Die Prognose des Kopf-an-Kopf-Rennens könnte widerlegt werden. Weil in immer mehr Staaten alles offen ist, könnten sich minimale Veränderungen zu einer maximalen Wirkung addieren.
US-Wahl 2024Auf dem Weg zum „knapp errungenen Erdrutschsieg“?
Iowa? Wieso kommen jetzt plötzlich überhaupt Meldungen aus Iowa? Im Hauptquartier von Donald Trumps US-Republikanern war die Aufregung groß, als soeben eine Umfrage bekannt wurde, wonach Kamala Harris in dem von drei Millionen Einwohnern bevölkerten Bauern-Staat inmitten der USA überraschend vorn liegt.
Um Iowa hatte sich niemand gekümmert. Auch die US-Demokraten nicht. Der Staat war strategisch abgehakt, er galt als gesichert republikanisch. Sämtliche Wahlkampfanstrengungen beider Parteien bleiben bis zur letzten Minute konzentriert auf die sieben Swing States Pennsylvania, Michigan, Wisconsin, Arizona, Nevada, North Carolina und Georgia.
Aber was, wenn nun auch Iowa wackelt? Trump selbst, hoch verärgert, gab die Losung aus, dass nicht sein kann, was nicht sein darf: Hier sei eine Intrige im Gang.
„Das hat niemand vorhergesehen“
Die Wahrheit ist komplizierter. Das Meinungsforschungsinstitut Selzer & Co., von dem die Umfrage stammt, ist ebenso seriös wie die Regionalzeitung „Des Moines Register“, die die Umfrage in Auftrag gab. Beide hatten auch vor den Wahlen 2016 und 2020 mit Umfragen Schlagzeilen gemacht – und am Ende richtig gelegen, damals litten die Demokraten.
Natürlich kann man angesichts von 239 Millionen Wahlberechtigten in 50 Bundesstaaten jede einzelne Umfrage aus jedem einzelnen Staat wegen Irrelevanz gleich wieder zur Seite legen. Dennoch blickt jetzt die ganze Welt mit großen Augen ins Kleingedruckte aus Iowa. Noch im September lag Trump dort laut Selzer mit vier Punkten vor Harris. Jetzt hat Harris mit drei Punkten die Nase vorn.
„Das hat niemand vorhergesehen“, sagt Ann Selzer, Chefin des Instituts Selzer & Co. „Harris hat sich auf einmal in eine führende Position geschoben.“
Ältere Wähler haben umgedacht
Zu denken gibt vor allem das jetzt ermittelte Umdenken älterer Wähler zuungunsten Trumps. Woran liegt das?
Manche deuten auf Trumps immer öfter ins Obszöne abgleitendes Gerede auf den Wahlkampfbühnen. Zuletzt nahm er masturbationsähnliche Bewegungen am Mikrofonständer vor. Mal amüsierte er sich sichtlich über einen Zuruf aus dem Publikum, wonach Harris früher als Prostituierte gearbeitet habe. Unvergessen ist auch, wie Trump bei einem Auftritt in Latrobe (Pennsylvania) anhob, die Größe der Genitalien des gestorbenen berühmten Golfspielers Arnold Palmer zu würdigen.
Bei den Älteren halfen Trump wohl auch nicht die jüngsten schrillen Auftritte in rasch wechselnden Kostümen – mal als McDonald‘s-Mitarbeiter, mal als Müllfahrer. Manche spüren eine Verhöhnung von Geringverdienern, wenn ein Milliardär zu solchen Maskeraden übergeht. Andere finden es schlicht unecht. Gerade die Älteren erinnern sich noch, wie der glücklose demokratische Kandidat Michael Dukakis im Wahljahr 1988 mit einem Stahlhelm im Panzer posierte, um Nähe zum Militär zu demonstrieren – und sich dann doch nur zum Deppen machte.
Vielleicht ist es auch nach Ansicht vieler älterer Amerikanerinnen schlicht und einfach Zeit für die erste amerikanische Präsidentin. Rechnet man jedenfalls einen ähnlichen Dreh wie in Iowa in die bisher prognostizierte Swing-State-Landschaft hinein, könnte reihenweise alles in Richtung Harris kippen.
Wird es wirklich eng?
Wochenlang hieß es, bei dieser US-Präsidentschaftswahl werde es eng. Diese fast schon zur Folklore gewordene Prognose könnte heute Nacht krachend widerlegt werden. Schon weil in sieben Swing States gleichzeitig alles offen ist, könnten sich minimale Veränderungen – wenn sie in die gleiche Richtung gehen – zu einer verblüffenden maximalen Wirkung addieren.
Ein knapp errungener Erdrutschsieg: Das klingt schräg, ist aber durchaus für beide Kandidaten immer noch möglich – und wäre insbesondere der von viel Hass und Missgunst begleiteten Kandidatin Harris zu wünschen. Ein großer Vorsprung im Wahlleutegremium würde die Begierde ihrer Gegner dämpfen, alles noch irgendwie anzufechten. Nicht nur Amerika, die ganze Welt könnte ein klares Signal dieser Art gut gebrauchen.