SexualstrafrechtWas der „Nein heißt Nein“-Paragraph verbessert hat – und was nicht

2016 wurde das Sexualstrafrecht reformiert.
Copyright: picture alliance / dpa
Berlin – Nein heißt Nein. So einfach, wie es in der Theorie klingt, ist es nicht mehr, wenn es in der Praxis um den Umgang mit Sexualstraftaten geht. Insgesamt wurden 2017 mehr als 39.800 mutmaßliche Sexualstraftäter in der Polizeilichen Kriminalstatistik erfasst. Seit seiner Reform vor zwei Jahren legt das Sexualstrafrecht fest, dass sich auch all diejenigen strafbar machen, die ein verbales Nein bei sexuellen Handlungen nicht akzeptieren. Am Sonntag nehmen sich Verbände und Frauenrechtsorganisationen den „Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen“ auch zum Anlass, bei bundesweiten Aktionen auf die Problematik der Sexualstraftaten aufmerksam zu machen. Zugleich steht die Frage im Raum, was die Gesetzesreform wirklich verändert hat.
Ein Drittel mehr Verfahren
Der Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (bff) in Berlin fasst es zusammen: „Mehr Anzeigen, weniger Urteile“. Die Berliner Oberstaatsanwältin Ines Karl bestätigt die Zunahme der Anzeigen. Sie leitet die Abteilung, in der auch sämtliche Sexualstraftaten bearbeitet werden. „Uns liegen etwa ein Drittel mehr Verfahren vor als vor der Gesetzesänderung“, sagte Karl dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Dazu gehören laut ihrer Aussage auch eine Vielzahl von Verfahren wegen sexueller Belästigung. „Hier stellen wir Täter fest, die sowohl wegen sexueller Belästigung als auch wegen eines sexuellen Übergriffs oder einer Vergewaltigung an mehreren Opfern aufgefallen sind“, erklärt die Oberstaatsanwältin. Dies sei vor der Gesetzesänderung nicht so deutlich geworden.
Die Berliner Oberstaatsanwaltschaft vermutet hinter dem Anstieg der Verfahren zwei Gründe: Zum einen die Ausweitung der Strafbarkeit auf die „Nein heißt Nein!“-Fälle sowie auf Übergriffe, in denen Täter überraschend handelten und sich das Opfer nicht wehren konnte; zudem auf die Fälle sexueller Belästigung. Zum anderen ist sich Karl sicher, dass auch die gesellschaftlichen Debatten rund um die Gesetzesänderung sowie zu #metoo dazu beigetragen haben, dass mehr Fälle angezeigt werden.
Taten werden oft zu spät angezeigt
Doch damit die Strafverfolgung erfolgreich ist und es letztendlich auch zu Urteilen kommt, sei es wichtig, dass unmittelbar Anzeige erstattet wird, betont Karl. Nur so können alle Spuren rechtzeitig gesichert und ausgewertet werden. Das sei nur selten der Fall.
Der bff bestätigt diese Erfahrungen: „Betroffene sexualisierter Gewalt sind sich oft unsicher, ob sie anzeigen sollen“. Verbreitete Mythen über Vergewaltigungen und sexualisierte Gewalt seien Gründe dafür, dass sich die Opfer schämen und daran zweifeln, ob das Passierte wirklich strafbar ist. „Zudem ist vielen auch bewusst, dass eine Anzeige eine Aussage bei der Polizei und lange, potenziell retraumatisierende Gerichtsverfahren bedeutet, von denen nicht gesagt sind, dass sie zu einer Verurteilung führen“, sagt Hartmann.
Die Staatsanwaltschaft versucht, darauf zu reagieren. Oft komme es vor, dass sich die Opfer nicht mehr an das Geschehene erinnern oder psychisch nicht in der Lage sind, auszusagen. „Wir bemühen uns dann um die Zeuginnen, schreiben sie auch an, üben aber bewusst keinen Druck aus“, sagt Oberstaatsanwältin Karl. Trotzdem bewahre das Vorgehen nicht vor möglichen Einstellungen der Verfahren: „In Aussage-gegen-Aussage-Konstellationen kommt es vor, dass Verfahren eingestellt werden müssen, wenn nicht eindeutig entschieden werden kann, welcher der Schilderungen zu folgen ist.“ Die Gründe dafür seien sehr vielfältig. „Das muss aber auch so sein, damit kein Unschuldiger angeklagt oder verurteilt wird“, erklärt Karl.
Es gibt noch viel zu tun
Auch die Tatsache, dass es seit der Reform nur wenig Urteile gab, kann Oberstaatsanwältin für den Bereich Berlin bestätigen. „Das liegt vor allem daran, dass das Gesetz noch nicht sehr lange in Kraft ist“, sagt sie. Unter anderem müssen Zeugen vernommen werden und stehen nicht immer sofort zur Verfügung, Spuren müssen ausgewertet, Gutachten eingeholt und Anklagen erhoben werden.
Doch eine Sache hat die Staatsanwaltschaft nach der Gesetzesänderung so nicht erwartet: Eine Vielzahl an Anklagen wurde bereits erhoben. Allein 26 hat Oberstaatsanwältin Karl in Berlin auf dem Tisch.
Zwei Jahre nach der Reform im Sexualstrafrecht gibt es zwar mehr Anzeigen, doch in einer Sache sind sich die Oberstaatsanwältin und die Sprecherin der Frauenberatungsstellen einig: Es müsse noch viel debattiert und auf gesellschaftlicher Ebene verändert werden, damit ein Nein auch wirklich Nein heißt.