Töten Blockadeeinheiten des russischen Militärs Kameraden, die sich von der Front zurückziehen wollen? Aufnahmen lassen das vermuten.
Sperrtruppen gegen Rückzug von der FrontVideo zeigt offenbar Russen, die auf Kameraden schießen
Die Aufnahmen sind verstörend: Mindestens sieben russische Soldaten laufen über ein Feld, sie befinden sich offenbar auf dem Rückzug. Dann eröffnen drei andere russische Soldaten das Feuer – doch nicht auf den Feind, sondern auf die eigenen Kameraden. Die Getroffenen fallen, über den weiteren Ausgang der Szene ist nichts bekannt. (Triggerwarnung: Mit einem Klick auf den folgenden Link gelangen Sie zu dem Video, das die beschriebene Szene zeigt.)
Das Video wurde auf Twitter von der russischen Aktivistengruppe Activatica geteilt, versehen mit dem Hinweis, dass die Echtheit der Aufnahmen nicht bestätigt werden könne. Auch Zeitpunkt und Ort des Geschehens sind nicht bekannt.
Sperrtruppen in der Geschichte der russischen Streitkräfte nichts Neues
Bekannt wurde der Clip durch seine Verbreitung auf der Website von „Newsweek“. Laut dem amerikanischen Nachrichtenmagazin handelt es sich bei den schießenden Soldaten um Sperrtruppen, die eigene Kämpfer daran hindern sollen, das Schlachtfeld zu verlassen. Die ukrainische Nachrichtenagentur Unian hält das Video für authentisch.
Sperrtruppen sind in der Geschichte der sowjetischen und russischen Streitkräfte kein neues Phänomen. Im August 1918, also neun Monate nach der Machtübernahme der Bolschewiki infolge der Oktoberrevolution, beschloss Leo Trotzki, der Gründer der Roten Armee und Volkskommissar für die Armee, hinter unzuverlässigen Regimentern Abteilungen zu stationieren, die nur eine Aufgabe hatten: auf die eignen Kameraden zu schießen, falls sich diese ohne Erlaubnis zurückzögen oder desertierten. Diese Einheiten (russische Bezeichnung: заградительные отряды – sagraditelnye otrjady, Sperrabteilungen) bestanden aus Mitgliedern der Geheimpolizei Tscheka.
Stalins Befehl 227
Im Zweiten Weltkrieg erteilte Diktator Josef Stalin am 28. Juli 1942, also nach einem Jahr schwerster Niederlagen und permanenten Rückzugs gegen die vorrückenden Wehrmachtseinheiten, den berüchtigten Befehl Nummer 227.
„Es ist notwendig, das Gerede zu beseitigen, dass wir die Fähigkeit haben, uns endlos zurückzuziehen, dass wir viel Territorium haben, dass unser Land groß und reich ist, dass es eine große Bevölkerung gibt und dass Brot immer im Überfluss vorhanden sein wird“, schrieb Stalin damals. „Solches Gerede ist falsch und parasitär, es schwächt uns und nützt dem Feind, wenn wir nicht aufhören, uns zurückzuziehen, werden wir ohne Brot, ohne Brennstoff, ohne Metall, ohne Rohstoffe, ohne Fabriken und Anlagen, ohne Eisenbahnen sein.“ Und er endet mit der Äußerung „Keinen Schritt zurück!“.
Sperreinheiten gebildet
Der erste Teil des Befehls sieht den Aufbau der Sperreinheiten vor: „Im Armeebereich sind drei bis fünf gut bewaffnete Einheiten (bis 200 Mann) aufzustellen, die unmittelbar hinter unzuverlässigen Divisionen einzusetzen sind und die Aufgabe haben, im Falle eines ungeordneten Rückzugs der vor ihnen liegenden Divisionen jeden Flüchtenden und jeden Feigling zu erschießen und damit dem ehrlichen Kämpfer bei der Verteidigung seiner Heimat beizustehen.“
Die Folgen waren drastisch – aber wirkungsvoll. In den ersten drei Monaten ihres Bestehens sollen die Sperreinheiten rund 1000 Männer hingerichtet und 24.000 zu den Strafbataillonen verurteilt haben. Diese Strafbataillone wurden dann zu den gefährlichsten Abschnitten der Front geschickt – gesichert im Rückraum von mit Maschinengewehren bewaffneten Sperreinheiten. Ob es an dieser Brachialtaktik lag, sei dahingestellt – jedenfalls gelang der Roten Armee im Herbst 1942 die Wende.
Briten berichten bereits im November 2022
Dass Russlands Diktator Wladimir Putin im Denken der sowjetischen Geschichte verhaftet ist, ist bekannt. Auch den Überfall auf die Ukraine stellte er in eine historische Linie mit dem Sieg der Sowjetunion über Hitlers Armeen.
Da passte es, dass das britische Verteidigungsministerium bereits im November 2022 meldete, das russische Militär habe Blockadeeinheiten aufstellen lassen, um Soldaten am Rückzug von der Front zu hindern. So hätten russische Generale damals schon gefordert, ohne Warnung auf Deserteure zu schießen. Für den britischen Geheimdienst war das ein Beleg für die Disziplinlosigkeit innerhalb der russischen Armee, die viele Strafgefangene an die Front schickt.