Kommentar zu den britischen WahlenEin klarer Sieg – und große Herausforderungen

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Der Vorsitzende der Labour-Partei, Keir Starmer, und seine Frau Victoria, bei einer Wahlparty für die Parlamentswahlen 2024 in London.

Der Vorsitzende der Labour-Partei, Keir Starmer, und seine Frau Victoria, bei einer Wahlparty für die Parlamentswahlen 2024 in London.

Keir Starmer erwarten als neuer Premierminister eine Vielzahl an Herausforderungen. Die Tories stehen derweil vor einem Scherbenhaufen.

Der Wahlkampf in Großbritannien war langweilig. Nicht nur, weil die Labour-Partei seit Monaten rund 20 Prozentpunkte vor den regierenden Konservativen lag, sondern auch weil der Chef der Sozialdemokraten, Keir Starmer, zwar Wandel versprach, aber nicht erklärte, wie er ihn erreichen will. Seine Zurückhaltung sorgte in der Wählerschaft für ein gewisses Unbehagen, war jedoch kalkuliert. Er wollte so kurz vor dem Ziel nichts falsch machen. Jeder Fehler wäre sofort gegen ihn verwendet worden. Weil die Wahlprogramme früh vorgestellt wurden und es an Inhalten fehlte, ebbte das Interesse in den vergangenen Wochen eher ab, statt an Fahrt aufzunehmen. Die Kampagnen standen quasi auf dem Kopf.

Wahlen in Großbritannien: Labour-Partei gewinnt mit großem Vosprung

Als am späten Donnerstagabend bekannt wurde, dass die Labour-Partei laut Nachwahlbefragungen, die als sehr zuverlässig gelten, nun tatsächlich mit einer großen Mehrheit gewonnen hat, lag dann doch ein Gefühl von Aufbruch in der Luft. Nach 14 Jahren werden eben nicht mehr die Konservativen, sondern die Sozialdemokraten im Vereinigten Königreich regieren. Der letzte Labour-Premier, der von Britinnen und Briten ins Amt gehoben wurde, war Tony Blair. Jetzt wird Keir Starmer der neue Regierungschef. Es ist ein Paukenschlag, ein historisches Ereignis, ein längst überfälliger Wechsel.

Der Vorsitzende der Labour-Partei, Sir Keir Starmer, spricht auf einer Wahlparty im Zentrum Londons zu seinen Anhängern.

Nach 14 Jahren werden nicht mehr die Konservativen, sondern die Sozialdemokraten im Vereinigten Königreich regieren.

Verantwortlich dafür sind jedoch vor allem die konservativen Tories. Sie haben in den vergangenen Jahren immer wieder aufs Neue spektakulär unter Beweis gestellt, dass sie in der Regierung nichts taugen. Nach über einem Jahrzehnt an der Macht hinterlassen sie einen Scherbenhaufen. Nicht nur, weil bei den Briten gefühlt nichts mehr zu funktionieren scheint, sondern auch, weil die Menschen nach immer neuen falschen Versprechungen vonseiten der Konservativen das Vertrauen in die Politik und damit schlimmstenfalls auch in die Demokratie verloren haben.

Keir Starmer steht vor einem ganzen Berg von Problemen

Keir Starmer möchte dieses Vertrauen wiederherstellen, leicht wird dies aber nicht. Er steht vor einem ganzen Berg von Problemen, die eigentlich besser heute als morgen gelöst werden müssten. Ganz oben auf der To-do-Liste stehen die langen Wartelisten im staatlichen Gesundheitswesen NHS. Doch auch der Zustand englischer Schulen ist desaströs. Die Gebäude bröseln vor sich hin und es fehlt an Personal. Hinzu kommen die gestiegenen Lebenshaltungskosten und grassierende Armut, unter der vor allem Kinder leiden, sowie die hohen Hypothekenzahlungen und Mieten. Und auch die Folgen des Brexit belasten das Land weiterhin.

Der Sozialdemokrat hat im Vorfeld der Wahl immer wieder darauf aufmerksam gemacht, dass es für all das keine schnelle Lösung geben wird. Doch wie lange werden sich die Britinnen und Briten geduldig zeigen? Die Herausforderungen im NHS jedenfalls erlauben nach der jahrelangen Sparpolitik der Tories keinen langen Aufschub mehr. Hier sind eigentlich dringend weitere Investitionen nötig. Doch die Staatskasse ist leer. Starmer hätte zwei Möglichkeiten, Geld zu beschaffen: Er könnte wesentliche Steuern erhöhen oder die Wirtschaft ankurbeln, indem sich Großbritannien dem EU-Binnenmarkt annähert. Beides hat er im Vorfeld ausgeschlossen, um Wählerinnen und Wähler nicht abzuschrecken.

Als Premierminister könnte ihm diese Strategie jedoch zum Verhängnis werden. Gegner unken schon jetzt, dass er letztlich doch Steuern erhöhen und sich der EU annähern werde. Wenn er an seinen Zusagen festhält, wäre das die Quadratur des Kreises; wenn er sie ändert, provoziert er scharfe Attacken aus der Opposition. Starmer hat es über die Ziellinie geschafft, sich einen klaren Sieg gesichert, sich aber auch Probleme eingekauft, die nun mit ihm in die Downing Street Nummer 10 einziehen werden. (rnd)

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