Weiblich, jung und wütendJunge Frauen zeigen Haltung gegen alte, mächtige Männer
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Maira Kellers kommt aus Köln, geht in die achte Klasse eines Gymnasiums, lebt vegan, geht Freitags demonstrieren und treibt somit eine Bewegung voran. Sie ist nicht alleine.
Da sind Schülerinnen, die fürs Klima streiken. Da sind Frauen, die sich Ministern widersetzen und Menschenleben retten, noch dazu in einer Männerdomäne, der Seefahrt. Da sind Sportlerinnen, die den WM-Sieg für eine Standpauke an den Präsidenten nutzen.
Sie alle werden gerade zu Galionsfiguren.
Köln/Bonn – Immer wieder guckt die Kölnerin Maira Kellers auf ihr Handy, sprintet auf Socken über die warmen Pflastersteine von Pavillon zu Pavillon, hier am Alter Markt in Köln, wo sie vor drei Wochen mit ein paar Dutzend Schülern bei der „Week for Future“ dauercampt.
Sie greift zum Megafon, zu verstreut sind ihre Mitstreiter über den Platz, um sie ohne zu hören: „Wir brauchen dringend kreative Vorschläge für die Social-Media-Kampagne!“ Die Polizei erlaube keine weiteren Schlafzelte, schon gestern hätten einige unter freiem Himmel übernachtet, jetzt sei Regen angesagt. Nur noch kurz ein paar Aufgaben verteilen, dann habe sie vielleicht Zeit für ein Gespräch, sagt Maira, zuständig für Organisation, Koordination, Presse – und gerade 14 Jahre alt.
Maira kommt aus Köln, geht in die achte Klasse eines Gymnasiums, liebt Musik und Schauspiel. Seit sie im Dezember von der „Fridays for Future“-Bewegung hörte, sei sie angefixt von dem Thema, das sie schon als kleines Kind beschäftigt habe. Seither lebt sie vegan, geht freitags demonstrieren, mehr noch: Sie treibt diese Bewegung voran.
Maira ist eine von vielen jungen Frauen, manchmal Mädchen noch, die dem Kampf für den Klimaschutz ein Gesicht geben. So wie Kapitänin Carola Rackete der Seenotrettung. Oder US-Fußballerin Megan Rapinoe dem Protest gegen Donald Trump. Und wie Greta Thunberg natürlich, die Begründerin der „Fridays for Future“-Proteste.
Kopfwäsche für den VW-Chef
Auffallend viele junge Frauen zeigen gerade Haltung und erheben das Wort gegen meist ältere, mächtige Männer. Und sie finden Gehör, werden in Talkshows eingeladen, schaffen es auf die Titelblätter, werden bewundert, manchmal verehrt.
Auch Bilder der 18-jährigen Clara Mayer aus Berlin gingen durch die Medien, als sie jüngst VW-Chef Herbert Diess vor der versammelten Jahreshauptversammlung den Kopf wusch („Ihr habt das Problem nicht ansatzweise verstanden“). Ebenso die 23-jährige Luisa Neubauer aus Hamburg, die sich im Spiegel einem Streitgespräch mit Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier stellte und in Sendungen wie „Hart aber fair“ oder „Anne Will“ mit Spitzenpolitikern diskutiert.
Nicht nur die Klimakrise macht aus jungen Frauen wie Greta Thunberg Galionsfiguren. Kapitänin Carola Rackete wurde durch ihren Widerstand gegen Italiens Innenminister Salvini über Nacht zur Heldin für die einen, zur Hassfigur für die anderen – so wie Pia Klemp.
Schauprozess zur Abschreckung anderer Organisationen
Die 36-jährige Bonnerin ist ebenfalls Kapitänin, rettete mit der „Iuventa“ und der „Sea Watch 2“ etwa 1000 Menschen und wird, wie Rackete, der Beihilfe zur illegalen Migration beschuldigt. Derzeit wartet sie auf den Prozess, der mit einer Strafe von bis zu 500.000 Euro enden könnte. Knapp die Hälfte dieser Summe sei bisher schon durch Spenden zusammengekommen, sagt Klemp.
Mit einer Verurteilung rechne sie nicht, eher mit einem Schauprozess zur Abschreckung anderer Organisationen. Die Kapitäninnen kennen sich schon lange, „Carola ist nicht nur eine Freundin, sondern auch jemand, den ich für ihre Intelligenz, ihr beherztes Engagement und ihre Besonnenheit sehr schätze“, sagt Klemp. Sie spricht von Mut und Tatkraft – beides wird auch ihr zugeschrieben. Die Sätze, die beide fast wortgleich wiederholen, lauten: „Wir lassen uns nicht einschüchtern. Wir werden weiterkämpfen.“
I’m not going to the fucking White House“
Da sind Schülerinnen, die fürs Klima streiken. Da sind Frauen, die sich Ministern widersetzen und Menschenleben retten, noch dazu in einer Männerdomäne, der Seefahrt. Da sind Sportlerinnen wie Megan Rapinoe, die den WM-Sieg für eine Standpauke an den Präsidenten nutzt, dessen Gesicht man gern gesehen hätte, als sie vorab ankündigte: „I’m not going to the fucking White House“ („Ich werde nicht in das verdammte Weiße Haus gehen“).
Beim Weltmeister-Empfang am Mittwoch in New York wurde die 34-Jährige für ihren sechsminütigen Appell gefeiert, für den sie manch einer schon mit Martin Luther King verglich. Die Bewunderung für die neuen Heldinnen trägt manchmal bereits Züge einer Überhöhung.
Rapinoe ist nicht die erste Amerikanerin, die sich gegen Trump stellt, gegen Hass, Hetze, Homophobie. Die heute 19-jährige Emma Gonzales wurde 2018 zur Anführerin einer ganzen Bewegung, nachdem sie den Amoklauf in ihrer Schule in Parkland, Florida überlebte. Mit dem „March for our Lives“ steht sie mittlerweile für den Kampf gegen die US-Waffenlobby, sie, eine junge Frau mit wachem Blick und abrasierten Haaren.
Seit einigen Wochen trägt Maira Kellers die gleiche Frisur. Nicht wegen Gonzales, sondern weil sie es schön finde, sagt sie, und „ weil es für ein Ausbrechen aus dem Patriarchat steht“. Sie ist 1,60 Meter groß, sehr zierlich, doch die kurzen Haare und ihre ausformulierten Sätze lassen sie wenig weich wirken. Ob sie als Mädchen das Gefühl habe, weniger ernst genommen zu werden? „Ich hatte nie Probleme damit, dass ich eine weibliche Person bin“, sagt sie, als hätte sie mit der Frage gerechnet.
Für Jugendforscher Klaus Hurrelmann würde Maira wohl als Beispiel seiner jahrelangen Untersuchungen gelten. „Schon seit zwanzig Jahren stellen die Wissenschaftler in den Shell-Jugendstudien Bewegung bei den Geschlechterrollen fest“, sagt er, Mädchen seien in Sachen Bildung schon lange auf dem Vormarsch.
„Auch eine Art Feminismus“
Bei den 12- bis 25-Jährigen, teils auch schon im Grundschulalter, zeige sich: Mädchen haben mehr Energie, mehr Motivation, sie haben bessere Zeugnisse als Jungen – und am Ende auch mehr Hochschulabschlüsse. „Je höher der Bildungsgrad, desto größer das politische Interesse“, sagt Hurrelmann.
Aber das ist nicht alles. Der Forscher spricht von vier Entwicklungsfeldern – auf den ersten drei liegen die Mädchen schon länger vorne: Erstens Bildung, zweitens die soziale Kompetenz, drittens einen Bereich, den Hurrelmann „ein mündiger Konsumbürger werden“ nennt, Freizeitgestaltung und souveräner Medienumgang.
An vierter Stelle steht dann die soziale und politische Beteiligung. „An dem Punkt sind wir gerade. Es gibt deutliche Hinweise, dass junge Frauen dabei sind, auch dieses veraltete Muster zu durchbrechen und das bisher männlich dominierte Feld ebenfalls besetzen.“
Die Kapitäninnen Carola Rackete und Pia Klemp, Fußballerin Megan Rapinoe, US-Aktivistin Emma Gonzales, Klimakämpferin Maira Kellers – sie sind jung, weiblich und wütend. Sie wollen politischen Einfluss. „Es geht ihnen um ihre Themen“, sagt Hurrelmann. Seenotrettung und Klimaschutz, das seien ganz klar „Frauenthemen“, es gehe um Schutz und Sicherung des Lebens, nicht um Macht. „In dem Sinn ist es auch eine Art von Feminismus. Sie nutzen auch ihr Frausein, um auf diese Themen aufmerksam zu machen.“