Bodega in JerezWie Frauen das Sherry-Geschäft in Spanien umkrempeln
Jerez de la Frontera – Das Sherry-Geschäft ist eine Männer-Domäne, es steht für ein adliges und patriarchales Spanien. Aber es gibt Ausnahmen: Die kleine Bodega „El Maestro Sierra“ ist ein Underdog auf dem Markt. Sie wurde von einem einfachen Fassbinder gegründet – und wird heute von Frauen geführt.
Ein leichter Wind weht durch die abgedunkelte Halle. Es ist angenehm kühl hier drinnen, während sich die andalusische Sonne draußen alle Mühe gibt, diesen Tag im Spätherbst in Jerez de la Frontera noch einmal sommerlich zu erwärmen. Carmen Borrego und ihre Mutter Pilar Plá Pechovierto, machen ihren morgendlichen Spaziergang, allerdings nicht durch den Park, sondern durch ihr Reich: die Bodega El Maestro Sierra.
Die beiden Bodega-Besitzerinnen herrschen zusammen mit der Önologin Ana Cabestrero über 1000 Fässer Sherry. Pilar Plá Pechovierto hakt sich bei ihrer Tochter unter, zusammen schreiten sie die langen Reihen mit den übereinander gestapelten Sherry-Fässer ab.
Wer an Sherry denkt, hat große Marken im Kopf
Wer an Sherry denkt, hat große Marken im Kopf: Osborne, dessen Stier inzwischen zum spanischen Kulturgut gehört und der in ganz Spanien prominent an Landstraßen auf Anhöhen platziert ist. Auch den schwarzen Don des Sherry-Riesen Sandeman und den rot gekleideten Tío Pepe von González Byass kennt man auf der ganzen Welt. Fast 35 Millionen Liter Sherry wurden im Jahr 2016 von hier ins Ausland exportiert, wie lokale Medien vermeldeten.
Das Sherry-Geschäft ist eine Männerdomäne, es steht für ein hochherrschaftliches, adliges und patriarchales Spanien. Die Bodega El Maestro Sierra ist eine absolute Ausnahme, ein Underdog auf dem Markt, deren schlichte Erscheinung in den Straßen von Jerez kaum auffällt. Ganz im Gegensatz zu den prunkvollen Bauten der großen Marken, die auch „Weinkathedralen“ genannt werden.
Aus den Palomino-Trauben wird der „Mosto“ gepresst
Während Mutter und Tochter noch ihren Spaziergang durch die Gänge mit den Fässern zu Ende bringen, erklärt Önologin Cabestrero, wie der Sherry aus den Trauben entsteht. „Pedro Ximénez und Palomino Fino heißen die Rebsorten, die im Umland von Jerez geerntet werden“, sagt Cabestrero. Aus den Palomino-Trauben wird der „Mosto“ gepresst, der bis zu 12,5 Prozent Alkohol enthält. Zu wenig für einen Sherry. Der Alkoholgehalt wird deshalb durch Hinzufügen von Branntwein auf mindestens 15 Prozent angehoben. Doch bevor er abgefüllt wird, muss er mindestens vier Jahre in den amerikanischen Eichenholz-Fächern reifen und das sogenannte „Solera-System“ durchlaufen.
Cabestrero zeigt auf die vierstöckig übereinanderliegenden Fässer. „Die untersten mit „Solera“ gekennzeichneten Fässer enthalten den ältesten Sherry“, so Cabestrero. „darüber lagert der Wein mit der Reifestufe davor und darüber wiederum der Wein mit der Entwicklungsstufe davor. Ganz oben lagert der jüngste Wein.“
Die verschiedenen Reifestufen werden Criadera genannt
Die verschiedenen Reifestufen werden Criadera genannt. Dabei durchlaufen manche Weine 14 Stufen, also Criaderas. Das Besondere: Nur aus den unteren, den Solera-Fässern, wird Wein in Flaschen abgefüllt. Und die Fässer werden daraufhin wieder mit den jeweils jüngeren Weinen aus den Reihen darüber aufgefüllt. „So sorgen wir für eine gleichbleibende Qualität des Sherry, unabhängig von besseren oder schlechteren Jahrgängen“, erklärt die Önologin.
Ein ausgeklügeltes System, bei dem etliche Parameter zu beachten sind: Die Bodega ist so ausgerichtet, dass der Poniente, der feuchte Westwind, durch die Halle zieht und für Kühle sorgt. Der Boden im Innern der Bodega ist mit Albero-Sand bedeckt, der sich auch in Stierkampfarenen findet, und die Luftfeuchtigkeit konstant halten soll. Eine entscheidende Rolle spiele „la flor“, sagt Cabestrero, und macht eine lange Pause, wohl um die Bedeutung der „Blume“ des Weins zu betonen.
Diese Florhefe auf dem Wein entsteht durch die Luft, da die Fässer in der Regel nur zu Dreiviertel gefüllt sind. „Die Florhefe schützt den Wein und verhindert, dass er oxidiert“. Sie vermeidet also, dass durch den Sauerstoff Essigsäurebakterien im Wein entstehen. „Die Florhefe gibt den trockenen hellen Sherry-Typen, dem Vino Fino, ihre besondere Note“, erklärt die Önologin und holt eine schmale Kelle hervor, die Venencia, mit der sie aus einem der Fächer Wein abschöpft, auf dem eine feine Blütenschicht Florhefe zu sehen ist. Cabestrero lächelt triumphierend.
„Manche der Fässer sind fast 200 Jahre alt“
Bei der dunkleren Sherry-Sorte, dem Oloroso, dagegen sei die Oxidation gewollt: Im Gegensatz zu dem hellen Fino, der 15 Prozent Alkohol enthalte, seien es beim Oloroso 18 Prozent, was die Entstehung der Florhefe verhindere und so das Eindringen des Sauerstoffs ermögliche. Der Amontillado ist sozusagen eine Variante zwischen dem hellen Fino und dem dunklen Oloroso: Er entwickelt sich zunächst mehrere Jahre unter der Florhefe wie der helle Fino, worauf – durch Hinzufügen von Alkohol oder altersbedingt – schließlich die Oxidation an der Luft einsetzt.
„Manche der Fässer sind fast 200 Jahre alt“, erklärt Cabestrero, „und manche der Weine stammen sogar aus dem Jahr 1860“. Ein Nukleus der langen Geschichte der kleinen Bodega wird in den 30.000 bis 55.000 Flaschen, die sie hier pro Jahr herstellen, bewahrt. Vieles läuft hier noch immer so wie damals: Die Fässer werden von den Mitarbeitern mithilfe von Trichtern befüllt und die Flaschen teilweise noch von Hand mit Etiketten beklebt.
Die Vergangenheit wird konserviert
Die Vergangenheit wird konserviert. Dabei ist die Bodega El Maestro Sierra in vielerlei Hinsicht modern und radikal neu, wie Besitzerin Carmen Borrego, die den Spaziergang mit ihrer Mutter beendet hat, jetzt bei einem Sherry im Patio hinter der Halle mit den Fässern erklärt.
„Die Bodega wurde 1830 von einem Fassbinder gegründet, der nicht zur Sherry-Aristokratie gehörte“, erklärt Borrego. „Unsere Vorfahren sind keine Condes und Duques.“ Und: Sie wird seit vielen Jahren von Frauen geführt, fünf der acht Mitarbeiter sind weiblich. „Meine Mutter war die erste Frau in Jerez, die eine Bodega leitete“, sagt Carmen Borrego.
Eine Frau als „maestra bodeguera“? Undenkbar
1976 verstarb Borregos Vater und ihre Mutter Pilar Plá Pechovierto entschied sich dazu, die Leitung der Bodega zu übernehmen. Das hatte es bis dato noch nicht gegeben: eine Frau als „maestra bodeguera“? Undenkbar. Ihre männlichen Konkurrenten war das anfangs suspekt. Sie glaubten, ihre Mutter wolle das Erbe ihres Mannes lediglich als Hobby weiterführen, sagt Borrego.
Doch ihre Mutter, die heute nach eigenen Angaben „neunzignochwas“ Jahre alt, ist, lehrte die Skeptiker eines Besseren. Inzwischen leitet Tochter Carmen Borrego, die selbst bereits im Rentenalter ist, die Bodega zusammen mit ihrer Mutter. Über ihr Alter sprechen beide nicht gerne. Lieber über ihren Sherry.
„Wir setzen auf Qualität, nicht auf Quantität“, sagt Borrego. „In dieser Nische können wir überleben.“ Die Bodega exportiert ihren Sherry unter anderem in die USA, nach Australien, Japan, Frankreich und Deutschland.
Borrego ist nicht nur Kellermeisterin, nicht nur Praktikerin. Sie ist emeritierte Geschichtsprofessorin, hatte bis 2008 einen Lehrstuhl an der Universität Sevilla, und hat sich in etlichen wissenschaftlichen Aufsätzen mit dem Sherry als Kulturgut der Region beschäftigt. „Der Wein ist für diese Region ein Identitätsmerkmal, allgegenwärtig in der Literatur, der Geschichte, der Religion, in den Festen und in dem tiefsten Inneren unseres Volkes.“
Shakespeare huldigte dem Sherry
Im Hügelland zwischen Jerez de la Frontera, Puerto de Santa María und Sanlúcar de Barrameda wurde bereits im elften Jahrhundert Wein angebaut. Die Geschichte des Städtedreiecks ist untrennbar mit dem Sherry verwoben. Zu seiner Bekanntheit in der Welt trugen vor allem die Engländer bei: Sir Francis Drake raubte nach seinem Überfall auf Cadíz 3000 Schläuche Wein und segelt mit seiner Beute zurück gen Norden. Shakespeare setzte der Liebe der Engländer zum Sherry unter anderem mit der Figur Sir John Falstaff in „Henry IV“ ein Denkmal, und Queen Victoria wird der berühmte Spruch: „Anytime is sherry time“ zugeschrieben. Den Engländern hat der Wein aus der Region um Jerez auch seinen Namen zu verdanken. Sie machten aus dem für sie unaussprechlichen „Jerez“ den „Sherry“.
Die Geschichte des Sherry, sie ist noch lange nicht zu Ende. Sie wird weitergeführt von den Frauen der kleinen Bodega „El Maestro Sierra“, die auch morgen wieder ihren morgendlichen Spaziergang machen werden. Allerdings nicht durch den Park, sondern durch ihr Reich, das im Halbdunkeln liegt. Mit den 1000 Fässern Sherry.
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