AboAbonnieren

Kritik an Kremlchef immer lauterPutin will plötzlich reden – und bekommt einen Korb

Lesezeit 4 Minuten
Kremlchef Wladimir Putin hat den brasilianischen Präsidenten Lula da Silva nach Russland eingeladen – und eine Absage bekommen. (Archivbild)

Kremlchef Wladimir Putin hat den brasilianischen Präsidenten Lula da Silva nach Russland eingeladen – und eine Absage bekommen. (Archivbild)

Nach Angriffen auf russisches Gebiet setzt der Kreml plötzlich auf (vorgetäuschte) Dialogbereitschaft – ein russischer Politiker fordert derweil Putins Abwahl.

Nachdem Angriffe von russischen Freiwilligen-Einheiten in den Diensten der Ukraine in den letzten Tagen für Wirbel in der russischen Grenzregion Belgorod gesorgt haben, zeigt sich der Kreml vermeintlich verhandlungsbereit.

Russlands Präsident Wladimir Putin habe die „Offenheit der russischen Seite für den Dialog auf politischer und diplomatischer Ebene“ bestätigt, hieß es in einer Mitteilung des Kremls. Mögliche Verhandlungen würden jedoch von „Kiew und seinen westlichen Unterstützern“ weiterhin „blockiert“, behauptete der Kremlchef demnach außerdem.

Reaktion auf Belgorod? Wladimir Putin bestätigt „Offenheit für den Dialog“

Auch der russische Außenminister Sergej Lawrow bekräftige am Freitag, Moskau sei bestrebt, eine „diplomatische Lösung für den Konflikt“ zu finden. Für einen Dialog gebe es jedoch „erhebliche Hindernisse“, so Lawrow. Dafür seien die Ukraine und ihre „westlichen Verbündeten“ verantwortlich, hieß es weiter.

US-Experten sehen hinter dieser angeblichen Dialogbereitschaft in Moskau eine Strategie. Russland wolle den Westen mit derartigen Vorstößen dazu drängen, die Ukraine zu Verhandlungen mit Moskau zu drängen – und die russischen Bedingungen dafür zu akzeptieren, heißt es in einer Analyse des US-Thinktanks „Institute for the Study of War“ (ISW). Wie bereits in der Vergangenheit sei das Ziel Russlands, mit einer vorgetäuschten Verhandlungsbereitschaft den Westen in seiner Hilfe für die Ukraine zu demotivieren, hieß es.

US-Experten halten Wladimir Putins Dialogbereitschaft für vorgetäuscht

Die vermeintliche Diplomatie-Offensive des Kremls erfolgt, nachdem Russland in den letzten Tagen in den Augen internationaler Beobachter „peinliche“ Angriffe auf eigenem Grenzgebiet hinnehmen musste. Zwei Freiwilligen-Einheiten, die sich aus russischen Staatsbürgern zusammensetzen, drangen in die Region Belgorod ein – zunächst ohne große Gegenwehr.

Auch der ehemals in Köln ansässige Neonazi Denis Kapustin und sein „Russisches Freiwilligenkorps“ waren an den Angriffen beteiligt. Schwächen Russlands im Schutz der Landesgrenzen waren durch die Gefechte offensichtlich geworden.

Belgorod: „Einige werden diese Angriffe als ein Zeichen der Schwäche des Kremls betrachten“

Entfalten diese Angriffe nun eine Wirkung im Kreml? „Einige der aggressiveren Teile der russischen Gesellschaft werden diese Angriffe als ein weiteres Zeichen der Schwäche und Inkompetenz des Kremls betrachten“, erklärte der russische Analyst Ivan Fomin gegenüber der „New York Times“. „Putin könnte möglicherweise etwas an Popularität bei denen verlieren, die den Krieg stark unterstützen.“

Auch russische Militärblogger wie Igor Girkin, der auch als Strelkow bekannt ist, geht davon aus, dass die Angriffe in Belgorod eine Schwächung Russlands bedeuten könnten. Zum Schutz der Landesgrenzen müssten Einheiten der russischen Streitkräfte abkommandiert werden, dadurch habe die Ukraine bei Gefechten auf ihrem Staatsgebiet nunmehr einen Vorteil, schrieb Girkin bei Telegram.

Wladimir Putin und der Kreml geben sich wortkarg in Sachen Belgorod – aber wollen Verhandlungen

Ob die vorgetäuschte Verhandlungsbereitschaft des Kremls eine direkte Reaktion auf die Angriffe ist, bleibt zunächst unklar. Moskau hatte die Vorfälle in Belgorod vergleichsweise zurückhaltend kommentiert, ein Statement von Putin gab es nicht.

Der Kremlchef probierte stattdessen, seine Verhandlungsbereitschaft mit einer Einladung an den brasilianischen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva zu belegen – und holte sich einen Korb aus Brasilien ab. Er könne derzeit nicht nach Russland reisen, sei aber grundsätzlich bereit, mit beiden Seiten zu sprechen, erklärte Lula.

Politiker fordert Abwahl von Wladimir Putin im russischen TV

Reichlich Aufmerksamkeit bekamen derweil am Wochenende die Worte des russischen Oppositionspolitikers Boris Nadeshdin in einer für Putin-Propaganda bekannten russischen Talk-Sendung. Der Berater des ukrainischen Innenministeriums, Anton Geraschtschenko, hatte zuvor einen Ausschnitt der Sendung auf Twitter verbreitet.

„Nächstes Jahr sind Wahlen, wir müssen jemand anderen wählen und nicht Putin, dann wird alles gut“, erklärte Nadeshdin im russischen TV. Nur so könnten die „Geschichte mit der Ukraine“ gestoppt und Beziehungen mit europäischen Ländern wieder aufgebaut werden.

Ukraine bittet Deutschland um Marschflugkörper Taurus

Dass Wladimir Putin nach wie vor viel Rückhalt in Russland hat, belegte unterdessen die sofortige Intervention des Moderators, der sich prompt über Nadeshdin lustig machte und erklärte: „Ich fürchte, sie haben gerade genau das Gegenteil beworben. Die Wähler hören ihnen zu und werden das Gegenteil tun.“ Die nächsten Präsidentschaftswahlen in Russland finden 2024 statt.

Während der Kreml in diesen Tagen auf vermeintliche Dialogbereitschaft setzt, bereitet die Ukraine weiterhin ihre geplante Offensive zur Rückeroberung besetzter Gebiete vor. Im Abwehrkampf gegen Russland hat Kiew nun die Bundesregierung um die Lieferung von Marschflugkörpern vom Typ Taurus gebeten. Eine entsprechende Anfrage sei in den vergangenen Tagen eingegangen, sagte eine Sprecherin des Verteidigungsministeriums am Freitagabend in Berlin.