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Bloggerin Tuba SaricaSind Teile der muslimischen Gemeinschaft antisemitisch?

Lesezeit 9 Minuten

Tuba Sarica ist studierte Germanistin

Köln – Für die Familie ist Tuba eine Deutsche. Und das ist kein Kompliment. „Du bist sogar noch schlimmer“, sagen sie, wenn sie sie mal wieder nicht verstehen wollen. Denn dass die junge Deutsch-Türkin selbstbestimmt lebt, also ohne die ansonsten so übliche vielstimmige Ansage von Tanten, Onkeln und Vettern, ist schon schlimm genug. Dass sie obendrein ihr deutsch-türkisch-sunnitisches Umfeld kritisiert, macht sie zur Verräterin. Auch wenn das keiner so offen sagt. Jetzt spreche sie auch noch mit der „Lügenpresse“, wird es heißen. Überhaupt rede sie schon so wie die. Die Deutschen. Schamlos eben und gottlos. Gottlos, weil sie sich nicht den Regeln der Gemeinschaft unterwerfe. Und das sei eben nicht zu trennen.

Tuba Sarica ist hübsch, trägt die langen, schwarzen Haare offen. Und wenn sie den Blick senkt, um sich zu konzentrieren, legen sich erstaunlich dichte Wimpern wie ein schwarzer Vorhang vor ihre Augen. Ihr Jung- und Schönsein versteckt sie nicht. Es ist auch sonst nicht ihre Absicht, mit irgendetwas hinter dem Berg zu halten. „Rassismus ist nicht besser, wenn er aus der muslimischen Ecke kommt“, sagt sie mit festem Blick und fasst ihre Beobachtungen in einem Satz zusammen. „Junge Menschen mitten in Deutschland werden anti-deutsch, anti-christlich und anti-semitisch erzogen“. Das zu sagen, sei nicht übertrieben und treffe für eine beträchtliche Zahl zumindest der sunnitisch geprägten Türken zu.

Sarica ist in Deutschland aufgewachsen

Wer ist Tuba Sarica, dass sie so etwas sagen darf, dass man ihr diesen Raum gibt? Sarica ist eine junge Deutsch-Türkin, eine ganz normale junge Frau, hier geboren, hier aufgewachsen, in der sich schon länger Wut aufbaut. Eine Wut, oder besser: Erbitterung, die sich festmacht an der Unfähigkeit in den eigenen Kreisen, in Deutschland anzukommen. Und der Unwilligkeit, das auch selbstkritisch zu sehen.

So etwa schreibt sie es auch in ihrem politischen Blog. Unter „Weltbewohner.com“ geht es um Integration und um den, wie sie sagt, alltäglichen Islamismus. Vielleicht wird daraus mal ein Buch, eine selbstkritische Analyse einer Parallelgesellschaft. Denn ja, die gebe es, sagt die Bloggerin, die einen Bachelor in Germanistik hat.

Dies hier ist nur der Versuch einer Wahrheitsfindung. Man muss Tuba Saricas Beobachtungen nicht nach wissenschaftlicher Gründlichkeit abklopfen oder strenger Statistik unterziehen. Aber man sollte sie anhören. Sie sind ein Schlaglicht aus der sunnitisch-islamisch geprägten Community, der größten muslimischen Gruppe in Deutschland. Nicht weniger. Und sie kommen zu einem Zeitpunkt, da die deutsche Gesellschaft mit sich selbst genug Selbstkritisches auszumachen hat. Schließlich wächst die Zahl ausländerfeindlicher Attacken, wachsen Hass und unverhohlener Rassismus vor allem gegenüber den Muslimen. Zu einem Zeitpunkt aber auch, in dem eine wachsende bürgerliche Öffentlichkeit eine ehrliche Diskussion über das gemeinsame Zusammenleben einfordert, über geteilte Werte und Lebensentwürfe.

So will auch Tuba Sarica dieses Gespräch verstanden wissen. Viele Deutsche wollten doch gar nicht die AfD wählen, glaubt sie. Ihnen fehle aber ein ehrlicher Umgang mit ihren Ängsten und Bedenken den muslimischen Mitmenschen gegenüber. Tuba glaubt, dass es in der Verantwortung der Deutsch-Türken liegt, diesen Dialog ehrlich zu führen. Wie sauer auf die eigenen Leute und wie sicher ob des eigenen Urteils muss man sein, um sich dem Gewitter von Kritik und Drohungen, die vermutlich folgen, auszusetzen. Erst recht nach dem Hinweis auf die Aleviten. Ja, die alevitisch-kurdisch oder alevitisch-türkische Gruppe gehe häufig andere Wege, sagt sie. Bildungsorientierter und offener für die Gesellschaft, in der sie leben.

Abweisende Haltung in relevanten Teilen

Die große sunnitisch-muslimisch geprägte Community dagegen nehme in relevanten Teilen eine abweisende Haltung gegenüber der Mehrheitsgesellschaft ein. Sie verharre im eigenen Milieu. Und sei deshalb für die schlechte Integration mitverantwortlich. Wo die deutsche Politik mittlerweile in vielen Bereichen Fehler einräumt, zum Beispiel bei der mangelnden Ansprache von Frauen, die als Braut aus der Türkei einreisten, dreht Tuba das Argument um: „Auch wer aus einem türkischen Dorf kommt, weiß, dass er in einem anderen Land die Sprache lernen muss.“

In einer Arbeiterfamilie wuchs Tuba Sarica auf. Die Großeltern kamen nach Deutschland, um zu arbeiten. Auch ihre Eltern wurden Fabrikarbeiter. Die übliche Zuwanderergeschichte also. Besonders religiös waren sie nicht, die Familie galt als liberal. Das habe sich dann geändert, als der Vater an einer Krebserkrankung starb und die Mutter Halt in der religiösen Verwandtschaft suchte, erzählt Tuba. Verstehen kann sie es, wie man etwas versteht, was man nicht teilt, aber erklären kann. Die türkische Familie biete dem Einzelnen innige Wärme und Halt. Dafür gebe es im Verständnis der Deutsch-Türken keine Entsprechung. Das erkläre letztlich die Beharrlichkeit.

Ausbrüche aus dieser Welt hatten und haben auch heute noch ihren Preis. Man muss dabei nicht die schwärzesten Gewaltvorstellungen und Drohungen mitdenken, weil auch das nur auf eine kleine Minderheit zutrifft. Die Strafe ist eine emotionale. Und das ist schlimm genug für ein türkisches Mädchen. So wie für Tuba eben.

Der Druck zur Anpassung, zum Gehorsam, der dort ausgeübt werde, sei meistens subtil und unterschwellig. Nicht offen, ohne Chance auf eine kritische Auseinandersetzung, ohne Austausch von Meinungen und Gegenmeinungen. „Wir leben in einer Kultur ohne Worte“, beschreibt sie den Lebensmodus der immer noch von der bodenständigen, bäuerlichen Herkunft geprägten Menschen um sie herum.

Ohne Debatte und ohne, dass Gefühle ausgesprochen würden. Alles Gesagte und Geschehene bleibe innerhalb der Schutzblase einer Gemeinschaft, die es sich in einem festen Weltbild bequem gemacht habe. Vor diesem Hintergrund werde alles gefiltert und jeder, der eine Bedrohung für diese Welt ist, zurückgewiesen. Probleme würden vertuscht.

Wie diese geschlossene Welt sich verstärkt hat, darüber ist viel geredet worden in den letzten Monaten. Aber mehr unter dem Aspekt des Randphänomens bei denen, die dann für alle sichtbar in extrem religiöse Richtungen abdrifteten. Was aber bedeutet diese geschlossene Welt in größeren Teilen der türkischen Community? „Die meisten Deutschtürken aus meinem Umfeld und darüber hinaus sind deutschenfeindlich. Punkt aus.“ Da sei ein tiefes Misstrauen gegenüber der Gesellschaft, in der man lebe, sagt Tuba. Und ein klares Feindbild. „Die deutsch-türkische Community um mich herum gefällt sich in der Opferrolle. Sie genießt es, den bösen Deutschen für das Schulversagen der Kinder, für die Bildungsdefizite und mangelnde Jobchancen verantwortlich zu machen“, spottet sie. „Man gehöre ja doch nicht dazu“. Folglich brauche man sich auch nicht anzustrengen.

Harte Worte. Aber Tuba Sarica kann ein pauschales Gerede über Diskriminierung nicht mehr hören. Kind aus einem Arbeiterhaushalt ohne Bücher, ohne Anregung, ohne Hilfe, und ja mit einem türkischen Namen, der doch wahrlich nicht immer gerade eine Eintrittskarte sei: Nein, findet Tuba. Sie habe als Kind türkischer Einwanderer die gleichen Chancen gehabt wie ihre Mitschüler.

In das vermeintliche Opfer-Schema passt ihrer Ansicht nach auch die ganze Islamdebatte. Jedwede kritische Auseinandersetzung mit den Texten und Lesarten des Islam werde als Angriff auf die eigene Identität verstanden. Unterscheidungen würden erst gar nicht gemacht und Verschwörungstheorien weiten Raum gegeben, wonach hinter allem ein geheimer Plan stünde, den Islam und die Türkei zu schwächen. Schaut man zurück in die politische Debatte, gibt es für eine Selbstvergewisserung dieser Art allerdings auch genügend Nahrung. Von Thilo Sarrazins „Kopftuchmädchen“ bis hin zu den Pannen und sichtbaren Ungereimtheiten um die Aufklärung der mörderischen Umtriebe der rechten Terroristen vom NSU.

Für Tuba Sarica ist das eine Selbstvergewisserung mit doppelter Wahrnehmung. „Viele wollen nicht zugeben, dass sie sich eigentlich hier wohl fühlen. Und nicht nur wegen der sozialen Netze, die unter uns allen in Deutschland ausgespannt sind. Deutschland ist ein Land, in dem es sich menschenwürdig leben lässt.“ Ins Zentrum ihrer Klage setzt sie die Dominanz eines konservativ verstandenen Islam. Durch den türkischen Präsidenten Erdogan sei dieses Islamverständnis zusätzlich auf eine politische Ebene getragen worden. So wüssten die deutschen Ableger aus Ankara wie die Ditib und auch der deutsche Ableger des türkischen Predigers Fetullah Gülen, der für den Putschversuch in der Türkei verantwortlich gemacht wird, die schlechten Integrationsergebnisse der Deutschtürken für ihre Zwecke nutzbar zu machen, indem sie „einen populistischen Islam als identitätsstiftende Kompensation anböten“. Ziel sei es, mit einer frommen konservativen Schar in Deutschland den Machterhalt in der Türkei zu sichern.

Nun sind das vielleicht keine neuen oder gar originellen Gedanken, aber zusammen genommen ergeben sie in Tubas Realitätspuzzle ein stimmiges Bild. Von Ditib oder Gülen sei deshalb kaum eine Weiterentwicklung des Islam in Deutschland zu erwarten, ist sie überzeugt. „Dabei sind die Kenntnisse über den Koran bei vielen eher mangelhaft“. Das Islamverständnis des durchschnittlichen Deutschtürken trage vielmehr „stark homophobe, frauenfeindliche und rassistische“ Züge. Ob er das nun immer so lebe oder nicht. Immer wieder gebe es Situationen, die sie sprachlos machten. Etwa, wenn schon eine Zwölfjährige aus dem Bekanntenkreis darüber spreche, dass man sich beim Kauf eines Produktes vergewissern müsse, dass das Produkt nicht aus Israel oder den USA komme, die Eltern nicht einschritten und sie auf die Listen im Internet verweise.

Mit sieben Jahren schickten Tubas Eltern sie in den Herbstferien in die Koranschule. Und Tuba sagt, sie habe es gehasst. Nun ist das allein nicht verwunderlich, erfreut sich der Kommunionunterricht auch bei vielen christlichen Kindern nicht gerade großer Begeisterung. Im Koranunterricht aber werde bis heute im Wesentlichen das heilige Buch der Muslime auf arabisch gelesen. „Toll“, sagt sie. „Was also versteht man? Nichts!“ Den Koran auf deutsch zu lesen, sei hingegen verpönt. Auf türkisch nicht minder. Als sie sich Jahre später ein Reclamheft mit der deutschen Übersetzung kauft, erntet sie böse Blicke. Soll sie das etwa nicht verstehen dürfen und nur stattdessen den ihr erteilten Geboten folgen? Geredet oder argumentiert hat niemand mit ihr. Tuba Sarica weiß, dass viele damit überfordert gewesen wären. Das macht es nicht besser für sie.

Vor diesem Hintergrund galt den Deutsch-Türken, die sich zwar für religiös, aber doch eher modern halten, das Bildungsangebot der Gülen-Bewegung bisher als Alternative. Tuba Sarica hat ein Jahr lang in einer der Nachhilfezentren Englisch- und Deutschunterricht gegeben. Als Nebenjob sozusagen. Für sie sind der offizielle türkische Islam eines Präsidenten Erdogan und der Gülen-Islam aber nur zwei Seiten der gleichen Medaille. Beide verbinde das Credo, dass das, was sich muslimisch nennt, letztlich nicht zu kritisieren sei.

So hört man ihr zu und das Bild einer Gemeinschaft entsteht, die außerhalb der Schulen, die ganz normal auf Basis staatlicher Curricula arbeiten, den Weg in eine elitäre, Tuba nennt es konspirative, Gemeinschaft weist. Aber nicht unbedingt in eine bundesdeutsche. Es wird klar, dass bei den Gülenisten jenseits offizieller Beteuerungen Wert auf die Geschlechtertrennung gelegt werde, wie auf eine fromme Sozialisation muslimischer Kinder, die möglichst wenig Kontakt mit dem westlichen Lebensstil ihrer christlichen Gleichaltrigen haben. „Ein anderer Lebensentwurf ist nicht erwünscht.“ Und ein Mensch, der einen solchen lebt, wohl noch viel weniger.

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