Nach dem Erreichen der Schuldengrenze können sich die USA in wenigen Tagen kein Geld mehr leihen.
SchuldenstreitJoe Biden letzter Dollar – USA droht Finanzkollaps
Die Stimmung scheint bestens zu sein. Jedenfalls bei den Republikanern im Washingtoner Kongress. Während die USA als größte Volkswirtschaft der Welt mit Riesenschritten in Richtung eines beispiellosen Finanzkollapses treibt, erlaubte sich Kevin McCarthy, der Sprecher des Repräsentantenhauses, am Dienstag ein kleines Späßchen: Er bot in der wöchentlichen Fraktionssitzung seinen benutzten Lippenpflegestift zur Versteigerung an - mit Kirschgeschmack. Augenzeugen berichten von mehreren Geboten.
Doch das Rennen machte die rechtsextreme Abgeordnete Marjorie Taylor Greene. Sie wird nach eigenen Angaben 100.000 Dollar in die Wahlkampfkasse der Republikaner zahlen. Soviel darf in Amerika eine politische Ego-Show und die Zusage eines spendenfördernden Besuches des Parteiführers im heimischen Wahlkreis schon einmal kosten.
Es droht der Zahlungsausfall
Doch nicht überall sitzt das Geld so locker. Und schon gar nicht ist die Laune so ausgelassen. Im Washingtoner Finanzministerium, keine zwei Kilometer vom Kapitol entfernt, kratzt man derweil die letzten Kröten zusammen. Seit Januar schon ist die Regierung klamm. Nun drohen die Mittel endgültig auszugehen. In einem Memo hat Staatssekretär David Lebryk nach einem Bericht der „Washington Post“ alle Behörden angewiesen, anstehende Zahlungen möglichst weit aufzuschieben. Auf diese Weise hofft das Ministerium, das drohende „X-Date“ zumindest noch ein paar Tage hinauszögern zu können.
„X-Date“ klingt nicht zufällig bedrohlich. Es ist der Tag, an dem der wichtigste Schuldner der Welt erstmals seine Verbindlichkeiten nicht mehr bedienen kann. Ein Zahlungsausfall wäre die Folge. Dessen Auswirkungen mögen sich Ökonomen lieber nicht vorstellen. „Das würde eine wirtschaftliche und finanzielle Katastrophe auslösen“, hat Finanzministerin Janet Yellen gewarnt. „Keine Ecke der globalen Wirtschaft wird verschont bleiben“, schlägt auch Mark Zandi, der renommierte Chefökonom von Moody„s Analytics, Alarm.
Sein Haus prognostiziert, dass schon ein Zahlungsverzug von einer Woche rund 1,5 Millionen Menschen in den USA den Job kosten würde. Sollte die finanzielle Hängepartie ein paar Wochen dauern, könnten die amerikanische Erwerbslosenquote von derzeit 3,4 Prozent auf acht Prozent schießen und an den Aktienmärkten rund zehn Billionen Dollar Vermögen pulverisiert werden.
Jeder Kompromiss gilt als Verrat
Das sind apokalyptische Szenarien für die größte Volkswirtschaft der Erde. Ausgelöst könnten sie durch eine ziemlich technische Bestimmung werden - die Schuldenobergrenze. Vor mehr als hundert Jahren ist dieser Deckel in den USA eingeführt worden. Derzeit steht er bei 31,4 Billionen Dollar. Dieser Rahmen ist nun ausgeschöpft. Wird die Grenze nicht heraufgesetzt, droht Anfang Juni das „X-Date“.
Fieberhaft laufen die Bemühungen, das Debakel noch abzuwenden. Das ist ein gigantischer Poker nicht nur um schwindelerregende Zahlen, sondern vor allem um die politische Verantwortung. Im Kongress haben die Republikaner de facto das Sagen. Im Weißen Haus regiert ein Demokrat. Lange hat Joe Biden darauf beharrt, dass das Budgetrecht beim Parlament liegt und es Aufgabe des Repräsentantenhauses sei, die Schuldengrenze anzuheben, wie es beide Parteien immer wieder getan haben. Doch die Republikaner haben sich verändert. Dort geben inzwischen Extremisten wie Marjorie Taylor Greene den Ton an, denen es alleine darum geht, ihre wütende Basis zu befrieden. Jeder Kompromiss gilt als Verrat. Dieser Trump-Flügel hat den Karrieristen McCarthy 14 Wahlgänge lang zittern lassen, bevor er ihn im Januar endlich zum „Speaker“ wählte.
Republikaner McCarthy in der Hand des rechten Flügels
Der vermeintlich mächtige Chef des Repräsentantenhauses befindet sich seither in der Geiselhaft der Ultrarechten. Jederzeit muss er deren Misstrauensvotum fürchten. Das macht Verhandlungen ungleich schwieriger als in der Vergangenheit, als die Schuldengrenze nach mehr oder weniger rituellem Gerangel bereits 78 mal verändert wurde.
Mit welch harten Bandagen die Republikaner kämpfen, konnte man zu Wochenbeginn beobachten. Da war Biden eigens vorzeitig von seiner Asien-Reise nach Washington zurückgekehrt, um mit McCarthy persönlich über einen Ausweg zu beraten. Gut eine Stunde dauerte das Gespräch im Oval Office, das beide Seiten als „produktiv“ bezeichneten, bei dem es aber inhaltlich wenig Fortschritte gegeben zu haben scheint. Während es der Präsident bei einer knappen Presseerklärung beließ, baute sich McCarthy anschließend vor dem West Wing auf und breitete bei laufenden Kameras zwanzig Minuten lang seine Position aus.
Ein Kompromiss ist nicht in Sicht
Die Republikaner fordern als Voraussetzung für jede Zusammenarbeit harte Einschnitte vor allem im sozialen Netz, einen Verzicht auf die personelle Aufstockung der Finanzämter und eine Verschärfung der Arbeitsanforderungen für Empfänger staatlicher Transferleistungen. Das käme letztlich einem Dementi der Biden-Politik der vergangenen zwei Jahre gleich. Der Präsident setzt stattdessen auf mildere Einsparungen und eine Verbreiterung der Einnahmebasis durch das Schließen von Steuerschlupflöchern und höhere Steuern für Reiche. „No!“, antwortete McCarthy ebenso kurz wie unmissverständlich auf die Frage, ob er bei diesen Themen zu einem Entgegenkommen bereit sei.
Nach einem bevorstehenden Kompromiss klingt das nicht. Doch die Zeit drängt. Vor der möglichen Parlamentsbefassung müsste jede politische Einigung noch in Gesetzesform gebracht werden, und dann hat McCarthy seiner Fraktion vor einer Abstimmung eine 72-stündige Beratungszeit zugesagt. Bis zum 1. Juni aber sind es nur noch acht Tage. Zu allem Überfluss wollen sich die Abgeordneten nach bisherigen Plänen am Donnerstag in ein langes Feiertagswochenende verabschieden.
Wenig Spielraum für die Demokraten
So wächst bei den Demokraten die Nervosität. Vor allem der linke Flügel der Partei drängt den Präsidenten, mit einem „Plan B“ das Heft des Handelns selbst in die Hand zu nehmen. Doch die möglichen Optionen sind wenig attraktiv: Die länger diskutierte Prägung einer Billion-Dollar-Münze klingt zwar faszinierend, wurde aber von Finanzministerin Yellen als nicht praktikabel verworfen. Und die Idee, Biden könne unter Berufung auf einen umstrittenen Verfassungszusatz kurzerhand einfach im Alleingang die Schuldengrenze anheben, ist nicht nur juristisch heikel. Eine derart spektakuläre Aktion würde die befürchteten Turbulenzen an den Finanzmärkten kaum verhindern.
Zwar könnten die Demokraten theoretisch versuchen, mindestens fünf moderate Republikaner auf ihre Seite zu ziehen und mit der dadurch errungenen Mehrheit eine Abstimmung im Repräsentantenhaus auch gegen McCarthys Willen zu erzwingen. Doch der Druck im republikanischen Lager ist so groß, dass diese Abweichler damit wohl ihr politisches Todesurteil unterschreiben würden. Wahrscheinlich ist das nicht. Erfolgsversprechender könnte ein Anlauf für eine Fristverlängerung sein. Doch dürften die Republikaner eine zeitweise Aussetzung der Schuldengrenze nur unterstützen, wenn sich ein finales Ergebnis in ihrem Sinne abzeichnet.
Sozialleistungen könnten in Gefahr sein
Niemand mag daher derzeit in Washington ausschließen, dass die USA im Juni tatsächlich finanziell auf Grund laufen. Wenn die Kasse leer ist, die Steuereinnahmen nicht alle Ausgaben decken und der Staat keine weiteren Schulden aufnehmen kann, bleibt Finanzministerin Yellen nur noch ein Mittel, um den katastrophalen Zahlungsausfall samt einer möglichen Weltfinanzkrise zu vermeiden: Sie muss ihre Zahlungen priorisieren. „Dann müssten harte Entscheidungen getroffen werden, welche Rechnungen beglichen werden“, hat Yellen schon gesagt. Einen solchen Notfallplan hatte es schon 2011 gegeben. Dann würde die Regierung zwar die Staatsanleihen weiter bedienen, aber mutmaßlich alle anderen Zahlungen von Löhnen über Sozialleistungen bis zur Krankenversicherung der Rentner vorübergehend einstellen.
Eine derartige Bevorzugung der Finanzmärkte vor den Arbeitnehmern würde zwar technisch den Zahlungsausfall und wahrscheinlich auch eine Herabstufung durch die Rating-Agenturen vermeiden. Sie wäre aber extrem heikel. Nicht nur dürfte der linke Parteiflügel der Demokraten dagegen rebellieren. Die Denkfabrik Brookings weist in einer Studie auch auf andere Risiken hin: Die Öffentlichkeit würde zunehmend besorgt wegen einer möglichen Rezession werden, immer mehr Menschen würden finanziell in Not geraten, und von staatlichen Aufträgen abhängige Firmen könnten in Schieflage geraten.
Wen machen die Wähler und Wählerinnen für den Zahlungsausfall verantwortlich?
Das alles sind keine schönen Aussichten. Für die im nächsten Jahr bevorstehenden Wahlen aber könnte vor allem entscheidend sein, wen die Bürger am Ende für die Misere verantwortlich machen. Schon jetzt schieben sich beide Seiten eifrig den Schwarzen Peter zu. „Wenn es soweit kommt, wäre das Bidens Zahlungsausfall“, postulierte McCarthy nach dem Treffen im Weißen Haus bei Twitter.
Der Präsident hingegen sieht das ganz anders. Am Wochenende warf er den Trumpianern in der Opposition vor, es bewusst auf einen Finanz-Kollaps anzulegen: „Ich glaube, es gibt einige MAGA-Republikaner im Parlament, die ganz genau wissen, welchen wirtschaftlichen Schaden das anrichten würde und die darauf setzen, dass der Präsident am Ende dafür verantwortlich gemacht wird.“