Verbale Abrüstung gefragtDer Ruf nach der Dönerpreisbremse
- Erik Flügge ist Geschäftsführer der Beratungsfirma „Squirrel & Nuts“ in Köln und Bestsellerautor. In den sozialen Medien folgen Zehntausende seinen politischen Analysen.
- Politische Rhetorik weckt Erwartungen, die kein Verantwortlicher jemals erfüllen kann – Beobachtungen aus aktuellem Anlass
Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken hat CDU-Chef Friedrich Merz vorgeworfen, er trage Mitverantwortung für den Brandanschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft in der Nähe von Wismar. Ihr Argument: Merz habe unbelegte Informationen über angeblichen „Sozialtourismus“ ukrainischer Flüchtlinge verbreitet. Esken leitete daraus ab, Merz habe rhetorisch den Boden bereitet, der zum Brandanschlag führte.
Eine Anschuldigung, die Serap Güler (CDU) als „ungeheuerliche Entgleisung und bodenlose Unverschämtheit“ zurückwies. „So schäbig sollten Demokraten niemals miteinander umgehen“, twitterte die Kölner Politikerin.
Wer hat Recht in der Demokratie-Frage?
Beide, Esken und Güler, wählen scharfe Worte im Streit darüber, wie man sich in der Demokratie verhalten sollte. Esken in ihrem Vorwurf und Güler in ihrem Widerspruch. Aber wer hat recht? Um der Frage nachzugehen, wie politisches Handeln und die Reaktionen der Bevölkerung zusammenhängen, wechsele ich strategisch das Spielfeld.
Nicht anhand des Extremfalls Brandanschlag sollte man die Frage klären, sondern auf einem weniger umkämpften Terrain. Geht es um Leben und Tod, ist eine vernünftige Auseinandersetzung kaum mehr möglich.
Daher wähle ich ein Feld, das netter kaum sein könnte: kommunale Jugendbeteiligung. In meinem Berufsleben begleitet mich das Thema schon lange. Ich arbeite oft mit der Spitzenpolitik, aber die Beteiligung Jugendlicher lag mir trotzdem immer am Herzen. Allein in den vergangenen zwei Wochen habe ich sechs Jugendforen in verschiedenen Städten moderiert. Neu in diesem Herbst ist, wie Jugendliche über das Thema Preise sprechen. Dass sie über Preissteigerungen klagen, verwundert nicht. Schließlich spricht unsere gesamte Gesellschaft über wenig anderes mehr. Neu ist aber, dass die Jugendlichen fest davon ausgehen, die Politik lege alle Preise direkt fest. Sie wünschen sich wahlweise eine „Dönerpreisbremse“ oder dass der Bürgermeister „alles wieder billiger machen soll“.
Neue Sorge über Preise
Diese Vorstellung gab es bis vor wenigen Wochen noch nicht. Da wünschten sich Jugendliche noch eine kostenfreie, kommunale Alternative wie eine Party im Jugendhaus, um die teuren kommerziellen Clubpreise nicht bezahlen zu müssen. Das hat sich verändert.
Nach wochenlangen öffentlichen Ankündigungen radikaler Markteingriffe von der Gasumlage bis hin zum Gaspreisdeckel haben viele Jugendliche die Vorstellung entwickelt, dass die Politik die Preise macht. Und wir müssen wohl auch davon ausgehen, dass diese Vorstellung sich auch bei vielen Eltern festgesetzt hat. Das ist fatal, denn so entstehen Regulierungserwartungen, die niemand in der Politik jemals erfüllen kann.
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Sie sehen, es gibt einen Zusammenhang zwischen politischem Handeln, politischer Rhetorik und den vorherrschenden Vorstellungen in der Bevölkerung. Ein Zusammenhang, der sich überdies vielfach belegen lässt. Darum sollten Politiker ihre Worte weise wählen, keine unbelegten Vorwürfe verbreiten, einander und anderen nicht das Schlimmste unterstellen und verbal lieber ab- statt aufrüsten. In diesem Sinne wünsche ich Friedrich Merz, Saskia Esken und Serap Güler gute Besserung!