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Rückkehr zu G9Wird das Lernen jetzt stressfreier?

Lesezeit 7 Minuten
G9 statt G8

Weg mit dem „Turbo-Abi“. NRW kehrt wieder zu G9 zurück, G8 soll aber möglich bleiben.

Düsseldorf – Ministerin Yvonne Gebauer hat große Hoffnungen geweckt. Endlich soll das umstrittene Turbo-Abitur abgeschafft werden. Das Kabinett hat am Dienstag den Gesetzesentwurf verabschiedet. Ende März wird er in den Landtag eingebracht, noch vor der Sommerpause soll das neue Schulgesetz verabschiedet und das Abitur wieder nach neun Jahren (G9) möglich werden. Aber nicht alles wird genauso sein wie vorher. Ein Überblick:

Warum kommt der Wechsel?

Elterninitiativen und Gewerkschaften haben lange gekämpft, damit das Modell G8 abgeschafft wird. Nach den Erfahrungen von Schülern und Lehrern war klar: So konnte das nicht bleiben. Ein ganzes Schuljahr wurde bis zum Abitur gestrichen, der Unterrichtsstoff aber nur komprimiert. Die Schüler mussten bis zum Nachmittag in den Gymnasien bleiben, um alles bewältigen zu können. Und zu Hause wurde weitergelernt.

War das nur in NRW so?

Keineswegs. Erst führten fast alle Bundesländer das G8 ein. Dann wollten Politiker aller Parteien möglichst bald zum früheren System zurückkehren. Niedersachsen fing bereits vor einigen Jahren mit der Umstellung an. In Hessen und Baden-Württemberg laufen beide Wege nebeneinander. Auch Bayern kehrt zurück zu G9. Das Schulmodell wurde bundesweit zu einem großen Wahlkampfthema, das alle Parteien beschäftigte. Thema: Die Schule muss wieder stressfreier werden. Es kam zu einem länderübergreifenden „G8xit“.

Wird die Schule denn jetzt stressfreier?

Das ist in der Tat ein großer Streitpunkt. Viele sagen, so stressfrei wird auch G9 nicht werden. In diesem Modell ist eine Gesamtwochenstundenzahl von 188 Stunden vorgesehen, von denen acht frei verfügbar sein sollen. G9 soll so auch als Halbtagsbetrieb möglich sein. Die Lehrer fordern, dass man nun nicht wieder den Unterrichtsstoff überfrachten darf, denn eins-zu-eins werde man nicht zum alten Modell zurückkehren, das erklärte unlängst der Staatssekretär der Schulministerin, Mathias Richter. Wie auch? Schließlich gibt es neue Herausforderungen wie das Thema Digitalisierung, das sich durch alle Fächer ziehen soll. Auch die Kernkompetenzen für wirtschaftliches Wissen sollen bei den künftigen Abiturienten gestärkt werden.

Wann wird die zweite Fremdsprache unterrichtet?

Hier wird es in der Tat Entlastung für die Schüler geben. Denn im G9-Modell wird die zweite Fremdsprache – ob Französisch, Latein oder Spanisch – erst in der siebten Klasse unterrichtet. Allerdings stand das am Ende wohl auch ein wenig auf der Kippe, da es auch Fürsprecher gab, die die zweite Fremdsprache ab der sechsten Klasse gelehrt sehen wollten.

Wechseln alle Gymnasien in den G9-Modus?

Ja. Und nein. Zunächst einmal wird es an allen Gymnasien das G9-Modell geben. Das ist die Leitentscheidung der Landesregierung. Allerdings hat die Ministerin das sogenannte Optionsmodell in den Gesetzesentwurf schreiben lassen. Das heißt, dass Gymnasien auf ihrer Schulkonferenz mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit plus einer Stimme entscheiden können, beim G8-Modell zu bleiben. Zudem können unter bestimmten Bedingungen auch die Schulträger, also die Kommunen, den Verbleib beim G8-Modell durchsetzen, sofern der Rückgang auf G9 einen gravierenden Einfluss auf die örtliche Schulentwicklung haben würde. Der Einfluss der Schulträger wird im Gesetzesentwurf also gestärkt.

Wie steht es um die Kosten?

Das ist eine der zentralen Fragen. Das sogenannte Konnexitätsprinzip will, dass sobald ein Gesetz Kosten verursacht, auch Klarheit über deren Höhe herrscht. Die Regierung hat im Einvernehmen mit den kommunalen Spitzenverbänden ein Gutachterteam beauftragt, eine Prognose zur Höhe der zu erwartenden Belastungen zu ermitteln. Diese stützt sich auf die Erhebung der Träger der Gymnasien. Wenn das Gesetz zu G9 in den Landtag eingebracht wird, soll und muss Klarheit über die Höhe der Aufwendungen herrschen. Diese resultieren vor allem aus dem erhöhten Bedarf an Schulklassen. In Köln ist der Bedarf so groß, dass man umgerechnet fünf neue Gymnasien benötigen würde, um die Schüler unter annehmbaren Umständen unterrichten zu können. Zudem steigt die Schülerzahl auch aufgrund einer erhöhten Geburtenrate. Klares Ziel der Landesregierung ist es daher, neue Lehrer zu gewinnen. Man rechnet mit einem Bedarf von 2200 Pädagogen. Genaue Zahlen würden erst dann vorliegen, wenn klar ist, wie viele Schulen bei G8 bleiben.

Und wie viele werden das ungefähr sein?

Man geht wie in Hessen davon aus, dass etwas mehr als 90 Prozent der Schulen zu G9 zurückkehren. Ungefähr 50 Schulen sind nicht sicher, welchen Weg sie gehen.

Welche Neuerungen gibt es noch?

Die Schüler müssen am Ende der Klasse 10 an einer zentralen Abschlussprüfung teilnehmen. So erwerben sie den mittleren Schulabschluss und auch die Berechtigung für die Oberstufe, sofern sie versetzt werden. Auch damit liegt Schulministerin Gebauer auf gemeinsamem Kurs mit den Verbänden wie der GEW. G8-Schüler können nach wie vor am Ende der Einführungsphase (ebenfalls Klasse 10) den mittleren Schulabschluss erwerben.

Wird es einen Jahrgang ohne Abitur geben?

In der Tat. Der Übergang schafft auch einige Probleme. Der letzte G8-Jahrgang legt das Abitur 2025 ab, der erste G9-Jahrgang erlangt die allgemeine Hochschulreife mit der Abiturprüfung 2027. Zwischen ihnen liegen also zwei Jahre. Das Jahr 2026 ist also ein abiturfreies Jahr. Rechnet man zurück, erkennt man, dass es im Schuljahr 2023/24 keine 11. Klasse als Eingangsstufe geben wird. Ein Problem für die Schüler der Sekundar, Real- oder der Hauptschulen, wenn sie in die Oberstufe eines Gymnasiums wechseln möchten.

Dasselbe Problem ergibt sich auch für Sitzenbleiber?

So ist es. Wer im letzten Jahrgang des G8-Modus in die gymnasiale Oberstufe wechselt, also hier in die 10. Klasse, und die Einführungsphase nicht übersteht, hat ein Problem. Denn unter ihm fehlt eine ganze Stufe. Die G9-Schüler befinden sich dann in der Klasse 10 und kommen erst ein Jahr später in die Stufe elf.

Wo also sollen diese Schüler hin?

Das Ministerium plant, dass sowohl diese Sitzenbleiber also auch Realschüler oder Sekundarschüler, die im Jahr 2023 auf das Gymnasium wechseln wollen, an G8-Gymnasien untergebracht werden sollen. Oder sie sollen an Schulen, wo besonders leistungsstarke Schüler in gesonderten Gruppen unterrichtet werden, die eine Leistungsklasse überspringen. Die GEW-Landesvorsitzende Dorothea Schäfer hält das für keine gute Idee: „Ich rate den Schülern, dann eher eine nahe gelegene Gesamtschule zu wählen“, sagte sie.

Müssen auch die Lehrpläne überarbeitet werden?

Die Verbände sind aufgefordert worden, vorzuschlagen, wie die Lehrpläne zu allen Fächern aussehen sollen. Noch vor den Osterferien soll es in der Qualitäts- und Unterstützungs-Agentur in Soest mit den Verbänden einen Austausch über die jeweiligen Vorstellungen geben. Das Bemühen, die Basis mit einzubeziehen, ist deutlich erkennbar. Die Schulen müssen zudem ihre internen Curricula erarbeiten. Die Gewerkschaft forderte daher, dass die Qualitätsagentur auch Musterpläne vorgeben sollte, damit nicht jede Schule das Rad neu erfinden müsse. Die Lehrpläne für den achtjährigen Bildungsgang passen nicht auf den neunjährigen, betonen Experten. Der Lehrplan wird zudem um die Fächer Digitalisierung und Wirtschaft erweitert. Vermeiden will man aber, dass zu viel Stoff in die Lehrpläne gepackt wird.

Was sagen die Lehrer?

„Wir begrüßen die Abschaffung des Turboabiturs. Leider fehlt aber die letzte Konsequenz“, erklärt Stefan Behlau, Vorsitzender der Lehrergewerkschaft Verband Bildung und Erziehung (VBE) NRW.

Wie sieht der Zeitplan aus?

Die Zeit ist eine der größten Herausforderungen für Ministerin Gebauer. Sie wollte Tiefe statt Tempo, jetzt aber hat sie den Terminplan im Nacken. Nachdem das Kabinett den Gesetzesentwurf verabschiedet hat, wird er Ende März in den Landtag eingebracht. Dort sind drei Lesungen vorgesehen. Zudem wird es eine Anhörung der Verbände, Gewerkschaften und kommunalen Spitzenverbände geben. Stellungnahmen zum Gesetz werden abgegeben. Es wird eine Anhörung im Schulausschuss geben, und dann soll der Landtag das Gesetz beschließen können. Es gilt die Regel: Kein Gesetz geht so aus dem Landtag raus, wie es reingekommen ist. Doch diesmal ist der Fall anders. Die Landesregierung jedenfalls wird versuchen, ihre Vorlage mit großer Wucht durchzubringen. „Es wird extrem eng“, sagt die GEW-Landesvorsitzende Schäfer. Das sieht auch das Ministerium so. Der Vorteil: Im Gesetz selbst werden viele Streitpunkte ausgespart. Sie finden sich aber in der Ausbildungs- und Prüfungsordnung.

Wie sieht der Zeitplan für Schüler und Lehrer aus?

Die Schulkonferenzen entscheiden über einen etwaigen Verbleib bei G8, das passiert zu Beginn des Schuljahres 2018/2019. Die Anmeldungen an den Gymnasien für das Schuljahr 2019/2020 sollen Februar/März 2019 stattfinden. Am 1. August 2019 wird auf den Gymnasien wieder auf G9 umgestellt. Die fünften Klassen sind dann im G9-Modus. Auch die sechste Klasse wechselt in dem Jahr dann in das Abitur nach neun Jahren. Das Turbo-Abi ist dann an den meisten Schulen Geschichte.