Deutsche aus Haft entlassenErdogan hält den wirtschaftlichen Druck nicht aus
David Britsch zeigte sich am Freitag erleichtert, aber auch zornig. „Ich bin ein unbescholtener Bürger, der sich weder in Deutschland noch in der Türkei jemals etwas zu Schulden hat kommen lassen“, sagte der 55-Jährige bei seiner Rückkehr nach Schwerin.
Der eigentlich aus Süddeutschland stammende Pädagoge war nach eigenen Angaben am 21. November 2016 zu Fuß von seinem Wohnort Schwerin zu einer Pilgerreise aufgebrochen. Anfang April endete diese abrupt an der türkisch-syrischen Grenze.
In der südtürkischen Stadt Antakya wurde Britsch festgenommen und später in das Abschiebegefängnis in Askale im Nordosten gebracht, wo er bis zum Donnerstag einsaß.
„Die Türkei befindet sich in einer Wirtschaftskrise“
Seine Freilassung war die zweite eines Deutschen in der Türkei in dieser Woche. Erst am Montag war die Journalistin Mesale Tolu nach siebenmonatiger Untersuchungshaft auf freien Fuß gesetzt worden. Ihr wird Mitgliedschaft in einer Terrororganisation vorgeworfen. Sie darf das Land aber weiter nicht verlassen. Auch der deutsche Soziologe Sharo Garip will in Kürze nach der Aufhebung einer knapp zweijährigen Ausreisesperre aus der Türkei nach Deutschland zurückkehren. Ihnen voraus ging der inhaftierte Berliner Menschenrechtsaktivist Peter Steudtner.
Der überstimmenden Einschätzung von Fachleuten zufolge ist der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan, der den deutsch-türkischen Konflikt im Laufe des Jahres immer weiter verschärft hatte, nicht etwa zum Menschenfreund geworden. Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Gökay Sofuoglu, hat vielmehr den Eindruck, dass Erdogan und seine Gefolgsleute „den wirtschaftlichen und politischen Druck und den Konflikt mit Deutschland und der Europäischen Union auf Dauer nicht aushalten können“. Denn: „Die Türkei befindet sich in einer Wirtschaftskrise. Es gibt Unzufriedenheit in der Regierungspartei und in der Bevölkerung.“ Erdogan verliere in der Türkei allmählich seine Glaubwürdigkeit.
Die Preise in der Türkei seien zuletzt stark gestiegen
Die Sprecherin von Außenminister Sigmar Gabriel (SPD), Maria Adebahr, sah am Freitag eine „positive Entwicklung“. Es bestehe „Hoffnung“, dass es gelingen könne, „Schritt für Schritt Vertrauen wieder aufzubauen und in Richtung einer Entkrampfung des bilateralen Verhältnisses zu gehen“. Sie vermied es jedoch, von einer Trendwende zu sprechen oder die guten Nachrichten als Verdienst der Bundesregierung darzustellen. Zufall sind die jüngsten Fortschritte gleichwohl nicht.
Sofuoglu wies auf die schlechte ökonomische Lage in der Türkei hin. Die Preise seien zuletzt stark gestiegen, nicht aber die Löhne, sagte er. So sei Fleisch doppelt so teuer wie in Deutschland. Die Arbeitslosigkeit nehme zu, die Investitionen nähmen ab. Der Türkei-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik, Günter Seufert, betrachtet als einen Grund für die Fortschritte, dass die Bundesregierung eine Vertiefung der Zollunion mit der EU blockiere. Dies schade der Türkei spürbar. Auch stehe die Visa-Freiheit für türkische Staatsbürger in der EU unverändert aus. Und schließlich sei die Bundesregierung entgegen der türkischen Wünsche zurückhaltend bei Waffenlieferungen.
Streit mit der EU und der USA – zu viel für Erdogan
Nach Einschätzung des Wissenschaftlers kommt hinzu, dass es im türkischen-amerikanischen Verhältnis zunehmend kriselt. So bewaffneten die USA die Kurden in Syrien, hätten Jerusalem gegen den Willen Erdogans zur Hauptstadt Israels erklärt und seien mit Visa ebenfalls restriktiv. Zu allem Überfluss laufe in New York ein Korruptionsprozess, der bis in Erdogans Umfeld reiche. Streit mit der Europäischen Union und den USA, glaubt Seufert – das sei in der Summe zu viel.
Der SPD-Außenpolitiker Rolf Mützenich sieht das ähnlich. „Die türkische Regierung erkennt offenbar, dass die Belastung des deutsch-türkischen Verhältnisses langfristig kontraproduktiv ist“, sagte er dieser Zeitung. Allerdings säßen immer noch Deutsche wie der Welt-Journalist Deniz Yücel aus politischen Gründen in türkischen Haftanstalten, wo längst Platzmangel herrsche. So lange es keine Verbesserung der Menschenrechtslage gebe, müsse der Druck auf das Regime beibehalten werden.