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Kommentar

Kretschmer, Wagenknecht und Co.
Falsche Friedensengel spielen Putin in die Hände

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Lesezeit 3 Minuten
ARCHIV - 17.11.2023, Sachsen, Stolpen: Michael Kretschmer (CDU), Ministerpräsident von Sachsen. (zu dpa: «Kretschmer für Sondervermögen und Hilfe für die kommunale Familie») Foto: Robert Michael/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

CDU-Politiker Michael Kretschmer wurde für seinen Vorschlag eines „vorübergehenden Gebietsverzichts“ aus Kiew abgewatscht.

Kretschmers Vorschlag, die Ukraine könne „vorübergehend“ auf Gebiete verzichten, sorgt für Wut in Kiew – und für Freude in Moskau.

Was Michael Kretschmer genau sagen wollte, weiß vielleicht nicht einmal der sächsische Ministerpräsident selbst. Erneut hat der CDU-Politiker sich zu Russlands Krieg gegen die Ukraine geäußert – und erneut eine klare und eindeutige Positionierung gegen einen Sieg des Kremls vermissen lassen.

Anders kann man den „vorübergehenden Gebietsverzicht“, den Kretschmer den Ukrainern nun nahe gelegt hat, jedenfalls kaum nennen. Kurz darauf behauptete Kretschmer dann, dass kein Teil der Ukraine russisch geworden sei und dann auch nicht werde. Das klingt zwar toll, ist aber Quatsch.

Im Wochentakt kommen Forderungen nach den „Verhandlungen“, die Putin gar nicht will

Würde die Ukraine den Kampf um ihre besetzten Gebiete aufgeben – oder aufgeben müssen, weil sie von westlichen Politikern dazu genötigt wird – hätte Russland gewonnen und sich erfolgreich vergrößert, wie ein Blick auf die seit 2014 annektierte Halbinsel Krim zeigt.

Mittlerweile ist es zudem eine alte Leier – ob sie seit Kriegsbeginn nun von Kretschmer, der Linken-Abtrünnigen Sahra Wagenknecht oder dem Politologen Johannes Varwick vorgetragen wird. Inhaltlich tun sich die selbsterklärten Friedensaktivisten wenig. Ungeachtet aller Aussagen Wladimir Putins, aller Drohungen des Kremls und ungeachtet jeglicher Entscheidungsautonomie der Ukraine, fordert die Riege fast im Wochentakt „Verhandlungen“, „Waffenstillstand“ und das „Einfrieren des Konflikts“.

Ukrainische Leben unter russischer Herrschaft ebenso in Gefahr wie unter russischen Raketen

Gerne wird dabei vorgegeben, es gehe doch darum, die Leben von tausenden ukrainischen Soldaten zu retten. Es müssten ja nicht so viele sterben, sagen die falschen Friedensengel. Den entscheidenden Halbsatz: „Wenn die Ukraine sich einfach ihrem Schicksal fügen würde“, lassen sie dabei allerdings gerne weg. Auch wer eigentlich mit wem verhandeln soll, bleibt ihr Geheimnis. Irgendwer mit irgendwem, Hauptsache Verhandlungen.

Was ebenfalls gerne verschwiegen wird, ist die Realität, in der Ukrainer in den besetzten Gebieten seit Kriegsbeginn leben – und in der sie leben müssten, würde die Ukraine „vorübergehend“ auf diese Regionen verzichten.

Michael Kretschmer: Ukraine kritisiert „Zeichen der Schwäche“

Mord, Totschlag, Vergewaltigung und Folter sind an der Tagesordnung von Luhansk bis Sewastopol. Die Hoffnung der Menschen, die in Städten wie Awdijiwka weiterhin ausharren, läge am Boden – und ihr Leben wäre unter russischer Herrschaft in ähnlicher Gefahr wie unter russischen Raketen. Dass Russland nicht nur einen Krieg gegen die Ukraine, sondern auch einen gegen die europäische Idee der Freiheit führt, scheinen manche immer noch nicht begriffen zu haben.

Die Vorschläge von Kretschmer, Wagenknecht und Varwick verkleiden sich stets im Gewand der Ukraine-Hilfe. Das Ergebnis dieser Wünsche bleibt aber stets die Niederlage der Ukraine – und ein weiterhin schwelender Konflikt, in dem Russland zu einer dringend benötigten Verschnaufpause käme, ehe es in der Zukunft nach dem ganzen Land oder weiteren Ex-Sowjetrepubliken greifen könnte. Die Drohungen gegen Finnland erneuerte Moskau nahezu zeitgleich mit Kretschmers Worten.

Um Frieden und Freiheit für die Ukraine geht es den „falschen Friedensengeln“ nicht

Ein „Zeichen der Schwäche“ seien Wortmeldungen wie Kretschmers in den Augen des Kremls, warnte der ukrainische Botschafter in Deutschland, Oleksii Makeiev nun. Die russischen Staatsmedien gaben ihm prompt recht – und berichteten freudig über das „schockierende Angebot“ des Sachsen.

So bleibt am Ende der Verdacht, dass es wie bei Wagenknechts Friedensdemos auch bei Kretschmers regelmäßigen Liebesgrüßen aus Dresden vor allem um die Stimmen der nach wie vor zahlreich vorhandenen Russlandromantiker im Osten geht. Oder um das Wohlwollen der linken Altpazifisten und der rechten Populisten, in deren Augen kein Kriegsflüchtling ein teures Auto fahren darf. Oder einfach um Aufmerksamkeit, wer weiß das schon.

Nur um Frieden und Freiheit für die Ukraine, so viel scheint jedenfalls sicher, geht es dabei nicht.