Hauchdünne rohe Rindfleischscheiben, die am Teller kleben, sind out. Wie man Carpaccio heute besser präsentieren kann und die Scheiben auch daheim perfekt hinbekommt, verraten zwei Küchenprofis.
Ganz ohne KlebenGerollt oder als Gebirge: Carpaccio modern interpretiert
Weil Ärzte einer Gräfin verboten hatten, gegartes Fleisch zu essen, kam Giusseppe Cipriani auf die Idee, der Stammkundin rohe, hauchdünn geschnittene Scheiben Rindfleisch vorzusetzen. Laut Legende servierte sie der Besitzer von „Harry's Bar“ in Venedig mit einem speziellen Dressing aus Mayonnaise, Zitrone und Senf. Da ihn die intensiven Rottöne des Fleisches an Gemälde des Malers Vittore Carpaccio erinnerten, war so auch der Name geboren: Carpaccio!
Die Kreation aus Einfachheit und raffiniertem Geschmack wurde weltberühmt. Seit über 70 Jahren ist sie nun auf Speisekarten rund um den Globus zu finden. Wer Pech hat, muss sich das Fleisch allerdings manchmal eher zusammenkratzen, weil die Scheiben regelrecht am Teller kleben.
„Kein Gast will 18 Euro zahlen und dann kratzen“, sagt René Tepper. Er ist der kulinarische Leiter des Restaurants „The Dry Gin and Beef Club“ am Tacheles in Berlins Mitte. Die Wertschätzung für Fleisch müsse man auch im Mund fühlen und schmecken, so sein Ansatz.
Wie vermeidet man den Klebeeffekt?
Der Klebeeffekt ist laut Tepper oft in der schnellen Gastronomie zu finden, wo das Fleisch zum Schneiden tiefgefroren wird: „Durch das Einfrieren verliert es beim Auftauen aber Wasser und trocknet am Teller an.“ Den Mythos, dass man durch eine Scheibe Carpaccio eine Zeitung lesen können sollte, hält er ohnehin für überholt. Modern gehe anders.
„Bei uns wird das Filet nicht eingefroren, sondern frisch per Hand geschnitten und dann geklopft“, verrät er. Statt obendrauf komme bei ihm Rucola großzügig unters Fleisch. „Die Scheiben werden darauf drapiert, sodass es wie ein Gebirge aussieht“, erklärt Tepper.
Enrico Wirth ist Küchenchef in „Brechts Steakhaus“ am Schiffbauerdamm in Berlin. Für ihn ist es eine weitere moderne Option, die Scheiben zu rollen. „Dafür sollte man sie am besten auf einer Folie auslegen, die gewünschten Toppings darauf verteilen und dann mit Hilfe der Folie einrollen“, erläutert er. „Zum Abschluss kann man die Scheiben mit Olivenöl bestreichen oder Dressing über die Rollen verteilen.“
Welches Fleisch ist für Carpaccio geeignet?
So wie es 1950 Giuseppe Cipriani bei seiner Erfindung vorgemacht hat, bevorzugen auch die beiden Profis Rinderfilet für den italienischen Klassiker. Teppers Tipp: „Am besten, man ordert beim Metzger des Vertrauens deutsche Färse.“ Das ist ein weibliches Rind, das noch nicht gekalbt hat.
Färsenfilet ist von feinen Fettäderchen durchzogen, besonders zart, aromatisch und saftig. „Hat ein Stück äußerlich Sehnen und Fett, muss man es putzen, das heißt solche Dinge wegschneiden“, sagt René Tepper.
Was ist beim Schneiden zu beachten?
Am besten lässt sich das Fleisch schneiden, wenn es gut gekühlt ist: „Circa zwei bis vier Grad“, sagt Enrico Wirth. Man könne es auch kurz in den Tiefkühler legen. „Dabei darf es nur leicht anfrieren, nicht gefrieren“, rät der Profi. Das Schneiden sollte nicht zu lange dauern. Denn wenn das Fleisch wieder wärmer wird, ist es schwieriger, gleichmäßige, dünne Scheiben zu schneiden.
Ansonsten gilt: Quer zur Faser und in einem Zug herunterschneiden. „Genau so, als wenn man eine dünne Scheibe Salami schneidet“, sagt René Tepper. Er empfiehlt eine Scheibendicke von ein bis zwei Millimetern. Bekommt man die Scheiben nicht so dünn geschnitten, kann man sie flach klopfen.
Dazu legt man die zu dick geratene Scheibe zwischen zwei Lagen Backpapier oder Folie und klopft mit einem kleinen Topf oder einem Fleischklopfer darauf. „Aber bitte nicht wie ein Wilder“, sagt Tepper, „sondern lediglich in Form bringen“. Tipp: Mit zwei bis drei Tropfen gutem Pflanzen- oder Olivenöl pro Scheibe verteilt sich das Fleisch beim Klopfen besser.
Zwischendurch immer mal mit dem Finger darüberstreichen. Fühlt man eine Wölbung, das Ganze wiederholen. Nicht wundern: Am Ende ist die Scheibe dreimal so groß.
Eine Variante, die Enrico Wirth aus englischen Medien kennt: Das Fleisch zuvor im Ganzen etwas anbraten. „Klingt widersinnig, aber wenn man es nicht ganz roh möchte und dazu ein paar Röstaromen wünscht, kann man das natürlich machen.“
Welches ist das richtige Messer?
„Dafür ist das beste scharfe Messer gefragt, das die Küche zu bieten hat“, sagt René Tepper. Auf keinen Fall sollte man zu einem Sägemesser greifen, denn das zerreißt das Fleisch oder haut Rillen hinein.
Enrico Wirth ergänzt: „Am besten nutzt man eine lange, scharfe und nicht zu dicke Klinge. Solche Messer werden auch zum Schneiden von Schinken oder Lachs genutzt.“
Mit wie viel Gramm rechne ich pro Person?
Carpaccio wird hauptsächlich als Vorspeise serviert und da reichen für Enrico Wirth 80 bis 100 Gramm aus. Bei René Tepper können es auch 90 bis 120 Gramm sein. Ist das Carpaccio Teil von mehreren Vorspeisen, reichen aus seiner Sicht auch 80 Gramm.
„Man möchte ja nicht endlos rohes Fleisch“, sagt er. Angerichtet wird bei ihm nicht klassisch auf runden Tellern, sondern auf Brettchen, wie sie schon Mama benutzt hat. Auch Schieferplatten seien denkbar.
Kann ich Carpaccio-Reste auch noch am nächsten Tag essen?
„Am besten schneidet man wirklich nur so viel vom Filet ab, wie man verzehren möchte. Am Stück lässt sich das restliche Filet dann im Kühlschrank lagern, sodass man es sich am nächsten Tag in dickeren Scheiben anbraten kann“, sagt Enrico Wirth. Aufgeschnittenes Carpaccio, was schon eine Weile auf dem Tisch stand, würde er vorsichtshalber entsorgen.
Mit oder ohne Dressing?
Das ist Geschmackssache. „Ohne Dressing genießt man die unverfälschten Fleischaromen – mit Dressing erreicht man eine andere Geschmackstiefe und Intensität“, findet Küchenchef Wirth und verrät das legendäre Cipriani-Dressing: Der Carpaccio-Erfinder servierte das Fleisch mit einer kalten Mayonnaise-Sauce aus mildem Olivenöl, Eigelb, Weißweinessig, englischem Senfpulver, Worcestershiresauce, Zitronensaft, Salz, Pfeffer und so viel Milch, dass die Sauce noch dickflüssig genug war, um am Löffelrücken zu haften.
So wurde sie in „Harry’s Bar“ für verschiedene Gerichte eingesetzt. Heute nutzt man häufig einfach nur Olivenöl, Aceto Balsamico, Pfeffer und Salz zum Anrichten. Im „The Dry Gin and Beef Club“ werden die Scheiben einfach mit Zitronenöl eingepinselt und mit Salz und Pfeffer bestreut. Über die Rucolablätter kommt dafür eine Vinaigrette aus Olivenöl, weißem Balsamico, Senf, Salz, Pfeffer, etwas Honig oder Zuckerrübensirup.
Was eignet sich als Topping?
„Zu dem feinen Fleisch passt eigentlich alles, was eine andere Note einbringt“, sagt Enrico Wirth. Im „Brechts“ kämen neben Rucola noch Parmesan, Pinienkerne und Kapern als Topping hinzu. Alternativen seien geriebene Trüffel, gebratene Pilze oder Pecorino anstelle des Parmesans. Auch Belper Knolle - ein Schweizer Käse - sei hervorragend.
René Tepper dekoriert seine Carpaccio-Gebirge gerne mit etwas Parmesan und großen Kapernäpfeln - sie spielen mit den ebenfalls genutzten marinierten getrockneten Tomaten und Oliven. „Die setze ich überall dort hinein, wo sich kleine „Täler“ gebildet haben“, sagt der Kulinarik-Chef des Beef Clubs.
Als besonderen Clou können Sie den Berg auch mit Parmesan-Chips krönen. Rezept à la Tepper: „Backpapier auf den Teller, darauf Parmesan-Plättchen platzieren und für 40 Sekunden bis eine Minute in die Mikrowelle geben - fertig“. (dpa)