Svenja Schulze über Ukraine-Geflüchtete„Deutschland übt keinen Druck aus und zahlt auch keine Rückkehr-Prämien“

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Svenja Schulze (SPD), Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung wartet auf den Beginn der Sitzung des Bundeskabinetts im Bundeskanzleramt.

Svenja Schulze (SPD), Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

Vor der Ukraine-Wiederaufbau-Konferenz erklärt Entwicklungsministerin Svenja Schulze, warum Windparks in der Ukraine doppelt Sinn machen. Und sie begründet, warum sie im Haushaltstreit mit Finanzminister Lindner hart bleiben will.

Frau Ministerin, am Dienstag beginnt in Berlin die „Wiederaufbaukonferenz“ für die Ukraine. Ein Wiederaufbau mitten im Krieg, der sich sogar noch verschärft?

Svenja Schulze: Die Ukraine hat doch gar keine andere Wahl. Die Strom- und Wasserversorgung muss immer wieder repariert werden, zerstörte Häuser müssen wieder hergestellt werden, damit die Menschen ein Dach über dem Kopf haben. Es geht bei der Konferenz aber nicht vorrangig um eine kurzfristige Nothilfe, sondern um ein planvolles, koordiniertes Vorgehen beim Wiederaufbau. Gerade bei der Stromversorgung zeigt sich, dass es keinen Sinn macht, das Zerstörte einfach nur zu reparieren.

Was meinen Sie konkret?

Russland verfügt aus der Sowjetzeit über genaue Informationen darüber, wie das Stromnetz der Ukraine aufgebaut ist. Die Russen greifen gezielt die empfindlichen Stellen an, um maximalen Schaden anzurichten. In Saporischschja wurden beispielsweise Knotenpunkte bombardiert, um Krankenhäuser lahm zu legen. Nun wird das Stromnetz neu strukturiert und es werden beispielsweise Windparks errichtet. Sie sind nicht so leicht zu zerstören wie ein einzelnes Kraftwerk – und auch nachhaltiger.

Was soll die Konferenz bringen?

Es geht darum, die Geberländer besser untereinander und mit der Ukraine zu koordinieren, aufgeteilt auf Schwerpunkte, etwa Wirtschaftsförderung, Fachkräftegewinnung für den Wiederaufbau, die Stärkung von Städten und Regionen oder die Heranführung an die EU. Dabei braucht die Ukraine dringend Unterstützung. Hier sollen Allianzen gebildet werden, um effizienter helfen zu können.

Welche Rolle spielt Deutschland dabei?

Ein Beispiel: 80 Prozent der Firmen in der Ukraine sind kleine mittelständische Unternehmen, die zusammen zwei Drittel der Wirtschaftsleistung erbringen. Die Ukraine muss verhindern, dass immer mehr von ihnen Pleite gehen oder aufgeben. Viele brauchen Kredite, um in sichere Regionen umzuziehen oder die Produktion an die Kriegsbedingungen anzupassen. Doch die Zinsen in der Ukraine sind gigantisch. Hier helfen wir bereits mit zinsverbilligten Krediten und haben so bereits 40.000 Firmen unterstützt. Das soll ausgebaut werden. Zudem wollen wir unser Know-how einbringen, um in der Ukraine eine staatliche Förderinstitution nach dem Vorbild der KfW aufzubauen. Die „Kreditanstalt für Wiederaufbau“ war schließlich ein Wegbereiter des deutschen Wirtschaftswunders in den 1950er und 1960er Jahren.

Was ist dafür notwendig?

Der Grundstein ist eine deutsche-ukrainische Initiative, der Business Development Fund. Bei der Konferenz werden weitere Mitstreiter dazukommen, die EU, die Weltbank und Japan zum Beispiel. Dabei geht es um Kapital, aber auch um Beratung, damit dieser Fonds zu einer treibenden Kraft der wirtschaftlichen Erholung der Ukraine werden kann.

Die Ukraine sucht händeringend Fachkräfte. Gleichzeitig leben in Deutschland noch viele erwerbsfähige Ukrainer vom Bürgergeld. Ist daran gedacht, irgendeinen Anreiz zu schaffen, um sie zur Rückkehr in ihre Heimat zu bewegen?

Um das klarzustellen: Es bleibt die individuelle Entscheidung der Ukrainerinnen oder Ukrainer, die bei uns Zuflucht gesucht haben, ob und wann sie in ihre Heimat zurückkehren wollen. Deutschland übt keinen Druck aus und zahlt auch keine Rückkehr-Prämien. Natürlich können die ukrainischen Schutzsuchenden in Deutschland, Polen oder anderen Ländern einen Beitrag leisten, um das Fachkräfte-Problem der Ukraine zu lösen. Ein Problem dabei ist, dass die Abschlüsse, die sie in Deutschland oder anderen EU-Staaten erwerben, in der Ukraine noch nicht automatisch anerkannt werden. Das ist eines der Themen, die wir bei der Konferenz mit einer neuen Fachkräfte-Allianz für den Wiederaufbau angehen wollen.

Wie ist es mit der Ausbildung vor Ort?

Die steht im Zentrum der Fachkräfte-Allianz. Wir wollen gemeinsam mit der Ukraine und vielen weiteren Partnern Aus- und Fortbildungen sowie Umschulungen zielgerichtet auf den Wiederaufbau ausrichten. Das Land braucht insbesondere ausgebildete Frauen, denn viele Männer sind an der Front oder gefallen. Für den Wiederaufbau bedeutet das konkret: Elektrikerinnen, Statikerinnen oder auch Expertinnen für die Herstellung von Prothesen. Da fehlt es im Moment an allen Ecken und Enden.

Kein Interview mit Ihnen, ohne den Haushaltsstreit in der Ampel zu thematisieren. Finanzminister Lindner will ihren Etat stark zusammenkürzen, Sie wehren sich. Haben Sie ihn schon umstimmen können?

Wir sind mitten in den Verhandlungen. Die Einschätzung, dass wir uns aus vielen unserer internationalen Partnerschaften zurückziehen könnten, teile ich ausdrücklich nicht. Deutschland verdient jeden zweiten Euro im Export. Unser Wohlstand hängt von soliden internationalen Beziehungen ab, wofür eine Verlässlichkeit unserer Entwicklungszusammenarbeit enorm wichtig ist. Die Lücken würden dann sofort von China oder Russland gefüllt.

Lindner hat nun mehrfach die - erstmals von der AfD kritisierte - Förderung von Radwegen in Peru durch ihr Ministerium aufs Korn genommen. Was sagen Sie dazu?

Offensichtlich gibt es da noch Informationsbedarf. Die von uns geförderten Radwege sind ein sehr kleiner, aber sinnvoller Baustein eines kompletten Umbaus des Verkehrs in Lima – einer Stadt mit massivem Stau- und Umweltproblem. Der Neubau der dortigen U-Bahn ist ein 5-Milliarden-Dollar-Projekt, das Deutschland nicht mit Steuergeld, sondern mit Krediten in niedriger dreistelliger Millionenhöhe unterstützt, die zurückgezahlt werden.

Sind auch Firmen aus Deutschland dort engagiert?

Deutsche Unternehmen waren schon in den ersten Bauphasen mit Aufträgen in dreistelliger Millionenhöhe beteiligt. Das Projekt ist also nicht nur gut für Peru und den Klimaschutz, sondern auch für die deutsche Wirtschaft. Jetzt geht es um die nächsten Ausschreibungsrunden. Das Problem ist: Die Debatte bei uns wird auch in Peru verfolgt, dort macht man sich jetzt Sorgen um Deutschlands Verlässlichkeit. Das schadet letztlich auch deutschen Unternehmen, die dort engagiert sind und es weiter sein wollen. Und damit auch unserem deutschen Wohlstandsmodell, das auf Weltoffenheit aufgebaut ist.

Ihr Haushalt besteht weitgehend aus längerfristigen Verpflichtungen. Können Sie überhaupt kurzfristig Milliardensummen einsparen?

Nein, ein großer Teil meines Haushalts ist gebunden. Wenn man dort drastisch einsparen würde, dann müssten wir internationale Verträge brechen. Das sollte man besser nicht tun, wenn man vom Export lebt und international auf Verbündete angewiesen ist.

Das klingt alles nach verhärteten Fronten.

Ich gehe davon aus, dass die Koalition das hinbekommt.

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