Elf Monate lang durfte der Skandalpolitiker George Santos trotz aberwitziger Lügen im US-Kongress bleiben. Nun verliert er sein Mandat.
Skandal-AbgeordneterRepublikaner George Santos aus US-Repräsentantenhaus geworfen
Am Ende konnte er das Gebäude, das er zu seinem Theater gemacht hatte, gar nicht schnell genug verlassen. „Warum sollte ich hier bleiben wollen?“, rief George Santos den vor dem Washingtoner Kongress wartenden Journalisten zu: „Zur Hölle mit diesem Platz!“, wütete der 35-Jährige, bevor er in einem schwarzen Jaguar-SUV mit getönten Scheiben entschwand.
Es war das Finale einer absurden Schmierenkomödie, die elf Monate lang den ohnehin gewöhnungsbedürften Politbetrieb der amerikanischen Hauptstadt überschattet hatte. Und natürlich war auch der letzte Akt, wie praktisch alles an der Existenz des republikanischen Abgeordneten aus New York, gelogen: Bis zuletzt hatte Santos mit allen Mitteln um seinen Verbleib im Repräsentantenhaus gekämpft - und war dabei lange vom Führungskader seiner Partei unterstützt worden.
Santos hat seine Biografie komplett erfunden
Zweimal schon waren Versuche gescheitert, den Hochstapler, der seine Biografie komplett erfunden hat, mutmaßlich Spendengelder veruntreute und sich wegen 23 Straftaten (darunter Fälschung von Finanzunterlagen, Identitätsdiebstahl und Geldwäsche) vor Gericht verantworten muss, aus dem Parlament zu werfen. Auch am Freitag war - trotz neuer verheerender Enthüllungen - bis zuletzt nicht klar, ob die Stimmenmehrheit zustandekommen würde. Doch dann votierte knapp die Hälfte der republikanischen Parlamentarier mit den Demokraten und besiegelte damit den erst sechsten Auschluss eines Abgeordneten aus dem Repräsentantenhaus in der US-Geschichte. Die ohnehin hauchdünne Mehrheit der Republikaner schrumpft damit auf drei Stimmen.
Die Geschichte von George Santos ist so aberwitzig, dass sie den Hochstapler-Thriller „Der talentierte Mr. Ripley“ einfallslos wirken lässt und als Drehbuch in Hollywood wahrscheinlich durchgefallen wäre: Angeblich stammte der adrette junge Mann mit der markanten Brille und dem notorischen Pulli unterm Anzugsjackett, der sich im November 2022 für einen Sitz im Parlament bewarb, von einer jüdischen Familie ab, die dem Holcaust entflohen war. Seine Mutter hatte den Terroranschlag vom 11. September 2001 in den Türmen des World Trade Centers überlebt. Der fleißige Sohn erwarb einen Master in Wirtschaftswissenschaft an der New York University und machte danach an der Wallstreet beim Investmenthaus Goldman Sachs Karriere.
Santos gab an, aus vom Holocaust geflüchteter jüdischer Familie zu stammen
Nichts davon stimmte, wie sich inzwischen herausgestellt hat: Seine ganze Lebensgeschichte hatte Santos, der als Sohn nicht-jüdischer Einwanderer aus Brasilien ins Land kam, schlichtweg erlogen. Weder hat er einen Hochschulabschluss gemacht noch, bei Goldman Sachs gearbeitet. Natürlich war seine Mutter auch nicht im World Trade Center gewesen. „Wir sind doch alle Sünder“, sagte der Abgeordnete Tim Burchett noch am Freitag und stimmte gegen den Rauswurf.
Doch bei anderen Republikanern war die Stimmung gekippt, nachdem der Ethik-Ausschuss des Repräsentantenhauses im November seinen Bericht vorgelegt hatte. Das 55-seitige Dokument ist spannender als mancher Krimi: Offenbar hat Santos in großem Umfang Spendengelder seiner Kampagne abgezweigt und für sein Luxusleben missbraucht. So wurden ein 1400 Dollar teurer Besuch in einer Schönheitsklinik und eine 1500 Dollar teure Botox-Behandlung mit der Debit-Karte der Kampagne bezahlt.
Abgeordneter bezahlte Botox-Behandlung mit Spendengeldern
Auch ein Wochenende auf den edlen Hamptons im Osten von Long Island für 3000 Dollar ging zulasten der Wahlkampfkasse. Mutmaßlich landeten aus diesem Topf zudem 4000 Dollar in einem Hermes-Laden und 6000 Dollar beim Edel-Ausstatter Ferragamo. Santos soll die Zweckentfremdung verschleiert haben, indem er sich ein fiktives Eigen-Darlehen über 80.000 Dollar sukzessive vom Kampagnen- auf das Privatkonto zurückzahlte, während er tatsächlich privat hochverschuldet war.
„Bei praktisch jeder Gelegenheit stellte er das Verlangen nach privatem Gewinn über seine Verpflichtung, die Verfassung, die Gesetze und ethische Prinzipien zu achten“, lautete das vernichtende Fazit der paritätisch mit Republikanern und Demokraten besetzten Kommission: „Santos hat versucht, jeden Aspekt seiner Kandidatur für das Parlament für seinen persönlichen finanziellen Vorteil auszunutzen.“
Das Verdikt bestätigte im Grunde nur, was sich seit den ersten Enthüllungen vom Januar abzeichnete. Doch während im Wochentakt neue Ungeheuerlichkeiten aus dem Lügengebäude des Skandal-Politikers offenbar wurden, versuchte sich dieser nicht etwa zu verstecken, sondern suchte mit einer atemberaubenden Chuzpe gierig das Scheinwerferlicht.
Republikaner deckten Santos bis zuletzt
Vor seinem Büro lungerten meist ein paar Kamerateams, und Santos erzählte ihnen bereitwillig immer neue Lügen- und Verschwörungsgeschichten. Früh hatte er sich auf die Seite von Donald Trump geschlagen und kopierte von seinem Meister den empörten Gestus der verfolgten Unschuld. „Eine Hexenjagd“ sei das alles, wetterte der angeblich schwule Abgeordnete und inszenierte sich als Vorkämpfer aller Diskriminierten und ungerecht Vorverurteilten.
Die Parteispitze um Kevin McCarthy und später Mike Johnson dürfte ihm diese Attitüde kaum abgenommen haben. Trotzdem deckte sie den Betrüger bis zuletzt, weil sie seine Stimme nicht verlieren wollte. Nach dem Rausschmiss kann sich Parlamentschef Johnson nun nur noch drei Abweichler aus den eigenen Reihen leisten. Im New Yorker Wahlkreis von Santos wird es derweil eine Nachwahl geben. Sollte es den Demokraten gelingen, den Sitz zu erobern, würde die rechte Mehrheit im Washingtoner Repräsentantenhaus noch dünner.