Wer ein Auto hat, hält den Tank gefüllt – damit man die Familie in Sicherheit bringen kann, wenn die Bomben fallen. Westliche Regierungen rufen ihre Staatsbürger zur Ausreise auf, doch die Flüge werden knapp.
ReportageBeirut wartet auf den Krieg
Autos stauen sich an der Auffahrt zum Rafic-Hariri-Flughafen in der libanesischen Hauptstadt Beirut, in der Abflughalle drängen sich die Menschen. Vor dem Eingang steht Mohammad, ein Franzose libanesischer Herkunft. Der 30-Jährige bricht seinen Urlaub in der alten Heimat ab, weil angesichts der drohenden Eskalation im Nahen Osten niemand weiß, wie lange man noch ausreisen kann. „Wir haben Angst, dass der Flughafen geschlossen wird“, sagt er. Zum Flughafen gebracht hat ihn sein Vater Bassam, der 62-Jährige und seine Ehefrau bleiben in Beirut. Die Kinder hätten sie zwar angefleht, auszureisen, sagt Bassam. „Aber das ist unser Land, unser Zuhause.“
Maram will mit ihren acht und neun Jahre alten Töchtern nach Düsseldorf fliegen, die Stimmung der 36-Jährigen schwankt zwischen Wut und Verzweiflung. Condor hat den Flug gestrichen, ihr Ehemann versucht gerade am Handy, Ersatz zu organisieren – kein einfaches Unterfangen, die verbliebenen Flüge sind meist ausgebucht. „Niemand hat Bescheid gesagt“, schimpft Maram. „Das geht gar nicht.“ Die Familie war gerade in Syrien, woher sie stammt, lebt aber in Gelsenkirchen, wo Maram Lehrerin an einer Gesamtschule ist. Wie sie dort nun hinkommen wird? „Keine Ahnung“, sagt sie.
Immer mehr Fluggesellschaften streichen die Verbindungen
Noch gehen Flüge von Beirut aus, immer mehr Fluggesellschaften streichen die Verbindungen aber. Westliche Regierungen fordern ihre Landsleute im Libanon dazu auf, das Land zu verlassen. Man rate Ausreisewilligen dazu, jedes verfügbare Ticket zu kaufen, heißt es etwa in einer E-Mail der US-Botschaft an Amerikanerinnen und Amerikaner im Land. Wer bleibe, solle sich darauf einstellen, „für einen längeren Zeitraum vor Ort Schutz zu suchen“. Die Bundeswehr bereitet sich auf einen Einsatz zur Evakuierung deutscher Staatsbürger vor.
Auf der Straße vom Flughafen in die Stadt erinnern riesige Plakate an diejenigen, deren Tötung mutmaßlich durch Israel zur jüngsten Eskalation geführt haben: Hamas-Auslandschef Ismail Hanija, der in Teheran Ziel eines Anschlags wurde, und Hisbollah-Kommandeur Fuad Schukr, der in Beirut bei einem Drohnenangriff ums Leben kam. Der Iran und die mit ihm verbündete Schiiten-Miliz Hisbollah, die mächtigste Kraft im Libanon, haben Vergeltung geschworen. Befürchtet wird, dass daraufhin wieder Israel zurückschlagen könnte – und der Konflikt sich zum Flächenbrand ausweitet.
Das hätte verheerende Konsequenzen weit über die Region hinaus, ganz besonders aber für den Libanon. Schon seit 2019 leidet das Land unter einer Wirtschafts- und Finanzkrise, die die Weltbank zu den schwersten weltweit seit Mitte des 19. Jahrhunderts zählt. Bei den Banken kommen Libanesen nicht mehr an ihr Erspartes, alle Guthaben sind seit 2019 eingefroren. Monatlich dürfen Bankkunden nur 200 Dollar (183 Euro) abheben.
Schukr wurde in den südlichen Vororten Beiruts getötet, einer Hisbollah-Hochburg, die im Fall von israelischen Luftangriffeen zum Ziel werden dürfte. Per Video lässt sich dort am Dienstag Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah zu seinen Anhängern schalten. „Keine Erniedrigung mehr“, skandieren sie. Unter ihnen ist der 16 Jahre alte Schüler Mahdi. Sollte es zum Krieg gegen Israel kommen, will er dabei sein. „Wenn mir erlaubt wird, daran teilzunehmen, werde ich gehen“, sagt er.
Nasrallah kündigt Vergeltung an, lässt aber offen, wann es dazu kommen soll. Dass man Israel warten lasse, sei Teil der Bestrafung, sagt er. Kurz vor seiner Ansprache durchbrechen israelische Kampfjets über Beirut die Schallmauer, der Knall ist eine deutliche Machtdemonstration.
Die Stimmung in Beirut ist angespannt
Anwohner berichten, Hisbollah-Vertreter erstellten in den südlichen Vororten Listen von Familien, die bleiben wollten, um ihnen Anweisungen für Schutzräume zukommen lassen. Rabih (33) ist Verkäufer in einem Parfümladen in der Gegend, wie andere Libanesen auch achtet er in diesen Tagen besonders darauf, dass der Tank seines Wagens immer voll ist. „Ich würde sofort fliehen“, sagt er mit Blick auf einen möglichen Kriegsausbruch. Am liebsten würde er vorsichtshalber schon jetzt eine Wohnung in den Bergen mieten, könne sich das aber nicht leisten – an sicheren Orten sind die Mieten explodiert.
Die Stimmung in Beirut ist angespannt, aber noch geht das Leben für die meisten Menschen seinen gewohnten Gang. Geschäfte und Cafés sind offen, Menschen arbeiten, Autos stauen sich auf den Straßen. Im christlich geprägten Viertel Ain Roumaneh betreibt George einen Lebensmittelladen, der 68-Jährige sagt, noch beobachte er keine Hamsterkäufe. „Die Menschen kaufen Vorräte, sobald die Bombardements starten.“
In Ain Roumaneh stehen die Menschen der Hisbollah kritischer gegenüber als in den südlichen Vororten. Zu Sympathisanten Israels macht sie das nicht. „Ich bin für einen Krieg, damit wir es hinter uns haben und Israel endlich loswerden“, sagt Pierre (67), der gerade bei George einkauft. „Israel ist das Krebsgeschwür des Nahen Ostens.“ Elias, der von einem Tischchen vor seinem Haus aus das Straßengeschehen beobachtet, sieht das anders. Der 87-Jährige ist strikt gegen eine Eskalation, er sagt: „Die Hisbollah zieht uns in einen Krieg, an dem wir nicht beteiligt sein sollten.“