass die Entscheidung zur Beendigung der eigenen Schwangerschaft Ausdruck freier Selbstbestimmung ist. Dies kann aber nicht vorbehaltlos angenommen werden.
Derartige Entscheidungen erfolgen in aller Regel in einem Zustand sogenannter „prekärer Selbstbestimmung“. In dieser fragilen Situation besteht eine besondere Gefahr, dass es zu fremdbestimmten Übergriffen auf die Entscheidungsfreiheit der Mutter kommt.
Der Schwangerschaftsabbruch ist stets die Entscheidung gegen ein individuelles Leben.
Ob eine Schwangerschaft fortgesetzt werden soll, wird nicht selten in einem spezifischen Erwartungsumfeld entschieden, das durch die Vorstellungen ganz unterschiedlicher Akteure geprägt ist. Für das Prekäre der Entscheidungssituation spricht außerdem, dass die Betroffene die Konsequenzen des Abbruchs einer Schwangerschaft nicht vollständig überblicken kann.
Der Schwangerschaftsabbruch ist stets die Entscheidung gegen ein individuelles Leben. Ob sie später bereut wird, lässt sich zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht wissen. Diese Dimension des Lebens ist nicht einschätzbar. Sie erschwert zugleich die Annahme einer uneingeschränkt freiverantwortlichen Entscheidung für den Schwangerschaftsabbruch, zumal es sich dabei um einen Willensentschluss handelt, der mit dem menschlichen Leben ein bedeutsames Gut betrifft und daher besonders schwer wiegt.
Um die Schwangere real zu stärken, müsste ganz anders angesetzt werden.
Vor diesem Hintergrund ist von einer (teilweisen) Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs keine Stärkung der Selbstbestimmungsfreiheit der Schwangeren zu erwarten. Die Legalisierung nimmt der Entscheidungssituation der Schwangeren nicht das Prekäre, möglicherweise bewirkt sie sogar das Gegenteil. Der Sache nach verengt nämlich die Debatte darüber, ob der Schwangerschaftsabbruch (für die Schwangere) strafbar sein soll oder nicht, die Frage auf einen bloßen Konflikt zwischen der Schwangeren und dem Ungeborenen.
Um die Schwangere real zu stärken, müsste ganz anders angesetzt werden. Ein erster Schritt läge darin, kritisch zu fragen, welche Bedingungen in der Gesellschaft für jene gelten, die ein – womöglich behindertes – Kind (allein) großziehen. Ein gebotener Perspektivwechsel würde die Untragbarkeit bestehender Verhältnisse aufdecken, in denen alleinerziehende Frauen einem erhöhten Armutsrisiko ausgesetzt sind, Care-Arbeit in der Rente keine Berücksichtigung findet oder gelingende externe Kinderbetreuung von finanzieller Potenz abhängt. Gemeinschaft wird unter den gegebenen Bedingungen nicht gedacht als Zwischenmenschlichkeit und Solidarität über gesellschaftliche Ungleichheit, Stärke und Schwäche hinweg.
Kollektive Verantwortung wird auf die Schwangere verlagert.
Darin fügt sich der Ruf nach einer Stärkung von Selbstbestimmung zum Schwangerschaftsabbruch – mit einer höchst problematischen gesellschaftliche Verantwortungsdelegation: Kollektive Verantwortung wird auf die Schwangere verlagert. Ihr wird durch eine weitgehende Öffnung der Entscheidungsfreiheit zum Schwangerschaftsabbruch das vermeintlich Normale dieses Entschlusses nahegelegt. Die Schwangere wird dadurch nicht nur in ihrer prekären Entscheidungssituation allein gelassen. Darüber hinaus wird ihr ein Mehr an Verantwortung für den Fall übertragen, dass sie sich für das Kind entscheidet. Die Kehrseite einer weitgehenden Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs ist nämlich ein Weniger an gesellschaftlicher Verantwortung für Kinder, die gleichwohl in schwierigen Lebensumständen zur Welt kommen.
Anders ist es, wenn es bei der Regulierung von Schwangerschaftsabbrüchen bleibt: Aus einer solchen Freiheitsbeschränkung – gerade auch durch das Strafrecht – erwächst nämlich die staatliche Pflicht, Sorge dafür zu tragen, dass es gerade nicht die gesellschaftlichen Zustände sind, die den Wunsch zu einem Schwangerschaftsabbruch motivieren. Dieser Pflicht (endlich) angemessen nachzukommen, sollte im Fokus der Debatte über Schwangerschaftsabbrüche stehen – nicht aber die Frage einer Streichung des Paragrafen 218 StGB, die weder Schwangeren in ihrer Entscheidungsfreiheit noch alleinerziehenden Müttern, Familien mit behinderten Kindern etc. in ihrem täglichen Leben einen echten Vorteil bringt.
Der Gesetzgeber sollte dem Gesetzentwurf nicht folgen. Um Schwangere zu stärken, bedarf es einer geänderten Sozialpolitik – hierfür wären entsprechende Gesetzesvorschläge wünschenswert gewesen. Anstatt sich in alten Debatten und längst diskutierten Argumenten über die Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen zu verlieren, wäre es an der Zeit, die Selbstbestimmung Schwangerer durch tatsächlich geeignete Maßnahmen zu fördern. Hierzu bedarf es eines gesellschaftlichen Umdenkens und der ernstlichen Bereitschaft, soziale Missstände zu beheben, die derzeit insbesondere Alleinerziehende und die Kinder einkommensschwacher Eltern betreffen.
Der Text ist ein leicht bearbeiteter Auszug aus einer Stellungnahme unserer Kolumnistin für eine Anhörung im Rechtsausschuss des Bundestags. Darin ist auch ein Beitrag Rostalskis in der Zeitschrift für Medizinstrafrecht eingeflossen. (jf)