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Kommentar

Kolumne von Erik Flügge
Die Debatte um das „Manifest“ zeigt eine Gefahr für die Demokratie

Ein Kommentar von
Lesezeit 3 Minuten
Sahra Wagenknecht (Die Linke, l.) und Alice Schwarzer haben nach ihrem „Manifest für Frieden“ zu einer Demonstration in Berlin gegen weitere Waffenlieferungen an die Ukraineaufgerufen.

Sahra Wagenknecht (Die Linke, l.) und Alice Schwarzer haben nach ihrem „Manifest für Frieden“ zu einer Demonstration in Berlin gegen weitere Waffenlieferungen an die Ukraine aufgerufen. Daran nimmt auch die AfD teil.

Wenn Kritiker von Waffenlieferungen keine politische Vertretung in der Mitte finden, ist das gefährlich, meint Kolumnist Erik Flügge.

An diesem Samstag demonstrieren in Berlin Friedensbewegte auf Initiative von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht (Linkspartei), Autorinnen des „Manifests für Frieden“, gegen deutsche Waffenlieferungen an die Ukraine. Mit dabei ist auch die AfD.

Spätestens nach diesem Satz werden viele den Kopf schütteln. Mit der extremen AfD will in Deutschland kaum jemand gemeinsame Sache machen. Zum Glück. Wer eine Partei, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird, nicht von eigenem Protest ausschließt, diskreditiert sich selbst. Deshalb ist es richtig, dass Wagenknecht und Schwarzer mit ihrer mangelnden Distanzierung in der Kritik stehen.

Ein erheblicher Teil der Bevölkerung sieht Waffenlieferungen skeptisch

Das Problem ist, dass ein erheblicher Teil der Bevölkerung Waffenlieferungen ähnlich skeptisch sieht wie Schwarzer und Wagenknecht. 44 Prozent sagen laut ARD-Deutschlandtrend, ihnen gehe das zu weit. Die meisten dieser Leute haben mit der AfD nichts am Hut und wahrscheinlich auch nicht so viel mit Schwarzer und Wagenknecht. Aber sie finden sich im aktuellen Diskurs nur bei ihnen mit ihrer Position wieder.

Wie die Theologin Margot Käßmann, die im „Kölner Stadt-Anzeiger“ noch ihre Unterstützung für das Manifest begründet hatte, aber jetzt bewusst wegen der AfD der Demonstration in Berlin fernbleibt. Es fehlen die Stimmen aus der Mitte, die aufgreifen, was große Teile der Bevölkerung umtreibt.

Gänzlich moderate Menschen sehen sich plötzlich nur noch von den Radikalen vertreten

Leider ist das ein wiederkehrendes Muster. In gesellschaftlichen Großkrisen stehen fast alle demokratischen Kräfte auf der einen Seite und die radikalen auf der anderen. So war es bei Corona, so ist es im russischen Krieg gegen die Ukraine. Das bedeutet in der Konsequenz aber, dass gänzlich moderate Menschen wie Käßmann sich plötzlich nur noch von den Radikalen vertreten sehen. Sie sind mit ihrer Überzeugung öffentlich isoliert in einer Gesellschaft, als deren Mitte sie sich gerade eben noch empfanden.

Das ist katastrophal für unsere Demokratie. Menschen, die ihre Überzeugung nie geändert haben, geraten plötzlich an den Rand. „Keine Waffenlieferungen in Kriegsgebiete“ – das war bis vor zwölf Monaten noch deutsche Staatsräson. Heute ist es eine Position, die öffentlich fast nur noch an den Rändern vertreten wird. Dass nicht jede und jeder einen solch fundamentalen Positionswechsel mitgehen mochte, ist verständlich. Aber das heißt im Umkehrschluss doch nicht, dass alle, die immer noch gegen Waffenlieferungen sind, zu den radikalen Rändern des politischen Spektrums zählen.

Waffenlieferungen sind das kleinere Übel

Ich selbst habe meine Position vor einem Jahr geändert. Ich befürworte die militärische Unterstützung der Ukraine, obwohl ich zuvor gegen Waffenlieferungen in Kriegsgebiete war. Dieser Schwenk ist mir nicht leichtgefallen, und ich habe ihn länger durchdacht, bis ich zu dem Schluss kam, dass Waffenlieferungen das kleinere Übel sind gegenüber dem Gewähren lassen des russischen Imperialismus.

Aber eines habe ich mir bei diesem Positionswechsel doch vorgenommen: Ich werde Menschen der politischen Mitte, die zu einem anderen Schluss kommen, nicht ausschließen. Deren Position hätte genauso gut meine sein können.

In der Religion sagt man häufig, Konvertiten seien die schlimmsten Eiferer. Wer seine Position wechselt, wird schnell zum Missionar und erklärt alle zu Verblendeten, die das vertreten, wofür man eben selbst noch stand. Ich finde: Wenn Deutschland Waffen liefert, dann ist das gut. Aber genauso gut ist, dass es Menschen gibt, die das niemals für selbstverständlich erachten und kritisch begleiten.