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US-Piloten im KZ BuchenwaldLetzter Kampf für den Retter

Lesezeit 6 Minuten

Johannes Trautloft diente der Wehrmacht in vielen Funktionen.

Köln – Die Stimme am anderen Ende der Leitung ist fest und klar, die Antworten fallen präzise und ohne langes Überlegen aus. Militärisch knapp sozusagen. "Ja, die Verbindung ist gut. Hier in Ferndale ist es jetzt kurz nach zehn Uhr früh, Pacific Standard Time." Joe Moser spricht, als habe er soeben einen Funkspruch als Kampfpilot abgesetzt. Die schlimmen Ereignisse 1944 im KZ Buchenwald sind plötzlich wieder ganz gegenwärtig.

Wir sind im US-Bundesstaat Washington zum Gespräch verabredet. Zum Gespräch über eine in Deutschland fast 70 Jahre nach Kriegsende kaum bekannte Facette des Umgangs des NS-Terrorregimes mit alliierten Soldaten. Ein Geschichtenerzähler ist der heute 92-Jährige nicht, dabei ist hochdramatisch, wovon er berichtet. Wichtig ist ihm und der Handvoll noch lebender Zeitzeugen, einen Wehrmachts-Luftwaffenoffizier als Lichtgestalt darzustellen. Sie sind überzeugt, dass er an ihrer Verlegung vom KZ in ein Kriegsgefangenen-Camp beteiligt war und ihnen damit das Leben gerettet habe.

In deutsche Gefangenschaft geraten

Joe Moser gehört zu einer Gruppe von 168 in deutsche Gefangenschaft geratenen Soldaten aus den USA, Großbritannien, Kanada, Jamaika, Australien und Neuseeland, die im Spätsommer 1944 von Frankreich aus ins KZ Buchenwald deportiert worden waren. Zuvor war er mit seiner P-38 über der Normandie abgeschossen worden und konnte sich mit dem Fallschirm retten. Er wird von französischen Bauern aufgenommen und von Angehörigen der Résistance versteckt. "Ich bin in Zivilklamotten durch Paris gelaufen, dann hat mich ein Doppelagent an die Gestapo verraten." Moser kommt ins Gefängnis Fresnes bei Paris. Irgendwann pfercht man ihn in einen überfüllten Güterwaggon. Fünf Tage und fünf Nächte ist der Zug nach Buchenwald unterwegs.

"Wenn ich die Augen schließe", sagt Joe, der später als Heizungsbauer gearbeitet hat, "habe ich das Gebell der Wachhunde im Ohr und sehe Rauch aus dem Schornstein des Krematoriums aufsteigen." Der einzige Weg, hier rauszukommen, hätten die SS-Leute gehöhnt. Er und seine Kameraden waren im sogenannten Kleinen Lager untergebracht, einem Quarantäne-Bereich. Hinter dem Zaun sah er die zu Skeletten abgemagerten Mithäftlinge. "Diesen Anblick vergisst du nie."

Obwohl sich die Soldaten aus mehreren Nationen nicht kannten, "verhielten wir uns wie eine militärische Einheit. Das hat unsere Disziplin und unsere Widerstandskraft gestärkt." So betrachteten die Flieger den Neuseeländer Phil Lamason als so etwas wie ihren Vorgesetzten, weil er der ranghöchste Offizier in der Gruppe war. Dessen eiserner Wille, sich nicht einfach dem Joch der SS als Arbeitssklave zu unterwerfen, und der Mut, auf menschenwürdige Behandlung als Kriegsgefangene nach der Genfer Konvention zu pochen, hätten ganz erheblich die Moral gestärkt. "Ohne ihn hätte ich mich aufgegeben."

Verlegung in anderes Lager

Die Wende für die Soldaten-Häftlinge kommt, so stellt es sich zumindest heute dar, als am 28. August 1944 bei einem alliierten Luftangriff auf Weimar und Umgebung auch Außenanlagen des KZ Buchenwald getroffen werden. "Wir hörten Fluglärm, und ich erkannte sofort die B-17-Bomber." Ein paar Tage nach der Bombardierung seien, erinnert sich Joe Moser, drei deutsche Luftwaffenoffiziere ins Lager gekommen. Einer habe erklärt, dies sei nicht der richtige Ort für "Fellow Flyers", für Kameraden sozusagen.

Erstaunlich, denn nach offizieller NS-Lesart handelte es sich bei den abgeschossenen Piloten um "Terrorflieger". In ihren Papieren stand "DIKAL" ("darf in kein anderes Lager"). Ein Todesurteil. Im Oktober 1944 öffnet sich für die meisten der inhaftierten Flieger dennoch das Lagertor - zum Transport in das "Stalag Luft III". So hieß im Wehrmachtsjargon das Stammlager der Luftwaffe im schlesischen Sagan, eines der sechs deutschen Kriegsgefangenenlager. "Das war unsere Rettung", ruft der agile alte Mann aus, und auch durchs Telefon ist seine Anspannung noch zu bemerken.

Als ihm vor ein paar Jahren ein US-Dokumentarfilmer ein Foto des damaligen deutschen Luftwaffenoffiziers Johannes Trautloft vorlegte, war Moser sich ganz sicher, dass er und die ganze Gruppe diesem Mann ihr Leben zu verdanken haben. Auch Phil Lamason, der mehrfach dekorierte, 2012 gestorbene "Kopf" der Gruppe, hat sich trotz der großen zeitlichen Distanz später davon überzeugt gezeigt.

Trautloft starb 1992

Der passionierte und erfolgreiche Jagdflieger Trautloft war Kommodore des legendären Jagdgeschwaders "Grünherz". Zur fraglichen Zeit war er - beteiligt am Frankreich- und am Russlandfeldzug - Divisionskommandeur im Oberst-Rang. Nach dem Krieg machte er rasch Karriere in der Bundeswehr und brachte es zum stellvertretenden Inspekteur der Luftwaffe und zum Chef des Stabes. Mit 58 Jahren schied Trautloft 1970 als Generalleutnant aus dem aktiven Militärdienst aus. Er starb 1992 - ohne je über die Geschichte mit den Piloten geredet zu haben.

Im bergischen Much bei Köln treffen wir den Arzt und Zahnarzt Thomas Anschütz. Der 54-jährige Mediziner ist Reserveoffizier und interessiert sich seit frühester Jugend für Militärgeschichte. Bei Nachforschungen über das Schicksal in der Nähe von Much getöteter US-Soldaten kam er mit einer Veteranengruppe um Moser in Kontakt. Anschütz findet die Rettertheorie überzeugend. Belege dafür fanden sich bislang aber weder beim Bundesarchiv in Freiburg noch beim Potsdamer Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr.

Die Schilderungen Mosers und anderer Zeitzeugen wirkten glaubwürdig, sagt Anschütz. Der Fall berührt ihn. Auf einer kleinen Anhöhe in seinem Garten steht ein Gedenkstein, der an drei im Bergischen Land gefallene Amerikaner erinnert. Das private Memorial und sein Engagement stoßen nicht überall im Ort auf Verständnis.

Was ist die Triebfeder für diese demonstrativ proamerikanische Haltung? "Ich glaube, es steckt irgendwie in den Genen", sagt Thomas Anschütz. Sein Vater, erzählt der Reserveoffizier, der auch Geschichte studiert hat, war Militärattaché in New Orleans. Als Vierjähriger kam Thomas mit seinen Eltern nach Amerika, besuchte in Louisiana Kindergarten und Public School. "Ich erinnere mich an Cocktailpartys mit führenden Militärs bei uns zu Hause. Sowas prägt." Anschütz versteht gut, dass Joe Moser, der bald 93-Jährige mit der Buchenwald-Häftlingsnummer 78639, ein Gefühl der Dankbarkeit gegenüber seinem tatsächlichen oder vermeintlichen Retter verspürt.

Entscheidung auf höherer Ebene

Historiker sehen die Angelegenheit naturgemäß mit professioneller Distanz. Wir konfrontieren Kustos Harry Stein von der Gedenkstätte Buchenwald mit der Retter-These. Unwiderlegbar sei, sagt Stein, dass es im Sommer 1944 in der Reichsführung eine Debatte gegeben habe, wie mit "Terror-Fliegern" zu verfahren sei. Die "Überstellung" der Männer ins Kriegsgefangenen-Camp Sagan sei Fakt. "Durchaus vorstellbar" sei auch, dass sich Trautloft zu einem Inspektionsbesuch in Buchenwald aufgehalten habe. "

Auch ein ranghoher Luftwaffenoffizier konnte nicht in eigener Machtvollkommenheit über das Schicksal von 168 alliierten Soldaten entscheiden. Das lief auf höherer Ebene." Historiker Stein findet es aus der Sicht der Überlebenden "durchaus nachvollziehbar", dass sie gerne glauben wollten, Trautloft persönlich habe sie aus der Hölle von Buchenwald herausgeholt. "Aber wen die SS in ihren Fängen hatte, den gab sie nicht so einfach wieder frei." Es sei möglich, dass der Besuch der Luftwaffenoffiziere die Entscheidung "ganz oben" forciert habe. "Es kann aber auch sein, dass es da keinen unmittelbaren Zusammenhang gibt." Dann wäre die Geschichte von der Rettung vielleicht nur eine schöne Legende - die sich Joe Moser und seine Kameraden freilich nicht ausreden lassen wollen. Für sie gibt es keinen Zweifel, wem sie ihr Überleben zu verdanken haben.

Welche Rolle der Wehrmachtsoffizier Johannes Trautloft bei der Rettung alliierter Piloten aus dem KZ Buchenwald gespielt hat, ist unklar. Das Bundesarchiv teilte auf Anfrage mit, Trautlofts eher unpersönliches Tagebuch enthalte keine Hinweise "auf diese Episode". Das lasse offen, ob er beteiligt war. Fakt ist aber, dass er als Mitglied der "Legion Condor" die Faschisten im spanischen Bürgerkrieg 1936 unterstützt hat