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Waffenwahn und Lobbymacht - Das ewige Problem der USA

Lesezeit 5 Minuten

Washington – Es ist ein trauriges Alleinstellungsmerkmal der USA. In keinem anderen Land auf der Welt gibt es mehr Waffen und mehr Waffengewalt. Amokläufe und Schießereien gehören zum Alltag.

Und eine übermächtige Waffenlobby sorgt dafür, dass sich daran nichts ändert. Auch das verstörende Massaker an einer Grundschule in der texanischen Kleinstadt Uvalde bringt Konservative nicht von ihrer Waffenliebe ab.

18-Jähriger durfte keinen Schnaps aber Waffen kaufen

Die USA sind ein Land, in dem Familien für Weihnachtskarten mit ihrem privaten Arsenal an Waffen posieren. Alkohol darf man landesweit erst ab 21 Jahren kaufen, Schusswaffen dagegen in vielen Bundesstaaten schon mit 18 Jahren. Der Schütze von Uvalde in Texas durfte noch keinen Schnaps kaufen, konnte aber kurz nach seinem 18. Geburtstag in ein Waffengeschäft gehen und zwei Sturmgewehre erstehen, mit denen er später an der Grundschule 21 Leben auslöschte.

Während in vielen Ländern ein aufwendiges Prozedere nötig ist, um an eine Waffe zu kommen - Trainings, Lizenzen und Unmengen an Papierkram - ist es in vielen Bundesstaaten der USA sehr leicht, sich eine Waffe zu beschaffen. Vielerorts reicht es, direkt im Geschäft ein Formular auszufüllen. Dann werden bei einem „Sofort-Check” kurz ein paar Daten mit Behörden auf einen möglichen kriminellen Hintergrund abgeglichen. Durchfallen tut kaum jemand: Die Quote liegt bei 0,5 Prozent. Bei Waffenmessen, die quer durch das Land jedes Wochenende stattfinden, sind die Vorgaben noch laxer.

Es gibt mehr Schusswaffen als Bürger in den USA

Die Folge: Es sind so viele Waffen im Umlauf wie nirgends sonst. Laut Daten des Forschungsprojekts Small Arms Survey gibt es kein anderes Land mit einer so hohen Pro-Kopf-Zahl von Waffen im Besitz von Zivilisten: Es gibt mehr Schusswaffen als Bürger in den USA, 120 Stück pro 100 Einwohner. Auf Rang zwei folgt weit abgeschlagen das Bürgerkriegsland Jemen mit rund 52 Waffen pro 100 Einwohner. Die Vereinigten Staaten stellen etwa 4 Prozent der Weltbevölkerung, den Daten nach finden sich aber 40 Prozent aller Waffen auf der Welt, die in ziviler Hand sind, in US-amerikanischen Haushalten.

Das sorgt für düstere Rekorde an anderer Stelle: Laut den jüngsten Daten der Gesundheitsbehörde CDC wurden im Jahr 2020 in den USA rund 20.000 Menschen erschossen - mehr als 50 pro Tag. Schusswaffenverletzungen waren 2020 erstmals Todesursache Nummer eins für Kinder und Jugendliche in den USA, noch vor Verkehrsunfällen.

Im vergangenen Jahr zählte die US-Bundespolizei FBI 61 Amokläufe mit Schusswaffen im Land - etwa einer alle sechs Tage. Darunter sind immer wieder tödliche Shootings an Schulen. Dass es in den USA schusssichere Schulranzen zu kaufen gibt, spricht für sich.

Mit Waffen gegen Waffen

Nach fast jedem Amoklauf wiederholen sich die gleichen Reflexe: Waffenbefürworter und Republikaner empfehlen, Lehrer, Sicherheitsleute oder Bürger mit mehr Waffen auszustatten, damit diese sich gegen Angriffe schützen können. Waffengegner und Demokraten rufen dagegen nach schärferen Waffengesetzen - etwa nach einem Verbot von Kriegswaffen wie Sturmgewehren.

Wofür braucht ein Normalbürger Waffen, die für Militärkonflikte entwickelt wurden? Warum kann ein 18-Jähriger einfach in einem Laden ein halbautomatisches Gewehr kaufen - ohne tiefergehenden Check? Diesen unbequemen Fragen weichen prominente Republikaner in diesen Tagen reihenweise aus, wenn sie ihren Widerstand gegen strengere Waffengesetze zu erklären haben. Stattdessen wiederholen sich immer gleiche Phrasen: Strengere Gesetze lösten das Problem nicht, sondern beschnitten nur die Grundrechte von gesetzestreuen Bürgern, argumentieren sie. Nicht die Waffen an sich seien das Problem, sondern einzelne Besitzer mit psychischen Störungen.

Tuberville: „Schusswaffen sind nicht das Problem”

Exemplarisch steht eine Äußerung des Republikaners Tommy Tuberville. Reporter fragten den Senator aus dem Bundesstaat Alabama, was er jenen Eltern zu sagen habe, die gerade in Uvalde ihr Kind verloren hätten. Er antwortete kühl: „Ich bin bereit zu sagen, dass es mir sehr leid tut, was passiert ist. Aber Schusswaffen sind nicht das Problem, okay? Die Menschen sind das Problem.” Und weiter: „Wir haben schon immer Waffen gehabt. Und wir werden auch weiterhin Waffen haben.”

Auch der republikanische Ex-Präsident Donald Trump argumentierte in der Vergangenheit immer so. Bei Wahlkampfauftritten gehört seine Warnung, die Demokraten wollten den Bürgern die Waffen wegnehmen und das Recht auf Waffenbesitz beschneiden, zum Standardrepertoire.

Waffenbesitz in der US-Verfassung

Das Recht auf Waffenbesitz ist in der US-Verfassung verankert. Diesen zweiten Verfassungszusatz aus dem 18. Jahrhundert wagt niemand anzutasten. Er war zwar für eine Zeit gemacht, in der die USA großenteils aus unerschlossener Wildnis bestanden und ihre Bürger weit entfernt von Ortschaften lebten. Maschinenpistolen und Sturmgewehre gab es da noch nicht. Aber das Recht für jeden Bürger, eine Waffe zu haben, ist geblieben. Vielen Amerikanern ist es heilig.

Bemühungen um schärfere Waffengesetze laufen seit Jahren ins Leere - vor allem, weil die Republikaner dagegen sind. Und weil die Waffenlobby, allen voran die National Rifle Association (NRA), vehement jeden Versuch bekämpft, Waffenbesitz stärker zu regulieren.

NRA eine der mächtigsten Lobbygruppen

Die NRA ist eine der mächtigsten Lobbygruppen der USA. Die Zahl der Mitglieder geht in die Millionen. Sie hat enormen Einfluss auf die Politik. Die NRA pumpt große Summen in Wahlkämpfe und benotet etwa Abgeordnete mit Blick auf deren Haltung zu Waffen-Themen - quasi als Handreichung an ihre Mitglieder, wen diese wählen sollten und wen nicht. Die NRA hat schon politische Karrieren beendet. Manche Politiker haben regelrecht Angst vor der Organisation.

US-Präsident Joe Biden sagte nach dem Massaker von Texas: „Als Nation müssen wir uns fragen, wann in Gottes Namen wir der Waffenlobby die Stirn bieten werden.” Eine Mehrheit dafür gibt es im Kongress nicht.

Ab diesem Freitag wollte die NRA in Texas zu ihrer Jahrestagung zusammenkommen. Trump und andere prominente Republikaner standen auf der Rednerliste in Houston, rund 450 Kilometer von Uvalde entfernt. Der Amoklauf veranlasste die NRA nicht zu einer Planänderung, auch Trump nicht. Der Republikaner hat nie einen Hehl daraus gemacht, auf welcher Seite er steht („Ich liebe die NRA.”). Ausgerechnet bei der NRA-Tagung wurde vorab ein Waffenverbot während der Trump-Rede erlassen - auf Anweisung der Sicherheitsleute des Ex-Präsidenten.

© dpa-infocom, dpa:220527-99-447032/3 (dpa)