Robert Habeck geht für die Grünen als Kanzlerkandidat ins Rennen. Alle Aufmerksamkeit gilt ab jetzt der Neuwahl des Bundestages.
Die Grünen starten in den WahlkampfWie Robert Habeck nach dem Ampel-Aus das Ruder wieder herumreißen will
Den Höhepunkt des Grünen-Parteitages hatten dessen Regisseure ganz ans Ende gelegt: die Kür des noch amtierenden Vizekanzlers Robert Habeck zum Kanzlerkandidaten. Die Delegierten hoben ihn mit 96,48 Prozent auf den Schild. Zuvor hatte der 55-Jährige in einer knapp einstündigen Rede seinen Plan unterbreitet. Er werbe um das Vertrauen, die Verantwortung weiter tragen zu dürfen, sagte Habeck – „und wenn es uns ganz weit trägt, dann auch ins Kanzleramt“.
Dabei rührte Außenministerin Annalena Baerbock, die 2021 Kanzlerkandidatin gewesen war, noch intensiver die Werbetrommel für Habeck als dieser selbst. „Hier kann alles gehen, weil wir im Team unschlagbar sind – mit unserem Robert an unserer Spitze“, sagte sie und fügte Sätze hinzu wie: „Keiner kann im Sturm das Ruder so rumreißen wie Robert Habeck und zugleich bei Rückenwind die Segel richtig setzen.“ Beide bilden laut Beschluss ein „Spitzenduo“.
Zehn Tage nach dem Zusammenbruch der Ampelkoalition segeln die Grünen in Richtung Neuwahl des Bundestages. Sie müssen wie alle anderen Parteien sehr schnell sehr viele Entscheidungen treffen – und haben damit in Wiesbaden begonnen.
Das Personal und der Apparat
Die Grünen kürten dort nicht nur Habeck. Sie wählten auch einen neuen Bundesvorstand. Für die nach einer Serie von Wahlniederlagen zurückgetretene Ricarda Lang rückte Franziska Brantner nach – die Frau vom realpolitischen Flügel bekam 78 Prozent der Stimmen. Der ebenfalls zurückgetretene Omid Nouripour wurde vom gemäßigt linken Felix Banaszak abgelöst, der 92 Prozent erhielt. Wahlkampfleiter wird Vizefraktionschef Andreas Audretsch.
Als der alte Bundesvorstand im September nach einer Serie krasser Wahlniederlagen geschlossen seinen Hut nahm, schien es, als würde der neue Bundesvorstand mindestens ein Jahr lang amtieren. Jetzt ist klar: Schon nach dem Wahltag am 23. Februar könnten sich die Grünen erneut neu aufstellen müssen – im Fall einer erneuten Regierungsbeteiligung ebenso wie im Fall einer Wahlniederlage.
Auch der grüne Apparat kommt in Bewegung. So wird die Bundesgeschäftsstelle dem Vernehmen nach um 20 Mitarbeiter aufgestockt, teilweise mit Habeck-Vertrauten. Wegen des Winterwahlkampfes müssen Kundgebungen in teuren geschlossenen Räumen geplant, Slogans erdacht und Plakate gedruckt werden.
Freilich spüren die Grünen Rückenwind. Seit dem Ampelkollaps sind laut Parteiangaben rund 11.000 Menschen neu eingetreten. Das sei auch deshalb „höchst erfreulich“, weil der durchschnittliche Mitgliedsbeitrag pro Monat 16,16 Euro betrage, allein der Parteitag in Wiesbaden zwei Millionen Euro koste und am 26. Januar ein ebenfalls teurer Wahlparteitag folgen solle, heißt es. Fest steht: Motivierte Mitglieder und Geld können in einer Wahlkampagne nicht schaden.
Das Programm
Das Wahlprogramm soll kürzer ausfallen als bei Bundestagswahlen üblich und beim Wahlparteitag verabschiedet werden. Schon Anfang Dezember soll der Bundesvorstand einen Entwurf vorlegen. Ein herausragendes Thema wird der Klimaschutz sein – wobei Habeck in seiner Rede hervorhob: „Es geht doch nicht um das Klima, wenn wir das Klima schützen, sondern um die Menschen.“
Zugleich wollen sich die Grünen als Partei der sozialen Gerechtigkeit profilieren. Offen ist, ob das Wahlprogramm so weit geht wie programmatische Entscheidungen am Wochenende. Die Mehrheit der Delegierten sprach sich zum Beispiel für ein komplett neues Erbschaftsteuermodell aus. Vorgesehen ist ein „Lebensfreibetrag für alle“ von beispielsweise einer Million Euro statt der bisherigen Freibeträge, die vom Verwandtschaftsverhältnis zwischen Erblasser und Erben abhängen. Oberhalb des Freibetrags soll dann ein linearer Steuersatz von etwa 25 Prozent für alle Vermögensgegenstände gleichermaßen gelten – inklusive Immobilien, Betriebsvermögen und Aktien. Habeck indes liebäugelt eher mit dem Schließen von Steuerschlupflöchern.
Überhaupt wirkt es so, als wolle die Grünen-Spitze auf Forderungen verzichten, durch die sich der potenziell nächste Koalitionspartner – die Union – provoziert fühlen könnte. Mit CDU und CSU wird es eine radikale Reform der Erbschaftssteuer jedenfalls nicht geben. Gleiches gilt für Forderungen der Wiesbadener Delegierten nach einem Tempolimit von 130 Kilometern pro Stunde auf Autobahnen oder die Abschaffung von Arbeitsverboten für Ausländer.
Der Kandidat
Robert Habeck ist jetzt das, was er 2021 zum eigenen Schrecken nicht werden konnte: Kanzlerkandidat. Gleichwohl trat er in Wiesbaden selbstkritisch auf und räumte etwa Fehler beim Heizungsgesetz ein. Dessen erster und enorm umstrittener Entwurf habe „vielen Menschen viel zugemutet“, sagte er. Erst als Konsequenz der Kritik und des anschließenden Lernprozesses sei daraus „ein gutes Gesetz geworden“.
Schließlich gab sich der Bundeswirtschaftsminister als Teamspieler. So hat er sich nach eigenen Worten außerordentlich geärgert über Berichte, aus den Grünen ein „Bündnis Robert Habeck“ machen zu wollen. „Wenn ihr glaubt, dass ich so wäre“, rief er freimütig in den Saal, „dann wählt mich bitte nicht.“