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Scheidender Premier Boris JohnsonWer sammelt hinter ihm die Scherben auf?

Lesezeit 3 Minuten
Johnson Ende seiner Amtszeit

Boris Johnson, scheidender Premierminister von Großbritannien, hält eine Rede zur Energiesicherheit im EDF-Kernkraftwerk Sizewell B.

London – Zum Schluss gibt Boris Johnson noch einmal alles. Wie ein Irrwisch reist der scheidende Premierminister durch Großbritannien. Kündigt hier ein Atomkraftwerk an, lobt sich dort dafür, das Glasfasernetz ausgebaut zu haben. Von einer Siegestournee sprechen seine Anhänger, die noch immer zahlreich sind.

Über verschwendetes Steuergeld klagen seine Gegner. Wenige Tage vor seinem Auszug aus der Downing Street polarisiert der Populist mit dem blonden Wuschelschopf noch immer. An diesem Montag erfährt das Land, wer auf Johnson folgt - Außenministerin Liz Truss gilt als große Favoritin, Ex-Finanzminister Rishi Sunak ist nur Außenseiter.

Nachfolger/in muss Spagat zwischen Nähe und Distanz zu Johnson bewältigen

Doch gleich, wer künftig die Regierung führt, sie oder er muss vom ersten Tag an nicht nur den Spagat zwischen Nähe und Distanz zu Johnson bewältigen. Es geht darum, die Scherben aufzuräumen, die der 58-Jährige in der britischen Politik hinterlässt.

Anstand und Moral sind in der Ära Johnson auf der Strecke geblieben. „Mangel an Vertrauen ins Amt des Premierministers ist eines der größten Probleme, denen der nächste Amtsinhaber gegenübersteht“, kommentierte die „Guardian“-Korrespondentin Pippa Crerar, deren Recherchen zur Partygate-Affäre letztlich Johnsons Sturz eingeleitet hatten.

Zahlreiche Baustellen: Explodierende Preise,Gesundheitsdienst unter Druck

Dazu kommen zahlreiche Baustellen: Favoritin Truss hat noch nicht klargemacht, was sie gegen die explodierenden Preise für Strom und Gas unternehmen will, die Millionen Briten in die Energiearmut treiben dürften. In etlichen Branchen wird gestreikt. Der Gesundheitsdienst NHS steht nach der Pandemie enorm unter Druck, Millionen warten auf Operationen und Behandlungen.

Pflege und Sozialfürsorge benötigen dringend Reformen. Der Brexit ist trotz Johnsons ständiger Betonung alles andere als „done“, erledigt. Und schließlich ist London ein wichtiger Verbündeter der Ukraine.

Können sich die Kanditat/innen auf ihre Partei verlassen?

„Es gibt begründete Zweifel, ob die Konservative Partei oder der erfolgreiche Kandidat die „Flitterwochen“ genießen kann“, sagt der Autor Mark Garnett, der mehrere Bücher über britische Politik geschrieben hat, der Deutschen Presse-Agentur.

Denn unklar ist, ob sich Truss - oder doch Sunak - bei den enormen Herausforderungen auf ihre Partei verlassen kann. Die Tories seien pragmatisch, sie würden sich schnell zusammenraufen, meint zwar der Politologe Matthew Flinders von der Universität Sheffield. Andere aber sind skeptischer.

Liz Truss gilt als Favoritin

Die Spaltungen innerhalb der Partei seien offengelegt worden, sagt Garnett. Der frühere Tory-Abgeordnete Robert Hayward sagte der Nachrichtenagentur PA, die wahrscheinliche Siegerin Truss starte mit einem riesigen Nachteil: Sie habe keinesfalls automatisch die Mehrheit ihrer Fraktion hinter sich.

So sagte der einflussreiche Ex-Minister Michael Gove jüngst, er werde nicht zwingend für Truss' Budgetpläne stimmen. Der Wahlkampf, bei dem es vor allem zu Beginn zu harten persönlichen Attacken kam, hat der Partei schwer zugesetzt.

Tories sind gespalten

Auch wenn Truss offenbar die Parteibasis von sich überzeugt hat, bedeutet das noch lange nicht, dass sie auch bei den anderen Britinnen und Briten ankommt. „Ironischerweise sind genau die Gründe, wegen denen Liz Truss seit Beginn als klare Favoritin im Finale galt, dieselben, warum sie Probleme haben wird, die Zustimmung der Nicht-Konservativen zu bekommen“, sagt Experte Garnett.

„Sie hat direkt an die nationalistischeren, neoliberalen Konservativen appelliert, die vielleicht die Mehrheit in der Partei stellen, aber nicht die Ansichten der Durchschnittswähler widerspiegeln.“

Johnsons Aus bedeutet nicht sein politisches Ende

Johnsons Aus dürfte nicht sein politisches Ende bedeuten. Sein Mandat im Parlament behält der frühere Londoner Bürgermeister und Außenminister. Von einem Platz auf den hinteren Bänken könnte er die Regierung mit seinem Gefühl für den richtigen Zeitpunkt vor sich hertreiben, sagt Politologe Flinders voraus.

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Johnsons langjähriger Weggefährte Jonathan Marland zeigte sich in der BBC zuversichtlich, dass der Abschied nur vorübergehend sein werde. Es bestehe eine „eindeutige Möglichkeit“, dass Johnson zurückkehre, sagte Marland. (dpa)