Auf See mit ContainernAls Frachtschiff-Passagier von Lübeck nach Lappland
Über den Nordlandkai im Lübecker Hafen pfeift ein kalter Wind. Wir suchen die „Frankfurter Straße“. Der Name signalisiert urbane Übersichtlichkeit. Doch die findet man an diesem Ort nicht. Wie gewaltige, aufeinander getürmte Bauklötze warten hier Hochsee-Container und bilden turmhohe Schluchten. An der dritten Ecke links soll unser Ziel liegen: das Motorschiff „Tavastland“. Fast 200 Meter lang und angetrieben von Maschinen, die 26.000 Pferdestärken mobilisieren können. Wir wollen auf dem Frachtschiff samt Auto nach Lappland fahren, in den Hafen von Kemi im Norden Finnlands.
Bereits an der Hafenkontrolle wirkt unser Wagen neben einem gewaltigen Truck winzig. Hinter der Absperrung wartet moderne Hafenwelt wie aus einem Zukunftsfilm, in dem Maschinen die Herrschaft übernommen haben. Gewaltige Schleppfahrzeuge sind in halsbrecherischem Tempo mit Seecontainern unterwegs. Wir schleichen in unserem Auto voran, die Warnblinkanlage eingeschaltet, und tragen zudem noch leuchtend gelbe Warnwesten. Das ist eine Vorschrift, die hier unmittelbar einleuchtet. In dieser wie von Geisterhand gesteuerten Welt wird man sonst leicht übersehen.
Acht Quadratmeter große Kabine mit dem Nötigsten
Schließlich stehen wir vor der riesigen geöffneten Heck-Klappe unseres in Schweden registrierten Schiffs, die aussieht wie das geöffnete Maul eines Walhais. Die Tavastland, benannt nach einer Landschaft in Mittelfinnland, ist ein RoRo-Schiff – es bedeutet, dass die Ladung auf das Schiff gefahren wird. Auf gut Glück sprechen wir das einzige menschliche Lebewesen an, das dort steht. Es ist Kim, der schwedische Lademeister des Schiffs. Er organisiert die weiteren Schritte: An der steil neben uns aufragenden Schiffswand wird ein Korb herunter gelassen, in den wir unser Gepäck stellen. Und wir klettern die Gangway höher und höher, bis wir an Deck dieses Frachtschiffs sind. Ein letzter Blick auf unser winzig klein erscheinendes Auto. Kim wird es später in den Laderaum fahren.
Wir beziehen unsere Kabinen. Acht Quadratmeter groß und mit allem Nötigen ausgestattet, doch von spröder Nüchternheit. Vom Schiffsdeck aus sehen wir das Holstentor, das Wahrzeichen Lübecks, in direkter Nachbarschaft. Wie bei so vielen See-Städten war und ist auch in der alten Hansestadt der Hafen das Tor zur Welt.
Der Tourist gilt eher als Teil der Ladung
Frachtschiffreisen haben sich zu einem eigenen Tourismus-Segment gemausert, das von Spezial-Veranstaltern bewirtschaftet wird. Vorbei die Zeiten, als man für ein Taschengeld mitgenommen wurde, und das persönlich mit einem Reeder oder dem Kapitän klären konnte. Auch dass man sich die Passage durch eigene Arbeit verdiente, geschieht nur noch in Ausnahmefällen. Und doch wirkt die raue Welt der Handelsschiff-Fahrt für den Neuling bereits von Beginn an wie ein kleines Abenteuer, denn sie ist noch ungezähmt und voller kleiner Ecken und Kanten. Der Tourist gilt eher als Teil der Ladung und nicht als zentrale Person, auf die sich alles ausrichtet.
Noel, ein philippinisches Besatzungsmitglied, gibt eine Schnell-Einführung. Hier die Kabinen, dort der Aufenthaltsraum für die Passagiere – ein Salon mit Schreibtisch und Computerterminal, Sitzecke, Fernseher mit DVD-Player. Daneben die Essensräume. An einem Tisch sitzen die Offiziere, am anderen die Kadetten und Auszubildenden, am dritten die Passagiere. Gegenüber liegt die Küche. Sie gewährleistet eine Art von All-inclusive-Versorgung, denn sie ist ständig geöffnet. Kein Wunder. Wenn die „Tavastland“ fährt, herrscht 24-Stunden-Betrieb. Es gibt ein striktes Alkoholverbot an Bord. Die Brücke, der Steuerstand des Schiffes, ist nur zu bestimmten Zeiten für Passagiere betretbar. Ebenso Sauna und Sportraum. Auch hier hat die Mannschaft natürlich Vorrang.
Das Handy hat keinen Empfang
Als die „Tavastland“ schließlich nachts in Lübeck ablegt, schlafen wir bereits. Am nächsten Morgen ist um uns herum Wasser, das Handy hat keinen Empfang und durch den Schiffskörper gehen sanfte Vibrationen. Mit fast 40 Stundenkilometern pflügt das Schiff durch die Ostsee.
Um 7.30 Uhr gibt es eine Art skandinavisches Frühstück: Eier, Würstchen, finnisches Roggenbrot, Aufschnitt, Obst, Haferbrei, Wurst und Käse. Die Mannschaft ist fast vollständig angetreten. Köchin Emma erklärt – „Beim nächsten Mal könnt ihr das dann“ – wie man sein benutztes Geschirr vorspült. Und rasch fügt sich alles harmonisch, zumal Seefahren beruhigend wirkt.
Nur einer ist unruhig. Der Kanadier Tor, verspiegelte Sonnenbrille, rotblonder Bart, Wikinger-Wurzeln. Ein Bär von einem Mann. Tor ist bekennender Workaholic. Jemand, der brennende Ölquellen mit Dynamit löscht. Jedenfalls traut man ihm das unbesehen zu. Tor sitzt mit uns am Passagiertisch. Tief unten im Laderaum steht sein Lastwagen, mit dem er unterwegs ins nördliche Lappland ist, um dort einen Tiefenbohrer abzuliefern. Tor kommt gerade aus Malaysia, wohin er einen Bohrer gebracht und seinen Einsatz betreut hat. Tor ist ständig weltweit unterwegs. Seine Freundin wird er in drei Wochen wieder sehen. Wenn alles klappt. Tor hat Langeweile, was für ihn eine Art von Höchststrafe zu sein scheint. „15 Minuten habe ich jetzt entspannt“, seufzt er. Und was mache ich jetzt? Er entschließt sich, den Kapitän nach Arbeit zu fragen. Irgendwas. Vielleicht Rost klopfen.
Die Abwechslung hält sich in Grenzen
Das Gute an Containerschiffen wie der „Tavastland“ ist, was eingefleischte Kreuzfahrer für einen Nachteil halten: Die Abwechslung hält sich in Grenzen. Auf dem Computer im Passagiersalon läuft ein Programm, das den Standort unseres Schiffes zeigt und den aller anderen, die auf der Ostsee unterwegs sind. Das Internet geht nur höchst gelegentlich und wenn, dann quälend langsam. Für E-Mails reicht es soeben und an mehr ist nicht zu denken. Der Fernseher schweigt und der Weltempfänger ebenso.
Plötzlich ist man allein mit sich und dem, was das Schiff bietet. Die Mahlzeiten geben dem Tag eine grobe Struktur und sind mit 30 Minuten Dauer auf dem Niveau eines industriellen Arbeitsplatzes. Auch die Kommunikation ist knapp. Kapitän Mats schätzt Rohkost, wie man seinem Teller ansieht und lässt eher die Finger von Köchin Annas robusteren Gerichten. „Es gibt doch wirklich gutes Essen hier“, sagen wir zum Kapitän. Mats schaut auf seinen Teller. Dann mustert er die Köchin. Nach einem Moment weiteren Zögerns formuliert er ein wohlüberlegtes und abgewogenes „Ja“.
An Bord der „Tavastland“ arbeiten 15 Mann Besatzung. Das muss man nicht recherchieren, denn es steht am schwarzen Brett. Zehn Schweden, vier Philippiner und ein Däne. Die Namen der Passagiere stehen gleich daneben. Insgesamt sind wir 18 Menschen.
Natürlich gibt es immer etwas zu sehen. Die Brücke der „Tavastland“ etwa. Wäre sie nicht rundum verglast, könnte man sie auch für den Führungsstand eines Kraftwerks halten, so viele Computer und Terminals stehen hier auf einer Fläche, die vielleicht 240 Quadratmeter umfasst. Der 1. Offizier prüft hier und schaut dort auf einen Bildschirm. Dann nimmt er wieder das Fernglas zur Hand. Doch weitestgehend bewegt die „Tavastland“ sich mit Hilfe des Autopiloten.
Frachtschiff fahren hat etwas Kontemplatives
Wie an unsichtbaren Bändern gezogen, fahren wir an anderen Schiffen vorbei oder sie kreuzen unseren Weg. Knallrote Eisenbahnfähren, Küstenmotorschiffe, Containerschiffe und Frachter, deren Ladekräne steil aufragen. Gewaltige Passagierschiffe sind hier ebenso unterwegs wie Express-Fähren, die rasch vorbeihasten. Den Horizont bildet hin und wieder ein schmaler Streifen Land, vor dem mitunter Wind-Parks von den neuen Energie-Zeiten künden. Der stoische Gleichmut, in dem unser Koloss aus Stahl und Funktion hier unterwegs ist, seine Überlegenheit und Größe, all das überträgt sich auch auf uns als Passagiere. Frachtschiff fahren hat etwas Kontemplatives. Das erweist nicht zuletzt Tor, unser Mitfahrer. Vom zweiten Tag an erscheint er verspätet zu den Mahlzeiten. Oder er erscheint gar nicht. Oder er wischt sich den Schlaf aus den Augen und murmelt etwas von „Das war jetzt auch nötig“. Sogar Tor ist zur Ruhe gekommen.
Der Aktionsradius endet an der nächsten Reling
Mehr als 36 Stunden sind wir jetzt schon an Bord. Der Aktionsradius unseres Lebens, der sich sonst nach elektronischer und digitaler Reichweite bemisst, endet an der nächsten Reling. In dieser übersichtlich gewordenen Welt, im Äußersten markiert durch die Länge und die Breite des Schiffes, kann man es sich behaglich einrichten. Zumal unsere Welt ja eigentlich bis zum Horizont reicht, an dem die Sonne auf der einen Seite unter- und auf der anderen wieder aufgeht. Köchin Anna dreht derweil einsame Runden auf dem Helikopterdeck und simuliert einen Spaziergang an frischer Seeluft. Tor sitzt auf einem Liegestuhl, liest ein Buch und genießt die Wärme, die die Stahlplatten des Schiffs langsam abgeben. „Seit Jahren nicht mehr gemacht“, sagt er stolz.
Wir durchmessen im Laufe der Tage und Stunden alle Phasen von Wetter. Sonne und Wärme, peitschenden Regen, Nebel. Nachts, beim Gang zur Toilette, bringt schwerer Seegang mich beinahe zu Fall. Dann ist alles wieder ruhig, der Himmel klar. Nur das leichte Singen und Hämmern ist stets als Begleitung um uns herum. Als surre eine gewaltige Nähmaschine tagaus, tagein, im Bauch des Schiffes.
Am vierten Tag laufen wir in Oulu ein. Sechs Stunden Aufenthalt. Tor, gut ausgeschlafen und erholt, verlässt uns mit seinem Truck, nachdem wir noch gemeinsam den Maschinenraum besichtigen konnten, der die Dimensionen eines kleinen Kraftwerks hat. Er lässt sich auch in Ansätzen nur erschließen, wenn man enge Treppen hinaufsteigt und an anderer Stelle wieder herunter. Stockwerke hoch, Stockwerke herunter. Mit dem Taxi – Kapitän Mats hat es für uns gerufen – fahren wir in die Stadt. „Wir machen hier High Tech,“ sagt der Fahrer stolz. Wir schauen uns Oulu an, fünftgrößte Stadt Finnlands. Zum Schiff gehen wir zu Fuß zurück. Am Eingang zum Industriehafen wirken unsere Warnwesten wie Passierscheine. Sie sind Beleg für die Professionalität unserer Mission und man gewährt uns Einlass. Wir gehen an einer tiefroten Papiermühle vorbei, die ebenso zur Firma Stora-Enso gehört wie unser Schiff, dessen Brücke bereits von Ferne grüßt. An Bord ist es ein wenig, als sei man heimgekehrt.
Abends legt die „Tavastland“ ab und eigentlich soll sie morgens um 5 Uhr im Hafen von Kemi ankommen, das die Finnen allenfalls als „Meer-Lappland“ durchgehen lassen, weil Lappland eigentlich erst deutlich höher im Norden beginnt. Die „Tavastland“ ist jetzt praktisch allein unterwegs, hier im Norden des bottnischen Meerbusens. Sie beschreibt eine gewaltige Kurve und hebt sich vom dunklen Blau des Meeres und dem hellen Blau des Abendhimmels ab. Man muss dem Schiff etwas wie Anmut und Eleganz zuschreiben, wie es in der klaren Luft und nahe des Polarkreises unterwegs ist. Es ist der vierte Tag an Bord und er ist einer der schönsten. Er verbindet die Ruhe der Schiff-Fahrt mit der Schönheit der vielen kleinen Inselchen in der herben Landschaft.
Nachts geht ein Rütteln und Schieben durch die „Tavastland“. Es ist kurz nach Mitternacht und unser Schiff hat angelegt, wie ein Blick durch das Bullauge bestätigt. Gelblicher Lichtschein liegt auf dem Landekai. Stunden vor der geplanten Ankunft haben wir unser Ziel bereits erreicht. Es ist, als sei der Zauber des vergangenen Tages plötzlich verschwunden. Der Kai wirkt trübsinnig wie die Kulisse aus einem Kaurismäki-Film. Die letzten Stunden sind etwas unruhig, denn wer schläft schon gerne auf einem Frachter, der sein Ziel und damit seine Bestimmung schon erreicht hat. Am nächsten Tag brechen wir auf und fragen den Schiffsoffizier, der uns mit dem Gepäck hilft, welchen Weg wir nehmen müssen, um den Hafen zu verlassen. „Keine Ahnung,“ sagt der Mann. „Ich bin immer nur mit dem Schiff hier.“
Unsere Fahrt in den Süden, in die finnische Hauptstadt Helsinki, ist eine andere, eigene Geschichte. Doch auch sie endet mit einer Seefahrt. Diesmal aber mit der Variante, die für Finnland-Fahrer die nächstliegende Möglichkeit ist. Die Reederei Finnlines bedient die Route Helsinki - Travemünde - Helsinki ebenfalls mit RoRo-Fähren, die aber stärker eine Kombination aus Fracht- und Personenfähre darstellen als die „Tavastland“. Die Finnlines-Fähren sind 29 Stunden unterwegs und bieten modernen Komfort, Kinderbetreuung, Sauna und Fitnessraum. Und natürlich sind sie auf Reisende eingestellt – im Sommer also hauptsächlich Familien. Auch hier setzen Ruhe und Gleichförmigkeit bei aller Wuseligkeit eines großes Schiffes den Grundton. Man trifft in den Aufenthaltsräumen sogar auf Kinder, die in dicken Büchern lesen.
Die Buffets an Bord von Finnlines-Schiffen waren früher legendär und von Feinschmecker-Orden geadelt. Auch heute noch sind sie üppig, bieten viel Nordisches wie Fisch in allen Variationen oder Elchbraten. Die abendliche Einfahrt in den Fährhafen von Travemünde ist spektakuläre Zentimeterarbeit, wenn sich das Schiff im Hafenbecken um die eigene Achse dreht. Ein letzter Höhepunkt.
Kann man die Schiffstouren miteinander vergleichen? Eher nicht. Sie sind einander ähnlich und dann doch wieder nicht. Immerhin – noch nie in meinem Leben hat ein Kapitän ein Taxi für mich an sein Schiff gerufen.