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Warnung vor BeitragsexplosionBarmer-Chef fordert Steuergelder für Klinikreform

Lesezeit 5 Minuten
Blick in einen Operationssaal mit vielen technischen Geräten, während blaues Licht den Raum ausleuchtet und ein Mann die OP-Lampe einstellt.

Ein moderner Operationssaal im Universitätsklinikum Essen.

Der Umbau des Krankenhaussysteems ist nötig, sagt Kassenchef Christoph Straub. Er sieht den Bund in der Pflicht, die Kosten dafür zu tragen.

Der Mediziner Christoph Straub ist seit 2011 Vorstandschef der Barmer. Sie ist mit fast neun Millionen Versicherten die zweitgrößte gesetzliche Kasse in Deutschland. Im Interview spricht er über benötigte Krankenhausreformen und eine wahrscheinlich anstehende Beitragserhöhung.

Herr Straub, viele Menschen sind besorgt, dass wegen der geplanten Klinikreform ihr Krankenhaus um die Ecke dicht machen muss. Ist die Sorge berechtigt?

Durchaus. Der Grund ist aber nicht die Klinikreform von Gesundheitsminister Lauterbach, sondern eine drohende Marktbereinigung aufgrund der jahrelangen Untätigkeit der Bundesländer. Sie haben sich über Jahrzehnte Reformen und Investitionen verweigert. Deshalb gibt es heute eine Krankenausstruktur, die weder den medizinischen Anforderungen genügt noch finanzierbar ist. Mit der Reform soll gerade verhindert werden, dass es ein unkontrolliertes Sterben von Krankenhäusern gibt.

Aber ein kontrolliertes Sterben wäre schon gut?

Es geht nicht um das Schließen von Krankenhäusern, sondern um die Schaffung moderner Strukturen. In Ballungszentren mag es das eine oder andere kleine Krankenhaus geben, das so nicht mehr benötigt wird. Schließungen von Standorten sind aber grundsätzlich nicht nötig, um eine moderne Klinikstruktur zu erreichen. Wir brauchen große, spezialisierte Krankenhäuser, die komplexe Eingriffe durchführen können. Kleinere Kliniken sollten beispielsweise in Gesundheitszentren für einfachere ambulante Behandlungen umgewandelt werden. Das sieht die Reform von Minister Lauterbach auch vor. Die Bevölkerung hat das übrigens längst akzeptiert.

„Patienten in spezialisierten Kliniken besser aufgehoben“

Wie kommen Sie darauf?

Untersuchungen zeigen, dass die Patienten bei planbaren Operationen das kleine Krankenhaus eher meiden. Sie wissen, dass sie in spezialisierten Kliniken mit erfahrenen Teams und bester technischer Ausstattung besser aufgehoben sind.

Das Kinderkrankenhaus an der Amsterdamer Straße in Köln

Das Kinderkrankenhaus an der Amsterdamer Straße in Köln wird bald aufgegeben. Es wird nach Merheim ziehen in die künftige städtische Großklinik.

Wenn ein Standort geschlossen werden soll, gibt es aber regelmäßig Proteste.

Das zeigt aber nur, dass die Menschen vor Ort einen Anlaufpunkt wollen und diesen berechtigterweise auch brauchen. Dafür reicht jedoch ein ambulantes Gesundheitszentrum. Bei Bedarf können dann Patienten in eine Klinik verlegt werden.

Eine Zuordnung der Kliniken zu Versorgungsstufen – von den erwähnten Gesundheitszentren bis hin zu Unikliniken – lehnen die Länder aber ab. Taugt die Reform dann noch etwas?

Es ist ein großer Schritt nach vorn, wenn es künftig bundesweit einheitliche Qualitätsvorgaben für alle Klinikleistungen geben wird. Es gibt keine bayerische oder niedersächsische Art, einen Schlaganfall zu behandeln. Dass es die Einteilung in Versorgungsstufen nicht geben wird, sehen wir mit großer Sorge. Denn es besteht die Gefahr, dass die Länder so viele Ausnahmen durchsetzen, dass die Reform stark verwässert wird. Wenn am Ende doch wieder alle Kliniken alles machen, und das nicht in bester Qualität, ist nichts gewonnen.

Lauterbach erpresst die Länder mit einem neuen Internet-Portal, auf dem die Qualitätsdaten aller Kliniken und die ursprünglich geplante Zuordnung zu den Versorgungsstufen veröffentlicht werden soll. Ein sinnvoller Schritt?

Transparenz ist nie verkehrt, doch dieses Portal wird nicht das gewünschte Ziel erreichen. Ich habe früher in der Gesundheitssystemforschung gearbeitet und war lange davon überzeugt, dass wir die Patienten nur besser informieren müssen, um Veränderungen in ihrem Verhalten zu erreichen. Ich musste lernen, dass das nicht funktioniert.

Warum nicht?

Zahlen, Daten, Qualitätsberichte – das liest kein Mensch. Bei der Entscheidung, wo man sich operieren lässt, hören die Menschen am stärksten auf den behandelnden Arzt und auf Ratschläge aus dem Familien- oder Freundeskreis. Da hilft ein neues Portal nicht. Im Gegenteil: Meine Befürchtung ist, dass es die Verhandlungen mit den Ländern nur erschwert. Minister Lauterbach tut sich damit keinen Gefallen.

Völlig offen ist die Finanzierung der Reform. Lauterbach tut so, als ließe sich der Umbau der Kliniken nebenbei bezahlen. Sehen Sie das auch so?

Die Transformationskosten sollten nicht unterschätzt werden. Nicht nur die Kliniken, die neue Aufgaben hinzubekommen, brauchen erhebliche Investitionsmittel. Auch die Umwandlung eines Krankenhauses in eine ambulante Einrichtung ist teuer. Ein Beispiel: Stationäre Einrichtungen sind so gebaut, dass Patienten mit dem Bett in den OP gebracht werden. Dabei ist es egal, ob dieser im 4. Stock ist. Für ambulantes Operieren brauchen sie dagegen möglichst ebenerdige Räume mit Umkleidemöglichkeiten.

Forderung: „Auswirkungen der Klinikreform müssen aus Steuergeldern bezahlt werden“

Was kostet diese Transformation?

Ich gehe davon aus, dass in den nächsten fünf bis zehn Jahren bis zu 50 Milliarden Euro notwendig sein werden.

Wer soll das bezahlen? Lauterbach hat bereits Gelder Kassen ins Spiel gebracht.

Bei den Transformationskosten sind Bund und Länder in der Pflicht, die Finanzierung sicherzustellen. Diese Kosten dürfen nicht den Versicherten aufgebürdet werden. Dann müssten die Beitragssätze, die ohnehin regelmäßig nach oben gehen, zusätzlich um mehrere Prozentpunkte steigen. Das ist nicht hinnehmbar. Beitragsgelder sind dazu da, die laufenden Betriebskosten der Kliniken zu decken. Die Auswirkungen der Klinikreform müssen aus Steuergeldern bezahlt werden.

Damit sind wir bei den Kassen-Finanzen. Wie hoch wird das Defizit?

In diesem Jahr laufen die Einnahmen besser als prognostiziert. Die Tarifabschlüsse sind deutlich höher als erwartet. Diese Entwicklung dürfte sich auch im kommenden Jahr fortsetzen. Entlastend wirkt zudem, dass die Steigerungsraten im ambulanten Sektor und bei den Arzneimitteln erstaunlich niedrig sind. Doch im Krankenhausbereich gehen die Ausgaben steil nach oben. Sie wachsen derzeit mit zehn Prozent doppelt so schnell wie die Beitragseinnahmen.

Barmer-Chef: „Beiträgen müsste auf 16,35 bis 16,45 Prozent steigen“

Was heißt das für 2024?

Wir gehen derzeit von einem Defizit von vier bis sechs Milliarden Euro aus. Die Beiträge müssten dann um 0,25 bis 0,35 Prozentpunkte steigen, insgesamt also auf 16,35 bis 16,45 Prozent. Hier gab es in den vergangenen Jahren bereits eine deutliche Dynamik. Ich halte es aus sozialpolitischer Sicht für äußerst problematisch, dass man erneut alle Lasten den Beitragszahlenden aufbürdet, ohne dass man sie bei der Finanzierung versicherungsfremder Leistungen entlastet.

Was meinen Sie?

Denken Sie an die zu geringen Beiträge des Bundes für die Krankenversicherung der Bürgergeld-Empfänger. Allein das kostet den Versicherten zehn Milliarden Euro jährlich. Durch die geplante Aufhebung des Budgets für die Hausärzte entsteht ein weiteres Risiko bei den Ausgaben, auch weil die Fachärzte das dann ebenfalls einfordern werden. Auch die Kosten der Krankenhausreform kämen hinzu. Ausschließlich die Beitragszahlenden zur Kasse zu bitten, ist nicht akzeptabel.