Russlands Außenminister war einst ein geachteter Diplomat. Doch Russland pfeift auf seinen Ruf in der westlichen Welt. Am Niedergang des Sergej Lawrow zeigt sich das besonders.
Einst geachtet, heute international isoliertNur noch Putins Sprachrohr: Die Degradierung des Sergej Lawrow
Es ist inzwischen absehbar, was passiert, wenn Sergej Lawrow mal wieder die Einreise in irgendein europäisches Land verweigert wird. Dann verschafft sich der russische Außenminister eben in Moskau Gehör bei denjenigen, die ihn an der Reise gehindert haben.
Am vergangenen Donnerstag war es wieder soweit. Eigentlich hatte Lawrow ins polnische Łódź reisen wollen, um dort an einem Ministertreffen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) teilzunehmen. Doch Polen, das derzeit den Vorsitz bei der OSZE innehat, verweigerte ihm unter Hinweis auf die gegen ihn wegen des Ukraine-Konflikts erlassenen Sanktionen das notwendige Visum für die Teilnahme an dem Treffen.
Lawrow reagierte, indem er zeitgleich zum Beginn des Treffens in Łódź eine im Fernsehen übertragene Pressekonferenz in Moskau anberaumte, auf der er als allererste Amtshandlung auf die OSZE einprügelte: „Geist und Wortlaut der OSZE-Charta sind zerstört“, sagte er und unterstrich seine Einschätzung mit schweren Vorwürfen gegen die Staatenkonferenz, die ihre Friedensmission im Donbass zwischen 2014 und 2022 dazu missbraucht habe, militärisch zu Lasten Russlands einzugreifen.
Selbst der Papst muss sich Kritik anhören
Der Vorwurf war der Auftakt einer mehr als zweistündigen Tirade gegen den Westen. Dieser dominiere die OSZE, die dadurch ihre Bedeutung als Vermittler verloren habe. Polen „gräbt schon das ganze Jahr ein Grab“ für die Organisation, sagte er.
Und die Suada ging weiter: Der Westen würde versuchen, Russland international zu isolieren, zum Beispiel in den Beziehungen zu Indien, die friedlichen Absichten Moskaus würden in ein falsches Licht gestellt, und der Westen messe mit zweierlei Maß: „Vergleichen Sie die Hysterie, die jetzt in den westlichen Medien entfesselt wird, mit dem, was geschah, als die USA den Irak bombardierten“, sagte er. Selbst den Heiligen Vater nahm Lawrow ins Gebet, nachdem dieser in einem Interview mit dem jesuitischen Magazin „America“ die tschetschenischen und burjatischen Soldaten der russischen Armee in der Ukraine als möglicherweise besonders grausam bezeichnet hatte.
Noch 2015, als die G7 Russland wegen der Annexion der Krim schon aus ihren Reihen verbannt hatten, war Präsident Wladimir Putin gemeinsam mit Lawrow von Papst Franziskus freundlich im Vatikan empfangen worden, um Gespräche über einen Frieden in der Ukraine zu führen. Nun sagte Lawrow, der Pontifex äußere sich „unchristlich“.
All das klang sehr ähnlich zu dem, was der russische Außenminister im Juni gesagt hatte, nachdem er einen Besuch in Serbien absagen musste, weil ihm dessen Nachbarländer Bulgarien, Nordmazedonien und Montenegro den Luftraum gesperrt hatten. Der russische Außenminister war empört, nannte das Überflugverbot „ungeheuerlich“ und wütete gegen den Westen, der die Wahrheit fürchte und auf die Gehirnwäsche seiner Bürger setze. EU und Nato griffen zu „niedrigsten Mitteln“, um anderen Staaten – in dem Fall Serbien – ihre Regeln aufzuzwingen.
Lawrow, ein klassischer russischer Karriere-Diplomat
Es nagt an Lawrow, auf dem Parkett der internationalen Außenpolitik, auf dem er seit 18 Jahren zu Hause ist, inzwischen als Paria behandelt zu werden. Dabei müsste der Diplomat kraft seiner unbestritten hohen Intelligenz durchaus nachvollziehen können, warum das so ist. Es geht ja nicht um seine Person, sondern um seine Auffassungen. Nach denen führt Russland keinen Angriffskrieg gegen ein friedliches Nachbarland, sondern die Armee des Kremls schützt vielmehr das Leben und die Freiheit russischer Bürger in der Ukraine – eine Haltung, die oft genug auf schroffe Ablehnung stößt.
In etwa so hatte Lawrow im Juli beim Treffen der G20-Außenminister auf Bali den russischen Feldzug gegen die Ukraine begründet, während ihn seine westlichen Amtskollegen schnitten und seinetwegen das Gruppenfoto und das gemeinsame Abendessen ausfielen. Die indonesischen Organisatoren hatten das übliche Programm geändert, weil sie damit rechnen mussten, dass sich einige Minister weigern würden, mit dem russischen Kollegen Normalität zu demonstrieren.
Dabei war Lawrow in Diplomatenkreisen einmal hoch respektiert. Der im Jahr 1950 geborene Moskauer ist ein klassischer russischer Karrierediplomat, der seine Laufbahn mit einem Studium am renommierten Moskauer Staatlichen Institut für internationale Beziehungen (MGIMO) begann. Die angesehene liberale Politologin Lilia Schewtsowa, die damals zwei Jahrgangsstufen über ihm war, erinnert sich: „Er galt als hochintelligent und humorvoll“, sagte sie dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).
Am MGIMO lernte Lawrow neben Englisch und Französisch auch Singhalesisch und Dhivehi, die Sprache der Malediven. Nach Abschluss des Studiums ging er 1972, noch zu einer Zeit also, als die Sowjetunion unter Staatschef Leonid Breschnew zunehmend stagnierte, als Attaché an die Botschaft des Landes in Sri Lanka, arbeitete danach einige Jahre im sowjetischen Außenministerium in der Abteilung für internationale Organisationen. Im Jahr 1981 wurde Lawrow für sieben Jahre zur Ständigen Vertretung der Sowjetunion bei den Vereinten Nationen (Uno) nach New York entsandt, anschließend kehrte er wieder nach Moskau zurück, wo er im Außenministerium in verschiedenen Abteilungen Führungsaufgaben übernahm.
„Ein Gromyko der Neuzeit“
Die Weltbühne betrat der damals 44-Jährige schließlich 1994, nachdem er nach New York als Ständiger Vertreter Russlands bei den Vereinten Nationen zurückgekehrt war. Während der folgenden zehn Jahre bei der Uno vergab man an ihn den Spitznamen „Mr. Njet“, einen Titel, den schon Lawrows sowjetischer Amtsvorgänger Andrei Gromyko wegen seiner unbändigen Lust auf Vetos im UN-Sicherheitsrat erhalten hatte: „Er ist eine moderne Version von „Mr. Njet“, ein Gromyko der Neuzeit“, sagt David Kramer, Spitzenbeamter im US-Außenministerium während der Präsidentschaft von George W. Bush.
„Seine beiden Ziele waren immer dieselben: ein Veto zum größeren Ruhm Russlands einzulegen, und die Amerikaner zu Fall zu bringen, wann immer es möglich war“, erinnert sich John Negroponte, der ehemalige US-Botschafter bei den Vereinten Nationen, der zwischen 2001 und 2004 im UN-Sicherheitsrat neben Lawrow saß.
Berühmt für seine Zeichnungen
Und doch galt der Russe in Diplomatenkreisen nicht als der graue Apparatschik, den Gromyko verkörperte, sondern als respektierte Persönlichkeit, die im Sicherheitsrat oft mit klugen Einlassungen, kantigem Humor und einer schillernden Persönlichkeit brillierte.
Seine Vorliebe für feinen Scotch war allgemein bekannt. „Er trank wie ein Fisch“, erinnerte sich ein westlicher Botschafter, der zur gleichen Zeit dem Sicherheitsrat angehörte. „Er trank auf jeden Fall weit vor Mittag“.
Zudem rauchte Lawrow wie ein Schlot. Als die Uno 2003 das Rauchen in ihren Innenräumen verbot, weigerte er sich, die Anordnung einzuhalten und beschwerte sich lautstark, dass dem damaligen Generalsekretär Kofi Annan „dieses Gebäude nicht gehört“.
Wenn es der Zeitplan im Uno-Hauptquartier am East River zuließ, fuhr er nach Vermont zum Skifahren. Im Sommer ging er zum Wildwasser-Rafting. Er war auch für seine Zeichnungen berühmt: David Bosco beschreibt in seinem Buch „Five to Rule Them All“, dass die Skizzen, die Lawrow während der endlosen Debatten zu Papier brachte, eine begehrte Sammelware unter den Kollegen waren.
Alles andere als diplomatisch und mitunter schon bizarr
Als Lawrow 2004 Außenminister wurde, attestierten ihm seine Gegenüber hohe Professionalität. In Verhandlungen trat er akribisch vorbereitet auf. Er wählte seine Worte mit Bedacht, so wie es kompetente Regierungsvertreter tun, und seine Erklärungen hatten noch einen Realitätsbezug. Doch das hat sich seit mehreren Jahren gründlich geändert, spätestens seit der Annexion der Krim 2014.
Inzwischen ist sein Tonfall alles andere als diplomatisch und seine Aussagen mitunter schon bizarr. Ein Gespräch mit der britischen Außenministerin Liz Truss bezeichnete er im vergangenen Februar als „Unterhaltung zwischen Tauben und Stummen“. Im Mai behauptete er dann, Adolf Hitler habe jüdisches Blut gehabt, was sogar Wladimir Putin dazu veranlasste, sich bei Israel zu entschuldigen.
In der Pressekonferenz am vergangenen Donnerstag vergab der russische Außenminister allerdings ein auffälliges Lob. Es war an sein früheres amerikanisches Gegenüber John Kerry gerichtet, mit dem er – Lawrow – noch konstruktiv habe verhandeln können. Die anerkennenden Worte erschienen wie eine Reminiszenz an den gewandten Diplomaten früherer Tage, der sich die Freiheit genommen hatte, mit Kerry fast schon eine Männerfreundschaft zu pflegen, und mit dem er den Dialog über Syrien am Leben gehalten hatte.
Aufgrund des Ukraine-Konflikts und der zunehmenden Isolation Russlands kann Lawrow nicht mehr in dieser Weise als Diplomat glänzen. Beobachter fragen sich deshalb, ob er innerlich den Kurs des Kremls bezüglich der Ukraine mitträgt. Doch danach ist er wohl nie gefragt worden. „Es entspricht der Logik des Putinismus“, sagt Lawrows frühere Kommilitonin Lilia Schewtsowa, „dass alle Mitglieder des Teams eines Herrschers, der seit zwanzig Jahren an der Macht ist, nur noch Mittel seiner Macht sind. Es sieht so aus, als ob Lawrow seinen guten Ruf für andere Vorteile oder Lebensziele geopfert hat.“