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Politikerinnen im VergleichSahra Wagenknecht und Alice Weidel – ihre Ähnlichkeiten, ihre Unterschiede

Lesezeit 8 Minuten
Sie sind voraussichtlich die einzigen Spitzenfrauen im Bundestagswahlkampf 2025: Sahra Wagenknecht (BSW) und Alice Weidel (AfD)

Sie sind voraussichtlich die einzigen Spitzenfrauen im Bundestagswahlkampf 2025: Sahra Wagenknecht (BSW) und Alice Weidel (AfD)

Sahra Wagenknecht (BSW) und Alice Weidel (AfD) sind politisch direkte Konkurrentinnen. Versuch eines parallelen Psychogramms.

Sie polarisieren. Sie provozieren Widerspruch. Und ihre Leben sind von Widersprüchen geprägt. Sie sind und waren lebenslang Außenseiterinnen, nicht nur politisch.

Sahra Wagenknecht und Alice Weidel werden im kommenden Bundestagswahlkampf voraussichtlich die einzigen Frauen in einer Männerriege sein. Olaf Scholz, Friedrich Merz, Robert Habeck, Christian Lindner werden die so genannten etablierten Parteien vertreten. Wagenknecht und Weidel sind ihre populistischen Gegnerinnen. Eine von links-rechts, eine von ganz rechts.

Wie ähnlich sind sich die beiden Konkurrentinnen, was unterscheidet sie?

Die Schärfe ihrer Reden, die Maßlosigkeit ihrer Vorwürfe gleichen einander

Beide haben ihr Outfit zur jederzeit wiedererkennbaren Marke gemacht und zugleich zur schützenden Uniform: Hochsteckfrisur und Kostüm die eine. Zopf, weiße Bluse und Jackett die andere. Bei beiden gilt: Mal mit Halskette, mal ohne.

Die Schärfe ihrer Reden, die Maßlosigkeit ihrer Vorwürfe gleichen einander: Dummheit und Inkompetenz, wohin man schaue – so ihr Credo. Das Land gehe den Bach herunter, die Grünen seien an allem schuld, und in der alten Bundesrepublik sowie in der DDR sei vieles besser gewesen. Weidel stützt sich dabei meist auf das Rednerpult, gestikuliert mit halb ausgeklapptem Zeigefinger. Wagenknecht steht kerzengerade, streckt die Arme ein ums andere Mal in großen Bögen dem Publikum entgegen.

Wagenknecht nennt Weidel „nicht rechtsextrem“

Politisch beackern Weidel und Wagenknecht ein ähnliches Feld: Ob Ukraine-Krieg, Corona-Aufarbeitung oder Zuwanderung – die Positionen ähneln sich teilweise so sehr, dass Weidel dem BSW „Themenklau“ vorwirft. Wagenknechts Bündnis sei zum „Steigbügelhalter der etablierten Parteien“ geworden, und es spalte „das regierungskritische Lager“, kritisiert Weidel gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).

Doch während Wagenknecht, die zur Populistin gewandelte Kommunistin, nie den Boden der Verfassung verlässt (und solche, die das tun, wie ihr früherer Gefährte Dieter Dehm, aus dem BSW fernhält) geht Weidel weit darüber hinaus. Im Landtagswahlkampf raunte sie sogar im Stile einer Verschwörungserzählerin, die Regierung hätte das BSW als „Scheinopposition“ mit aufgebaut, nach dem Vorbild autokratischer Systeme, um die AfD „in Ostdeutschland von der Macht wegzuhalten“. Wagenknecht alleine hätte den Aufbau einer neuen Partei nie bewerkstelligen können.

Die Bundesrepublik als Autokratie? Glaubt Weidel das wirklich?

Wagenknecht verliert über Weidel kein kritisches Wort: „Frau Weidel vertritt keine rechtsextremen Positionen“, sagt sie immer wieder – das unterscheide sie in der AfD etwa vom Thüringer Wahlsieger Björn Höcke.

Nur Wagenknecht ist auf der Talkshowbühne zu Hause

Am kommenden Mittwoch treffen Wagenknecht und Weidel erstmals im Fernsehen aufeinander, im „Duell“ bei „Welt-TV“. Eine Konstellation, die beider Marktwert hebt und für eine von ihnen riskanter ist als für die andere. Wagenknecht ist auf der Talkshowbühne zu Hause. Weidel hängt bis heute nach, dass sie 2017 aus einer Livesendung stürmte und Minuten später die Moderatorin Marietta Slomka als „parteiisch und vollkommen unprofessionell“ beschimpfte. Ein kalkulierter Eklat, dem in den folgenden Jahren eine Reihe von Absagen für Talkshows folgten.

Wagenknecht ist da anders. Auch wenn sie von Markus Lanz oder Caren Miosga hart angegriffen wird, bleibt sie sitzen: „Man geht dahin, um sich einer Diskussion zu stellen; also bleibt man auch bis zum Ende“, sagte sie einmal der „Bild“. Was sie gerne tut, ist, sich bei ihrer Meinung nach ungehörigen Fragen über deren „Niveau“ zu beklagen. Das klingt zwar arrogant und ist es auch, bringt aber bei Wohlgesonnenen dennoch Sympathiepunkte.

Beide sind das Gegenteil einer „bürgernahen Politikerin“

Bezeichnenderweise antwortet Weidel auf die Frage, was sie an Wagenknecht schätze, ausgerechnet „ihre politische Beharrlichkeit und ihre stoische Ruhe in kontroversen Debatten“. Das klingt schon fast bewundernd.

Beide verbindet bei allen Unterschieden mehr, als sie vielleicht selber wahrhaben wollen. Als erste Gemeinsamkeit fällt ins Auge: Beide sind das Gegenteil einer „bürgernahen Politikerin“. Beide brillieren auf der Bühne, sie lassen vielleicht auch Selfies mit sich machen oder signieren Bücher. Aber für das Zwiegespräch, für den direkten, zufälligen Kontakt am Rande von Wahlveranstaltungen, fehlt meist schon die Zeit. Aber das Getriebene liegt ihnen auch. „Sie kommt mit der Limousine am Hintereingang vorgefahren, hält ihre Rede und ist dann sofort wieder weg“, sagt eine langjährige politische Weggefährtin über Wagenknecht. Einen Vortrag vor einer Gewerkschaftsgliederung halten, bei einem Streik um sechs Uhr morgens in Warnweste vorm Werkstor stehen? Niemals. „Aber abends erklärt sie, dass die Linkspartei die Arbeiterklasse verraten habe“, beklagt sich die Ex-Genossin.

Ein früherer Parteikollege sagt: Distanz sei der Kern des Erfolgsmodells von Sahra Wagenknecht.

Ein früherer Parteikollege sagt: Distanz sei der Kern des Erfolgsmodells von Sahra Wagenknecht.

Menschen? Nein, Menschen seien nicht so ihr Ding, sagt ein anderer führender Politiker ihrer früheren Partei. Aber genau dieser scheinbare Makel erkläre Wagenknechts Starstatus. „Distanz ist der Kern ihres Erfolgsmodells.“

Das käme ihnen sehr bekannt vor, sagen Vertreter aus der obersten AfD-Führung über diesen Satz. Aber sie denken dabei an Weidel, nicht an Wagenknecht.

In beider Leben spielt der Vater eine große Rolle

Vom Alter trennen Wagenknecht und Weidel fast zehn Jahre, von der Lebenserfahrung ein untergegangenes Herkunftsland. Und in beider Leben spielt der Vater eine große Rolle, bei der einen als Abwesender, bei der anderen als Vorbild – aber auch als Traumatisierter.

Sahra Wagenknecht wurde vor 55 Jahren in Jena geboren, in ihren Geburtsdokumenten stand zuerst „Sarah“, mit dem „h“ hinten, da die gewünschte persische Schreibweise den DDR-Standesbeamten zu fremd erschien. Sie war Einzelkind einer faktisch alleinerziehenden, sehr jungen Mutter. Der Vater studierte in West-Berlin, konnte seine Familie nur mit Tagesvisum besuchen. Wagenknecht verliert ihn schon als Kleinkind. Nach einer Reise in den Iran kehrte er nicht zurück, gilt bis heute als verschollen. „Ich weiß ja nicht, wie mein Leben verlaufen wäre, wenn mein Vater dageblieben wäre. Natürlich ist das ein Verlustschmerz, den man mit ins Leben nimmt“, sagte sie 2011 in einem „Zeit“-Interview.

Sie versucht dem Verschwundenen nahe zu sein, kleidet sich orientalisch, liest persische Dichter, schreibt noch als Jugendliche Briefe in kaum lesbarer, ans persische Schriftbild erinnernder Kalligrafie.

Die Flucht wird zum Familientrauma

Alice Weidel ist 45 Jahre alt, geboren in Harsewinkel in Ostwestfalen als jüngste von drei Geschwistern. Sie ist bis heute „das Nesthäkchen, die Vorzeigetochter“ ihrer Mutter, wie sie 2019 in einem Interview mit der „Weltwoche“ berichtet. Wichtiger in ihrem Leben, wichtiger auch für ihre politische Karriere aber ist bis heute der Vater. Ein selbständiger Handelsvertreter mit dem Ehrgeiz desjenigen, der in einer neuen Umgebung ganz von vorne anfangen musste. Denn die Weidels sind Vertriebene.

Alice Weidel hat in ihrer Kindheit rebelliert, aber nicht gegen die Eltern.

Alice Weidel hat in ihrer Kindheit rebelliert, aber nicht gegen die Eltern.

Die Flucht aus Schlesien 1945 löst ein Familientrauma aus. „Mein Vater hatte eine schreckliche Kindheit, er hat seine Eltern und seinen Bruder verloren. Er hat darüber nie geredet und ist auch nie dorthin zurückgekehrt, weil er komplett traumatisiert ist – immer noch.“ So berichtet es Weidel im Interview mit der neurechten Zeitschrift „Der Eckart“. Die Familie kommt aus der Kleinstadt Leobschütz (heute Głubczyce) nahe der heutigen polnisch-tschechischen Grenze. „Ich habe mich immer geweigert nachzuschauen, wie der polnische Name der Stadt lautet und diese Stadt umzubenennen“, sagt Weidel. Das klingt heutzutage revisionistisch, zeigt aber auch, wie stark das väterliche Trauma nachwirkt.

Und noch etwas ist direkt auf die väterliche Verlusterfahrung zurückzuführen: „Die Ausbildung war bei uns extrem hoch gewichtet – und auch ein ganz strenges, knallhartes Leistungsprinzip“, berichtet Weidel. „Wie sieht die Wertschöpfung in der Wirtschaft aus, wie erwirtschaften Unternehmer Umsätze, wie sieht eine Kostenrechnung aus? Das hat er mir auf einer Wanderung beigebracht, von Hütte zu Hütte – damals war ich zwölf.“

Die linken Lehrer mochten mich nicht, und ich konnte keinen Respekt vor ihnen haben
Alice Weidel

Weidel rebelliert, aber nicht gegen die Eltern, sondern gegen die „linken Lehrer“ an ihrem Gymnasium. „Wir hatten zum Beispiel einen Soziologielehrer, der wusste den Unterschied nicht zwischen Umsatz und Gewinn. Solche Leute trichterten uns dann ein, dass der Kapitalismus etwas Schlechtes sei, das vom Staat reguliert werden müsse.“ Weidel nannte das „Schwachsinn“. Und provozierte auch damit, dass sie „gerne mit unseren Autos zur Schule“ fuhr. „Die linken Lehrer mochten mich nicht, und ich konnte keinen Respekt vor ihnen haben“, erinnert sich Weidel. „Weil ich aber in der Schule sehr gut war, konnten sie wenig gegen mich machen.“

Beide tragen die Note „magna cum laude“

Wie Wagenknecht trägt auch Weidel einen Doktortitel in Wirtschaftswissenschaften. Beide wurden mit der zweitbesten Note „magna cum laude“ promoviert. Wagenknechts Ehrgeiz und Leistungswille mag Weidels noch übertreffen, vor allem aber hat sie sich seit frühester Jugend selbst angetrieben. „Sie hat Züge jener Höchstbegabten, die sich von der Welt abkapseln und in ihrem eigenen Kosmos leben“, schreibt Wagenknechts Biograf Christian Schneider und bescheinigt ihr eine „autistische Tendenz“ als „Basis ihrer Lebensgeschichte“.

Es fing mit dem persischen Schriftbild an, ging mit einer exzessiven Goethe-Verehrung weiter, dann folgt das exzessive Selbststudium von Marx und Hegel – Wagenknecht als Nerd zu bezeichnen, ist mit Sicherheit nicht zu weit hergeholt. Auch im Privaten treibt sich Wagenknecht auf dem Fahrrad im Saarland immer wieder zu Höchstleistungen – und zieht ihren Ehemann Oskar Lafontaine mit. Der 81-jährige Ex-Bundesfinanzminister gilt auch als weißhaarige Eminenz in den Kulissen der Wagenknecht-Partei.

Dagegen trennt Weidel die politische und private Sphäre säuberlich – und lebt so ihren größten Widerspruch. Schärfste Reden gegen Zuwanderer und Minderheiten in Berlin, eine aus Sri Lanka stammende Lebenspartnerin und zwei Kinder in der Schweiz. Im AfD-Grundsatzprogramm wird die „Familie aus Vater, Mutter und Kindern als Keimzelle der Gesellschaft“ verstanden. Im Europawahlprogramm steht, „andere Formen des Zusammenlebens“ seien „zu respektieren, damit aber nicht gleichzustellen“.

Weidels Widersprüche festigen ihren Starstatus

Immer wieder wird Weidel aus christlich-fundamentalistischen und völkischen Kreisen der AfD für ihr Privatleben attackiert. Ihr familiärer Lebensmittelpunkt im Ausland kommt dazu – beides hat auch dazu beigetragen, dass sie besonders in ihrem Heimatlandesverband Baden-Württemberg keine Hausmacht aufbauen konnte und auch am Wochenende beim Landesparteitag um den ersten Listenplatz für die Bundestagswahl kämpfen muss. Zugleich festigen auch ihre Widersprüche den Starstatus: Eine weltgewandte lesbische Ökonomin, die auch mal auf Instagram ein Sitztanzvideo mit ihrer Partnerin postet, repräsentiert eine ansonsten männerdominierte, weitgehend völkische Rechtspartei.

Beide sind Einzelkämpferinnen. Doch alleine könnten sie nicht glänzen. Sie brauchen das „Co“. Ohne Amira Mohamed Ali, Co-Vorsitzende des BSW, hätte Wagenknecht ihre neue Partei nie gegründet. Ohne Tino Chrupalla, Co-Vorsitzender der AfD und Co-Fraktionsvize, wäre Weidel längst in den innerparteilichen Konflikten zerrieben worden. Beide sind mehr als reine Sidekicks. Sie sind ehrgeizig und clever und gerade so loyal wie nötig. Beiden geht alles Genialische ab, und das wissen sie. Ihre politische Arbeit besteht aus Telefonieren, Organisieren, Netzwerken. Daraus, Menschen zu lesen und Menschen zu nutzen. Kurz: dem, was ihren nominell gleichberechtigten Stars abgeht.