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Star-Ökonom Jeremy Rifkin„Ganze Städte brennen nieder, Ökosysteme werden zerstört”

Lesezeit 7 Minuten
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Jeremy Rifkin

  1. US-Starökonom Jeremy Rifkin hat ein neues Buch veröffentlicht. Es heißt: „Der globale Green New Deal – Warum die fossil befeuerte Zivilisation um 2028 kollabiert“.
  2. Darin sagt er voraus, dass die Wirtschaft schon in wenigen Jahren eine „grüne Linie“ überschreitet, die die Abkehr von der Kohlenstoffverbrennung markiert.
  3. Ein Gespräch über den Klimawandel und Fridays for Future.

Herr Rifkin, wenn es um einen Green New Deal geht, erhalten Sie ja Unterstützung von vielen jungen Menschen. Was halten Sie von Greta Thunberg und der Fridays-for-Future-Bewegung?

Was wir gerade erleben, ist die erste planetarische Revolte der Menschheitsgeschichte! Das gab’s noch nie. Es ist eine Rebellion der Generation Z, der Millennials. Sie erkennen, dass sie eine gefährdete Spezies auf einem gefährdeten Planeten inmitten eines durch Klimawandel verursachten Massensterbens sind. Wir haben das in den 200 000 Jahren, in denen wir auf dem Planeten sind, nie zuvor erlebt, dass sich eine Generation über ideologische, religiöse und politische sowie staatliche Grenzen hinweg gegenseitig unterstützt. Diese jungen Menschen haben erkannt, dass wir die Art, wie wir auf diesem Planet leben, ändern müssen. Und das bezieht sich auf politische, gesellschaftliche und ökonomische Veränderungen. Bleiben sie aus, steuern wir auf eine Katastrophe zu. Wir haben für das, was kommt, keinen Fahrplan. Alle bisherigen politischen Bewegungen waren zeitlich und räumlich eingeschränkt. Nun erleben wir eine globale Bewegung. Das ist etwas fundamental anderes als alles bisherige.

Die Aktivität der Jungen freut Sie.

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Es freut mich enorm! Auch ich habe als junger Aktivist angefangen. Damals in den 60er Jahren richtete sich der Protest vor allem gegen den Vietnamkrieg.

Die jungen Leute denken, dass wir keine Zeit mehr zu verlieren haben.

Ja, das wissen wir. Es kommt jetzt vor allem darauf an, dass etwas passiert, und die Rebellion der Teenager spielt hier eine enorme Rolle. Wir haben keine Alternative. Wir müssen handeln, sonst sind wir verloren. Viele Leute in China, Europa und auch den Vereinigten Staaten sagen: Ja, es gibt einen Klimawandel. Wir erkennen das. Aber es ist ein langfristiges Problem. Die Wissenschaftler haben jedoch in den vergangenen Jahren die Zielsetzungen verändert. Was wir nun erleben, ist, dass der Klimawandel immer massiver unser tägliches Leben betrifft.

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Vor allem junge Menschen demonstrieren weltweit für mehr Klimaschutz.

Wie erleben Sie das in den USA?

Viele Städte in den USA sind nicht vorbereitet auf das, was ihnen blüht. Sie sind den durch den Klimawandel hervorgerufenen Ereignissen wie dem Hochwasser schutzlos ausgeliefert, Städte müssen evakuiert werden, Häuser werden vollkommen zerstört. Die Familien müssen zu ihren Verwandten ziehen, weil sie keine Bleibe mehr finden. Im Norden Amerikas gehen die Temperaturen auf den Tiefstpunkt, wir sehen Winterstürme wie nie zuvor. Der Westen der USA wird von Waldbränden heimgesucht. Ganze Städte brennen nieder, Ökosysteme werden zerstört, Menschen sterben. Normalerweise gibt es zwischen August und Dezember drei, vier Hurrikans, nun hatten wir allein in einem Zeitraum von vier Wochen gleich vier oder fünf. Die Bahamas wurden völlig zerstört. Und in Europa erlebt man Ähnliches. Es gab drei massive Hitzewellen. Es gab Hochwasser. Nun erleben die Menschen, dass der Planet verwildert. Weil wir in einer auf fossilen Brennstoffen gegründeten Gesellschaft leben, haben wir so viel CO2 in die Atmosphäre geblasen, dass sich nun die Wasserkreisläufe verändert haben. Die Kinder sehen das und fragen ihre Eltern: Werde ich das überleben? Soll ich überhaupt selbst jemals Kinder haben? Es ist die dramatischste Entwicklung der letzten 200.000 Jahre.

Und die Konsequenz?

Die Wissenschaft sagt uns: Wenn wir so weitermachen, werden wir 50 Prozent aller Lebewesen auf diesem Planeten verlieren. Arten, die es seit Millionen von Jahren gibt, werden aussterben. Das Leben hat sich über Millionen von Jahren entwickelt, und nun braucht es nur ein paar Jahre, um die Hälfte davon dem Untergang zu weihen. Uns bleiben noch zwölf Jahre für eine totale Transformation der Gesellschaft, um die Klimaziele des Weltklimarats zu erreichen. Uns sollte eines klar sein: Steigen die Temperaturen noch höher, wird dieser Planet unkontrollierbar und für uns möglicherweise unbewohnbar sein.

Aber dann versteht man nicht, warum so viele Amerikaner nicht an einen menschengemachten Klimawandel glauben.

Man muss hier schon klarstellen, dass die Mehrheit daran glaubt. Die letzten Umfragen haben das noch einmal unterstrichen, dass ein Drittel Klimawandel-Leugner sind, zwei Drittel jedoch die Meinung vertreten, dass etwas gegen die Erderwärmung getan werden muss. Also zwei Drittel der amerikanischen Öffentlichkeit sind an Bord! Und in Europa gibt es noch weniger Klimawandel-Leugner. Ich habe in der letzten EU-Kommission als Berater gearbeitet. Aus dieser Zeit kann ich sagen, dass es hier ein viel größeres Bewusstsein für die Probleme gibt. Die EU war nicht umsonst die führende Kraft im Kampf gegen den menschengemachten Klimawandel. Übrigens ist auch China dabei, einen neuen Weg zu gehen und einen Green-New-Deal anzustreben. In den USA gibt es Kalifornien, Texas und New York, die hier führend sind, der Rest des Landes hinkt hinterher.

Welchen Herausforderungen stehen wir nun gegenüber?

Wir müssen einen Schritt zurück machen und verstehen, wie das Problem entstand. Dann können wir einen Rahmen finden für das, was wir in Berlin, Köln oder New York machen können. Wir können aus dieser fossilen Infrastruktur nichts mehr herausholen. Auch technologisch nicht. Da haben wir den Gipfel längst erreicht. Da bringen uns auch Marktreformen nichts mehr. Da lässt sich selbst mit verbesserter Effizienz nichts mehr reißen. So einfach ist das.

Und die Alternative?

Auf der anderen Seite sinken längst die Marktkosten für Solar- und Windenergie. Und auch wenn der globale Marktanteil an der Energiegewinnung bislang nur bei rund drei Prozent liegt, entscheidend ist die rasante Wachstumsrate. Auch für Investoren. Die Politik ist also fast schon zweitrangig.

Eine weitere Revolution?

Es ist die dritte industrielle Revolution nach der klassischen im 19. Jahrhundert sowie der zweiten im 20. Jahrhundert mit zentralisierter Stromversorgung, Telefon, Rundfunk und Fernsehen sowie billigem Erdöl, das die Verbreitung von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren ermöglichte. Diese dritte industrielle Revolution wird zusammen mit der Digitalisierung auch gelingen. Drei Dinge werden das befeuern: die Revolution der Kommunikation, welche die Gesellschaften einander näherbringt, neue Energieformen wie Solar- und Windenergie und als Nummer drei der Transportmechanismus oder die Logistik. Bis 2028 wird wenigstens ein Teil des Frachtverkehrs auf Straße, Schiene und Wasser führerlos abgewickelt werden; die Transportmittel werden kohlenstofffrei und zu nahezu null Grenzkosten mit erneuerbaren Energien unterwegs sein – gesteuert werden sie mittels immer ausgereifterer Analytik und Algorithmen. Das alles wird unsere Geschäftsmodelle verändern, unsere Regierungsweise und unseren Blick auf die Welt.

Was sagen Sie denn zu den Plänen der deutschen Bundesregierung, was den Klimaschutz betrifft?

Das ist noch deutlich zu wenig. Hier kann man noch mehr tun. Ich habe Angela Merkel kurz nach ihrer Wahl 2005 beraten, wie Deutschland seine wirtschaftlich starke Position auch in Zukunft verteidigen kann. Sie war damals gerade gewählt worden. Ich habe ihr gesagt, nun, Sie können den Arbeitsmarkt reformieren, die Fiskalpolitik, Start-ups fördern – aber das alles bringt wenig, wenn man weiter auf die alten Energien setzt. Ich habe damals bereits auf die Notwendigkeit verwiesen, dass das Wirtschaftssystem umgebaut werden muss. Einfach, weil die auf fossilen Brennstoffen basierende Lebensweise an ihrem Ende angekommen ist. Die gewaltige Blase einer Wirtschaftsweise, die auf fossilen Rohstoffen beruht, steht vor dem Platzen. Hier wird es kein Wirtschaftswachstum mehr geben. Als ich auf die rasche Umstellung auf neue Energiesysteme drängte, verwies mich Merkel auf das föderale System in Deutschland und meinte, dass das nicht leicht werden würde.

In Ihrem neuen Buch „Der globale Green New Deal – Warum die fossil befeuerte Zivilisation um 2028 kollabiert“ sagen Sie voraus, dass die Wirtschaft schon in wenigen Jahren eine „grüne Linie“ überschreitet, die die Abkehr von der Kohlenstoffverbrennung markiert. Ist das nicht ein bisschen sehr optimistisch?

Wir nähern uns einem Wendepunkt, mit dem ein neues industrielles Zeitalter beginnt – mit neuen Möglichkeiten der Energieversorgung, Kommunikation und Mobilität. Sobald der Wendepunkt erreicht ist, geht die Veränderung sehr schnell voran, denn Energie aus Sonne und Wind wird konkurrenzlos preiswert sein. Marktkräfte werden den weiteren Wandel von selbst antreiben.

Das heißt konkret?

Ich könnte mir vorstellen, dass bis 2028 ein Fünftel aller verkauften Auto elektrisch fahren. Volkswagen liegt richtig damit, das Ende neuer benzingetriebener Antriebe für 2026 anzusetzen.

Wird dieser Umbau nicht zulasten vieler Arbeitsplätze gehen?Das befürchten viele, die von Panikmache in Bezug auf den Klimawandel sprechen.

Änderungen wird es geben müssen. Zugleich entstehen jedoch sehr viele neue Arbeitsplätze. Die Umstellung der Energieversorgung erfordert eine ganz neue Infrastruktur. Allein in diesem Bereich werden Millionen Menschen neue Jobs finden. Es ist sogar egal, ob sie niedrig oder hoch qualifiziert sind. Es werden keine Roboter sein, die smarte Netze verlegen und die Kohlekraftwerke abbauen. Hier ist wahnsinnig viel zu tun, jeder wird gebraucht. Ganz wichtig ist, auch für die Leser in Köln: Es gibt die Technologie bereits. Wir können die Welt retten!

Das Gespräch führteMichael Hesse