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Wackelt die Solidarität?Spannungen um günstige Getreide-Importe aus der Ukraine nehmen zu

Lesezeit 4 Minuten
Odessa in der Ukraine: Ein Mähdrescher erntet Getreide auf einem Feld

Odessa in der Ukraine: Ein Mähdrescher erntet Getreide auf einem Feld

Die Ukraine exportiert günstig Getreide als Einnahmequelle und weil viele davon abhängig sind. Östliche EU-Länder sehen ihre Exporte gefährdet.

Landwirte in östlichen EU-Staaten sehen sich durch günstiges Getreide aus der Ukraine bedroht. Für die Ukraine dagegen ist der Export in und über die EU-Staaten von entscheidender Bedeutung. Jetzt haben Polen, Ungarn und die Slowakei eigenständig Maßnahmen ergriffen, wodurch wichtige Exportwege für ukrainische Agrargüter stark eingeschränkt sind. Wieso wackelt die europäische Solidarität mit dem angegriffenen Land?

Warum kommt derzeit mehr ukrainisches Getreide als sonst in die EU?

Im Zuge des russischen Angriffs waren ukrainische Schwarzmeerhäfen lange blockiert, die für den Getreideexport entscheidend waren. Um die Folgen der Blockade zu mildern, baute die Ukraine mit Hilfe europäischer Verbündeter neue Landwege für den Export auf. Darüber gelangt nun ein entscheidender Teil der ukrainischen Agrarexporte aus dem Land. Zudem profitiert die Ukraine seit knapp einem Jahr von großen EU-Handelserleichterungen. Derzeit werden keine Zölle auf ukrainische Exporte erhoben.

Welche Probleme bereitet das Getreide in der EU?

In den EU-Nachbarstaaten der Ukraine - also Polen, Ungarn, Slowakei und Rumänien - wird in dem günstigen Getreide aus der Ukraine eine unverhältnismäßige Konkurrenz für heimische Produkte gesehen. Zum Preisverfall trägt in Teilen mutmaßlich auch weit verbreiteter Betrug bei. Polnische Medien berichten von schnell eingerichteten Firmen, die sogenanntes „technisches Getreide“ aus der Ukraine kaufen, das zur Herstellung von Bio-Treibstoff gedacht ist. Die Ware werde dann als Lebensmittel umdeklariert und an Mühlen verkauft.

Das ukrainische Getreide wird dabei in der Welt gebraucht. In dem großen Land gibt es viel Platz auf fruchtbaren Böden und die Lohnkosten sind verhältnismäßig niedrig. Von den günstigen Lebens- und Futtermitteln aus der Ukraine profitieren beispielsweise zahlreiche Menschen in ärmeren Ländern in Asien und Afrika.

Ist Deutschland auch von Problemen betroffen?

Auswirkungen auf die deutsche Landwirtschaft sind derzeit überschaubar. Bernhard Krüsken, Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes, sagte der Deutschen Presse-Agentur am Dienstag: „Der starke Preisdruck konzentriert sich vor allem auf die Anliegerstaaten, unter anderem weil dort die Import- und Transitabwicklung für ukrainisches Getreide nicht funktioniert.“ Dieser Druck wirke zwar auch in den europäischen Markt hinein, aber in abgeschwächter Form.

Welche Maßnahmen haben die östlichen EU-Länder ergriffen?

Die Slowakei hatte am Freitag den Verkauf von ukrainischem Weizen als Lebensmittel und Tierfutter untersagt. Der Transit in andere Länder soll nicht betroffen sein. Kurz darauf hatten Polen und Ungarn Einfuhr von Getreide aus der Ukraine verboten. Begründet wurden Verbote auch damit, dass Pestizidrückstände gefunden worden seien. „Es wird jede Getreidelieferung aus der Ukraine, sei es auf der Straße oder auf der Schiene, kontrolliert, und nur Fahrzeuge im Transit werden ins Land gelassen“, sagte Marton Nobilis, Staatssekretär im ungarischen Agrarministerium, wie auf der Webseite des staatlichen Fernsehsenders MTV am Dienstag berichtet wurde.

Oktober 2022 in Istanbul: Frachtschiffe mit Getreide liegen vor Anker und warten auf die Durchfahrt durch die Bosporusstraße.

Oktober 2022 in Istanbul: Frachtschiffe mit Getreide liegen vor Anker und warten auf die Durchfahrt durch die Bosporusstraße.

Polens Landwirtschaftsminister Robert Telus sagte am Montag, es habe ein Treffen mit seinem ukrainischen Amtskollegen Mykola Solski und weiteren Vertretern der Regierung in Kiew gegeben. „Wir führen weiter Gespräche mit der ukrainischen Seite, um die Transit-Frage zu regeln, denn wir sind nicht dagegen, dass der Transit weitergeht.“

Warum wird das Getreide nicht in Drittstaaten weiter exportiert?

In Polen lagern laut Landwirtschaftsminister Robert Telus gegenwärtig vier Millionen Tonnen Getreide aus der Ukraine. Nach Auskunft der polnischen Getreidehandelskammer hängen die Einschränkungen mit der Infrastruktur und der Kapazität polnischer Häfen zusammen. Die Leistungsfähigkeit der Häfen liege bei maximal 750 000 Tonnen monatlich, sagte eine Sprecherin. Zwar habe das Landwirtschaftsministerium im vergangenen Sommer angekündigt, dass ein neues Terminal im Hafen von Danzig (Gdansk) bald seinen Betrieb aufnehmen werde - dies sei aber nicht geschehen.

Auch Kontrollen, die etwa verhindern sollen, dass Schädlinge in die EU eingeschleppt werden, seien in der aktuellen Menge nicht zu bewältigen. Aus EU-Kreisen hieß es auch, dass der Transport über den Landweg den Preis des ukrainischen Getreides steigere, wodurch sich ein Verkauf in ärmeren Ländern nicht so sehr rentiere.

Wie wichtig ist der Export für die Ukraine?

Der ukrainische Landwirtschaftsminister Mykola Solskyj versuchte nach der verkündeten polnischen Blockade den Eindruck zu vermitteln, dass die Lage unter Kontrolle sei. „Offensichtlich werden wir in den nächsten Monaten schwere Gespräche führen müssen“, sagte er in der Nacht zum Montag im ukrainischen Fernsehen. Kiew sei mit Warschau in ständigen Verhandlungen. Über die polnische Landgrenze seien ihm zufolge bisher etwa zehn Prozent des ukrainischen Agrarexports gegangen. Nach und über Ungarn seien bisher etwa sechs Prozent der landwirtschaftlichen Güter ausgeführt worden.

Wie geht der Streit weiter?

Die Handelsvorteile für die Ukraine laufen Anfang Juni aus. Bis dahin müsste sich die EU auf eine Verlängerung verständigen, notwendig ist dafür eine qualifizierte Mehrheit. Dabei könnten die Landwege für den Export zusätzliche Bedeutung bekommen. Denn ob es eine Verlängerung des unter Vermittlung der Türkei und der UN ausgehandelten Getreideabkommens zwischen der Ukraine und Russland geben wird, ist offen. Mit dem Mitte Mai auslaufenden Abkommen wurde die Blockade der Schwarzmeerhäfen beendet. Kremlsprecher Dmitri Peskow sagte am Montag, die Aussichten einer Verlängerung des Abkommen seien „nicht rosig“. (dpa)