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Vorwurf des „White Feminism“Sophie Passmann nach Rassismus-Aussage in der Kritik

Lesezeit 6 Minuten

Sophie Passmann bei der Verleihung der 57. Grimme-Preise im August 2021

Wer darf, wer muss, wer soll über Rassismus sprechen? Eine Diskussion darüber hat Moderatorin, Autorin und Influencerin Sophie Passmann ausgelöst – eine Frau, die sich in der Vergangenheit immer wieder antirassistisch geäußert hat.

In einem Interview kritisiert die 28-Jährige, schwarze Frauen mit individuellen Erfahrungen als faktischen Rassismus abzubilden. „Wenn Redaktionen im Namen des Antirassismus eine schwarze Frau zum vermeintlichen Sprachrohr von rassistischen Erfahrungen in Deutschland machen, führt das dazu, dass wieder nur ein Standard reproduziert wird: Wer spricht am lautesten, am funkiesten in ein Interviewmikrofon hinein? Ohne dabei irgendetwas gegen Rassismus getan zu haben“, sagte sie dem Schweizer Magazin „Annabelle“.

Wie kann struktureller Rassismus medial abgebildet werden?

Sollen schwarze Frauen schweigen? Sollen ihre einzelnen Erfahrungen, die zusammen ein Bild ergeben, das strukturellen Rassismus in Deutschland verdeutlicht, nicht mehr medial stattfinden? Und wer, wenn nicht schwarze Frauen, soll, darf, muss über Rassismus sprechen? Passmann selbst gesteht sich das Recht immer wieder zu – obwohl sie weiß ist und damit keine persönlichen Erfahrungen mit Rassismus gemacht hat.

Nun aber sollen rassistische Erfahrungen einzelner Frauen nicht mehr so abgebildet werden, wie es derzeit geschieht, denn damit würde „eine Einzelperson als Angehörige einer identitätspolitischen Gruppe“ dargestellt, „für das sie ungefragt die ganze Identitätsgruppe in Mithaft nimmt, weil sie sagt: So sind wir.“ Daraus ergebe sich, so Grimme- und Nannen-Preis-Trägerin Passmann weiter, „null Erkenntniswert“.

Spricht Sophie Passmann People of Color ihre Rassismuserfahrungen ab?

Auf Twitter empören sich deshalb zahlreiche Menschen über Passmanns Aussage. Wie diese ihre Aussagen genau meint, dazu schweigt sie bisher. Auch eine Anfrage des RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) ließ sie am Montag unbeantwortet. Und so kommt, was im Zeitalter von Social Media kommen muss: Twitter diskutiert und interpretiert.

Während die meisten der Ansicht sind, Passmanns Aussagen seien problematisch, weil sie Menschen in Deutschland ihre Rassismuserfahrungen absprechen würden und die Stimmen weißer Menschen stärken, die sich zu Rassismus äußern, verteidigen andere: Passmann habe vielmehr angedeutet, dass es mehr als eine laute schwarze Stimme brauche, um strukturellen Rassismus sichtbar zu machen. Würde sich die Debatte nicht auf die immer gleiche Person fokussieren, sondern breiter thematisiert, könnten Kritikerinnen und Kritiker, die von rassistischen Einzelfällen sprechen, viel mehr überzeugt werden. Nur dann könne wirklich etwas gegen Rassismus erreicht werden.

Schwarze Musikerin Malonda kürt Sophie Passmann zur „White woman of the day“

So oder so – Sophie Passmann hat es am Montag zwischenzeitlich auf Platz eins der Twitter-Trends in Deutschland geschafft.

Zahlreiche Menschen, darunter auch People of Color, sind ob der Aussagen entsetzt. Die schwarze Musikerin und Feministin Achan Malonda bezeichnete Passmann ironisch als „White woman of the day“ und prangerte an, Passmann würde gegen schwarze Aktivistinnen und Aktivisten wettern. Sie kritisierte dabei vor allem, dass Passmann in der Vergangenheit mit ihren Büchern, in denen es auch um Sexismus, Rassismus und Patriarchat geht, Geld verdiente – und nun schwarze Aktivistinnen abwerte.

Sophie Passmann: viel Kritik auf ein von ihr beworbenes Interview

Passmann selbst hatte das Interview – in dem sie die deutsche Twitter-Community als irrelevant bezeichnete – auf Twitter geteilt. In den Antworten findet sich wenig Zuspruch und viel Kritik. Eine Nutzerin schreibt: „Ernsthaft? (...) Menschen, die laut sind gegen Rassismus sind Selbstdarsteller*innen, die nur für sich sprechen und nicht für andere?“

Die Debatte um Rassismus wurde auch in Deutschland lange Zeit überwiegend von weißen Menschen geführt – die aber keine eigenen Rassismuserfahrungen haben. So auch Passmann. Twitter-Nutzerin „The Garlic Ultra“ fragt deshalb rhetorisch: „Wer bist DU, die schwarze Aktivist*innen bewertet?“ Sie macht zudem auf den Umstand aufmerksam, dass immer wieder Menschen in Deutschland Rassismuserfahrungen abgesprochen werden – eine Sache, die Passmann mit ihren Aussagen zumindest unbewusst stützt.

Sophie Passmann und die Privilegien der Weißen

Eine von Passmanns Followerinnen fragt unter ihrem Post: „Meinst du nicht, du solltest mal deine weißen Privilegien reflektieren?“ Dass weiße Menschen weltweit Privilegien haben, ist immer wieder Thema in den vergangenen Jahren gewesen. Antirassismusaktivistinnen und ‑aktivisten setzen sich seit jeher dafür ein, für jene Privilegien zu sensibilisieren und sich ihnen bewusst zu werden – nur so könne Rassismus bekämpft werden.

Eine dieser weißen Privilegien ist es, sich der Rassismusdebatte zu entziehen, wenn es zu anstrengend wird. Eine Sache, die einige Menschen allein aufgrund ihrer Hautfarbe nicht können – sie werden mit ihrer Geburt politisiert und können dem Diskurs nicht ausweichen. Sodann stößt einigen die Aussage sauer auf, dass sich Passmann „vor zwei Jahren aus dem Politikscheiß komplett rausgezogen“ habe. „Es bringt einfach nichts, außer dass ich ordentlich Bücher verkaufe.“

Sophie Passmann verdient Geld mit Büchern gegen Rassismus und Patriarchat

Die Politikwissenschaftlerin und Netzaktivistin Anne Roth schreibt, was mehrfach auf Twitter zu lesen ist: Passmann rücke nun selbst in „die Schublade der alten weißen Männer, die zynisch und gelangweilt definieren, was sie wichtig finden.“ Passmann wurde 2019 mit ihrem zweiten Buch „Alte weiße Männer“ deutschlandweit bekannt. Im Jahr darauf moderierte sie die viel beachtete Sendung „Männerwelten“ auf Pro Sieben, die Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf in ihrer gewonnen freien Sendezeit ausstrahlten. Dort wurde auf die Problematik und Häufigkeit sexueller Gewalt gegenüber Frauen aufmerksam gemacht. Die Sendung erhielt den Grimme-Preis und den Henri-Nannen-Preis.

Doch nun wird jener Frau, die sich einst öffentlichkeitswirksam gegen weiße, männliche Macht einsetzte, unterstellt, dieser gedanklich näher zu sein als den Minderheiten, für die sie sich eigentlich engagierte. Der Vorwurf, unter anderem von Autorin Annika Brockschmidt, lautet: White Feminism.

Sophie Passmann und White Feminism: Einsatz nur für weiße Frauen?

Unter White Feminism wird ein Feminismus verstanden, der die Belange von weißen Frauen fokussiert und Frauen anderer Hautfarbe oder anderer Minderheiten außen vor lässt. Durch die Verwendung des Begriffs White Feminism werden feministische Bestrebungen einer Person abgewertet, da unterstellt wird, dass es vor allem um die Stärkung der eigenen Rechte geht, andere Identitätsmerkmale wie Hautfarbe oder Herkunft, die ebenfalls für Ungleichheit in der Gesellschaft stehen, aber nicht einbezogen werden. Einige Userinnen und Usern sagen, es sei ehrlicher, würde Passmann sich nicht als Feministin, sondern eben als weiße Feministin bezeichnen.

Doch nicht nur Passmanns Bemühungen in Sachen Feminismus und Rassismus werden nun kritisch beäugt. Ihre Glaubwürdigkeit steht infrage. Sie gab nämlich an, während ihres Studiums gemeinsam Seminare mit Autorin Hengameh Yaghoobifarah besucht zu haben und mit ihr befreundet gewesen zu sein. Die twitterte als Reaktion auf das Interview, dass das nicht stimme, im echten Leben („in real life“, kurz irl) hätten sie kaum Berührungspunkte gehabt. „Wir waren auf Facebook ‚befreundet‘, aber irl maximal Bekannte.“

Fans verteidigen Sophie Passmann – Support auch von Julian Reichelt

Lob hingegen erhielt Passmann von unerwarteter – und schätzungsweise ihr auch unerwünschter Seite: Ex-Bild-Chef Julian Reichelt twitterte, Passmann habe „zum ersten Mal in ihrem Leben etwas wirklich Kluges gesagt“. Für einige von Passmanns Followerinnen und Followern (und Kritikerinnen und Kritikern) der beste Beweis dafür, dass die Aussagen im Interview nicht akzeptabel waren.

Andere finden, Passmanns Aussagen seien missverstanden worden und verteidigen die Autorin. Entgegen der Kritik habe sie in dem Interview indirekt gefordert, mehr schwarze Stimmen in die Öffentlichkeit zu holen, um das Rassismusproblem zu manifestieren und zu widerlegen, dass es sich um die Erfahrungen einzelner handele, nicht um strukturellen Rassismus.

Und Passmann selbst? Die 28-Jährige schrieb auf Twitter einen etwas polemischen Tweet: „Bisher alles absolut cool und normal“. Weitere Nachfragen und auch die Forderung, sich für einzelne Passagen des Interviews zu entschuldigen, ignorierte sie bisher.