SPD-Staatsskretärin Sawsan ChebliEine muslimische Vorkämpferin gegen Antisemitismus
Berlin – Während einen Kilometer Luftlinie entfernt Hunderte Demonstranten Israel den Untergang wünschen und Polizisten aufpassen müssen, dass nicht wieder israelische Flaggen verbrannt werden, steht der Rabbiner Yehuda Teichtal am Brandenburger Tor und begrüßt die Gäste.
Es ist ein kalter, regnerischer Dezemberabend, der Pariser Platz ist abgeriegelt, an allen U- und S-Bahnausgängen stehen Polizisten. Teichtal wird gleich den Chanukkaleuchter zum jüdischen Lichterfest anzünden.
Ausgerechnet die Tochter palästinensischer Flüchtlinge
Vorher verliest er noch die Namen der Gäste, Minister, der Regierende Bürgermeister von Berlin, Abgeordnete, Mitglieder der Jüdischen Gemeinde. Aber einen Gast hebt er besonders hervor: „Du machst so viel für Toleranz und Religion“, sagt der Rabbiner.
Die Gelobte sitzt in der zweiten Reihe auf einem nassen Stuhl, man erkennt sie kaum, dicke Daunenjacke, Fellkapuze. Sie heißt Sawsan Chebli, ist 39 Jahre alt, SPD-Mitglied, Berliner Staatssekretärin für bürgerschaftliches Engagement.
Ausgerechnet sie, die Tochter palästinensischer Flüchtlinge wird vom Rabbi gelobt. Sie duzen sich auch noch. In Zeiten, in denen die Welten zwischen Juden und Muslimen auseinanderzudriften scheinen, wirkt das wie ein kleines Wunder.
Chebli löste kontroverse Diskussionen aus
Sawsan Chebli, den Namen kennen inzwischen viele. Kaum eine Landespolitikerin hat in diesem Jahr so viele kontroverse Diskussionen ausgelöst wie sie, erst meldete sie sich in der #MeToo-Debatte zu Wort, jetzt mischte sie sich in die Antisemitismus-Debatte ein.
„Genauso wie Muslime als Minderheit erwarten, dass andere sich für sie einsetzen, wenn sie diskriminiert werden, angegriffen werden, müssen sie ihre Stimme viel stärker als bisher erheben, wenn Juden in unserem Land bedroht werden“, hatte sie gesagt, nachdem antisemitische Aufmärsche durch die Hauptstadt gezogen waren.
Das Zitat war ein sprachlicher Brückenschlag, sie hatte die Muslime kritisiert und sie gleichzeitig in Schutz genommen, als Opfer von Diskriminierung.
Eine praktizierende Muslimin gibt zu, dass es ein Problem unter Muslimen mit Judenhass gibt. Das ist schon mal ein Fortschritt und keinesfalls selbstverständlich. Studien zeigen, dass Antisemitismus stark unter muslimischen Jugendlichen verbreitet ist.
Ausgerechnet Sawsan Chebli hat nun den Kampf gegen den Antisemitismus als ihr Thema entdeckt. Beim Berliner Senat gründete sie dazu einen Arbeitskreis. Inwieweit sie als Vorkämpferin gegen den Antisemitismus geeignet ist, darüber gehen die Meinungen auseinander.
Mal wird ihre Biografie als Argument dafür, mal als Argument dagegen verwendet. Kann sie Israel verteidigen, obwohl ihre Eltern aus dem Land vertrieben wurden? Kann sie gleichzeitig familiär mit dem schwierigsten Weltkonflikt verbunden und Repräsentantin des deutschen Staates sein?
Karrieren wie die ihre sind selten
Das sind Fragen, die man in den USA oder Großbritannien wohl nicht stellen würde, aber das sind auch reifere Einwanderungsgesellschaften. In Deutschland sind Karrieren wie die von Chebli noch selten.
Ihre Eltern mussten aus Palästina fliehen, sie wurde in West-Berlin geboren, als zwölftes Kind. Ihre Familie war bis zum 15. Lebensjahr im Land nur geduldet. Ihr Vater schlug sich durch, spülte Geschirr in Küchen. Deutsch lernte er nie.
Sawsan Chebli kennt die Gefühle der Jungs und Mädchen, die auf Berlins Straßen ihre Wut auf Israel herausbrüllen. Auch wenn sie selbst ihre Energie lieber in ihre Arbeit gesteckt hat.
Zweifel an ihren Loyalitäten blieben
Sie war Grundsatz-Referentin beim Berliner Innensenator, stieg zur Sprecherin des damaligen Außenministers Frank-Walter Steinmeier auf, vor einem Jahr wurde sie vom Regierenden in den Berliner Senat geholt. Sie machte Karriere, aber Zweifel an ihren Loyalitäten blieben.
Manchmal sorgte die Politikerin auch selber für Verwirrung. In dem von ihr ins Leben gerufenen Projekt Juma („Jung, muslimisch, aktiv“) tummelten sich Leute, deren politische Überzeugungen man als grenzwertig bezeichnen könnte.
Chebli selbst sagte vor einigen Monaten, dass sie die Scharia durchaus für kompatibel mit dem Grundgesetz hielt. Das mag theologisch gesehen stimmen, kommt aber in einem Land, in dem das Wort Scharia mit abgehackten Händen verbunden wird, nicht so an. Sawsan Chebli, sonst ein Kommunikationsprofi, machte mit ihren Worten nicht nur Rechte wütend.
Jüngst beeindruckte sie auch Kritiker
Aber jetzt, mit ihren klaren Aussagen zum Antisemitismus hat sie selbst Kritiker beeindruckt. „Sehr authentisch, sehr mutig“, lobt ein SPD-Mann, der Chebli früher kritisiert hat, weil sie sich seiner Meinung nach nicht deutlich genug vom politischen Islamismus distanziert hat. „Sie spricht sich deutlich gegen Antisemitismus aus, nimmt die Muslime in die Pflicht, bleibt aber gleichzeitig dialogbereit.“
Ein anderer ehemaliger SPD-Funktionär, der sie schon lange kennt, bleibt allerdings skeptisch: „Sawsan Chebli sagt nur, was sie sagen muss, sie baut keine Brücken.“ Bei dem Rabbi am Brandenburger Tor, der Chebli so gelobt hat, klang das ganz anders.
Am Anfang ihrer Karriere hatte Chebli wie viele Aufsteiger eher Angst, zu viel von ihrer Familie preiszugeben. Inzwischen hat sie ihre Strategie geändert, sie geht in die Offensive. Sie redet viel von ihrer Familie, ihrem Vater, ihrer Mutter, ihren Schwestern. Es ist nicht der schlechteste Ansatz, um Verbindungen zu knüpfen.
„Die Jerusalem-Frage ist hochemotional“
Kaum sagt sie, dass sie es traurig findet, wenn Juden nicht mehr mit Kippa in bestimmte Viertel gehen können, aus Angst vor Überfällen, denkt man an ihren Wutausbruch neulich bei Spiegel Online, als sie beklagte, dass ihre kopftuchtragenden Schwestern auf der Straße bedroht würden.
Vergangene Woche hat sie von den Tränen gesprochen, die ihre Mutter nach der Trump-Entscheidung zu Jerusalem vergossen hat. Die Mutter musste 1948 aus Haifa, damals Palästina, heute Israel, fliehen, sie lebte zwanzig Jahre in libanesischen Flüchtlingslagern.
All die Erinnerungen seien hochgekommen. „Die Jerusalemfrage ist nicht nur für meine Familie, sondern für viele Menschen eine hochemotionale“, sagt die Staatssekretärin. Oder war es die Tochter? Das Private und das Politische verschmelzen.
Ihr Vater, der kürzlich gestorben ist, sei ein Kämpfer gegen den Antisemitismus gewesen, so erzählt es Sawsan Chebli. Er habe den Kindern eingeschärft, sich in die Lage des anderen hineinzuversetzen und sich um Verständnis zu mühen.
„Wir dürfen nicht zulassen, dass der Hass unsere Herzen dominiert“, habe er gesagt. Es klingt wie ein Satz, den seine Tochter, die deutsche Politikerin, auch sagen könnte.