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PsychologieBlockade am Pissoir: Wenn es bei Männern nicht „läuft“

Lesezeit 3 Minuten
Nicht jedermanns Sache: in Gesellschaft am Pissoir pinkeln. Für Betroffene ist der Anblick eines leeren Toilettenraums deshalb schon die erste Erleichterung.

Nicht jedermanns Sache: in Gesellschaft am Pissoir pinkeln. Für Betroffene ist der Anblick eines leeren Toilettenraums deshalb schon die erste Erleichterung.

Die Blase drückt, man öffnet die Hose und will loslassen: Doch plötzlich stellt sich jemand ans benachbarte Becken - und es geht nicht mehr. Ein Fachmann erklärt, warum dahinter die Psyche steckt.

Laufenlassen, wenn es drückt: Pinkeln ist vermeintlich eine der einfachsten Sachen der Welt. Doch am Pissoir läuft es bei manchen Männern gar nicht, sobald sie nicht allein sind. Die Gründe dafür liegen im Kopf: Es sei wie eine kleine mentale Blockade, sagt der Psychotherapeut Enno Maaß. Und die kann auch zu einem massiven Leiden werden. Zeit, darüber zu reden.

Viele Männer dürften das kennen: Obwohl die Blase drückt, können sie am Pissoir nicht loslassen, wenn jemand direkt neben ihnen steht. Woran liegt das?

Enno Maaß: Zum Wasserlassen benötigen wir eine Entspannung des Blasenschließmuskels. Und die kriegt man nur hin, wenn man selbst auch einigermaßen entspannt ist. Nun ist es am Pissoir eine recht intime Lage, weil man sein Geschlechtsorgan in die freie Luft bewegt. Und wenn jemand neben einem auch pinkelt, kann das diese Intimität stören.

Wird man dann angespannt, geht häufig ein Gedankenkarussell los. Man fragt sich: „Jetzt stehe ich hier schon eine Weile und kann gar nicht pinkeln. Und der neben mir denkt jetzt vielleicht schon, warum der am Pissoir steht und gar nicht pinkelt?“ Dadurch wird man noch angespannter und es wird noch schwieriger, den Blasenmuskel zu lockern.

Ist das eine mentale Blockade, dass also der Kopf den Körper blockiert?

Maaß: Man kann das als kleine mentale Blockade betrachten. Mentale Blockaden im eigentlichen Sinne entstehen oft in ausgereiften Drucksituationen. Etwa, wenn man in einer Prüfung Gedanken ans Versagen bekommt und darum blockiert: Man steht in einer Bewertungssituation und funktioniert nicht mehr – die Situation am Pissoir weist da durchaus Parallelen auf.

Es kann der Gedanke sein, dass man quasi seine Leistung am Pissoir gerade nicht bringt, während der Nebenmann problemlos laufen lässt. Dazu glaubt man vielleicht noch, dass man gerade andere aufhält, die hinter einem warten und ebenfalls pinkeln wollen. Das sorgt für Druck, aber bei manchen auch für Angst- und Schamgefühle. 

Wobei an sich nichts Schamhaftes dabei ist, wenn man Ruhe und Raum zum Pinkeln braucht. Das könnte man ja locker ansprechen, so würde man denken. Aber es scheint nicht so einfach zu sein. Im Grunde ist es ein harmloses Thema, über das wenig gesprochen wird, weil es so schambehaftet ist. 

Wenn sich das Ganze zu einer ausgewachsenen Angststörung ausweitet und zu massivem Leiden führt, spricht man von einer sogenannten Paruresis (umgangssprachlich „Schüchterne Blase“, d. Red.). Hier kann eine Psychotherapie helfen.

Lässt sich der Kopf irgendwie austricksen, um doch noch loslassen zu können?

Maaß: Schafft man es, sich gedanklich aus der Situation herauszunehmen, kann das beim Lockerlassen helfen. Indem ich mich auf das Muster der Fliesen an der Wand vor mir fokussiere, zum Beispiel. Oder ich mache die Augen zu und atme tief ein und aus. Das ist auch eine Frage der persönlichen Leidensfähigkeit. Manche gehen vielleicht lieber direkt in die Kabine.

ZUR PERSON: Dr. Enno Maaß ist stellvertretender Bundesvorsitzender der Deutschen PsychotherapeutenVereinigung (DPtV). Der Psychologische Psychotherapeut führt eine Praxis im ostfriesischen Wittmund. (dpa)