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StädtereisenGlücksgefühle und Kälteschock - Wintertage in Kopenhagen

Lesezeit 5 Minuten
Eisiger Christianshavns Kanal: Morgens sind Menschen in Bademänteln auf dem Weg zu den Einstiegsstellen.

Eisiger Christianshavns Kanal: Morgens sind Menschen in Bademänteln auf dem Weg zu den Einstiegsstellen.

Im Sommer platzt die dänische Hauptstadt oft aus allen Nähten. Das Gegenteil im Winter: Dann kommt eine typische Lebensart zum Vorschein, und im Hafen springen Menschen ins Eiswasser.

Der Mann hat gut reden. „Nicht nachdenken, einfach reingehen“, rät Hans Henrik Heming. Mit seinen Gästen hat sich der sportverrückte Langstreckenschwimmer, der auch schon mal Bornholm umrundet hat, im Kopenhagener Hafen getroffen: zum Winterbaden an der Badestelle Søndre Refshalebassin.

Es dämmert bereits. Nebel kriecht übers Wasser, und es nieselt. Und jetzt soll man ins Wasser mit Kühlschranktemperatur steigen?

Manchem in der Gruppe genügt die Probe mit dem kleinen Finger zum Abwinken, auch mir. Aber es gibt die Mutigen. In Badekleidung steigen sie die Stufen der Leiter hinab und lassen sich rücklings in das eiskalte Wasser gleiten.

Bibbernd Richtung Sauna

Hans Henriks Ratschlag, angesichts der Kälte nicht in Schnappatmung zu verfallen, setzen einige allerdings nicht um. Lange hält es niemanden im Becken aus, einige schaffen immerhin ein paar Schwimmzüge. Zurück an Land spurten sie bibbernd Richtung Sauna.

Sommers wie winters - für viele Dänen ist das frühmorgendliche Bad so selbstverständlich wie ein gesundes Frühstück. Der 58-jährige Hans Henrik stürzte sich auch auf Winterbadefestivals schon in die Fluten. 2015 gründete der gebürtige Osnabrücker - der Vater deutsch, die Mutter dänisch - den Verein Copenwater, der sich dem Ganzjahresbaden verschrieben hat. 

„Kopenhagen ist dafür der perfekte Ort.“ Für den Sprung ins kalte Wasser gebe es nicht nur Søndre Refshalebassin, sondern ein halbes Dutzend anderer Badestellen quer über die dänische Hauptstadt verteilt.

Das war nicht immer so. Doch nachdem sich Industriebrachen in attraktive Erholungsgebiete verwandelt haben und sich die Wasserqualität spürbar verbessert hat, ist Schwimmen mitten in der City bedenkenlos möglich. 

Breitensport Winterbaden

Das Eisbaden scheint fast ein Breitensport zu sein. 184 offiziell registrierte Winterbadeclubs mit rund 70.000 Mitgliedern soll es zwischen Ringkøbing an der Nordsee und Kopenhagen am Öresund geben. In Anspielung auf den Vereinszweck nennen sie sich „Det Kolde Gys“, „Isbjørnen“ oder „Pingvin“ - auf gut Deutsch: „Kalter Schauer“, „Eisbär“ und „Pinguin“. 

Wer morgens etwa den Christianshavns Kanal entlangschlendert, kann sie in der kalten Jahreszeit zu Dutzenden sehen - die Badenixen und Wassermänner jeglichen Alters, die mit Handtuch und Bademantel bewaffnet zur nächsten Einstiegsstelle marschieren. „Jeder Tag beginnt mit einer Extraportion Endorphinen.“ Glücksgefühle setze das Winterbaden, so sieht es Hans Henrik Heming.

Dass die Hemmschwelle zum Baden offenbar kaum etwas mit den Temperaturen zu tun hat, liegt sicher auch in Dänemarks besonderer Beziehung zum Wasser begründet: Über 400 Inseln gehören zu dem skandinavischen Land. Und die Hauptstadt liegt quasi im Wasser – verteilt auf mehrere Inseln und Holmen.

In den Sommermonaten ist die Metropole mit ihren historischen Gebäuden, der modernen Architektur, den erstklassigen Restaurants und dem ausgeprägten Nachtleben ein beliebtes Städtereiseziel. Zu reizvoll ist allein die Altstadt.

Dort drängen sich auf engem Raum die Sehenswürdigkeiten: das verspielte Schloss Frederiksborg, das Heim der königlichen Familie Schloss Amalienborg, wo die Leibgarde pünktlich um 12 Uhr zur Wachablösung antritt, der Tivoli und der Rundetårn: Das Observatorium des Turms gilt als das älteste funktionsfähige in Europa. 

Warum nicht mal Fællesspisning?

In der kalten Jahreszeit geht es viel ruhiger, gemütlicher, heimeliger zu – eben hyggelig, wie die Dänen ihre spezielle Lebensweise nennen: Es geht darum, sich und Freunden etwas Gutes zu tun. Negatives hinter sich zu lassen.

Am einfachsten lässt sich dieser wichtige Teil des sozialen Lebens bei einem der vielen Gemeinschaftsessen erleben, wie im „Kanalhuset“ im Stadtteil Christianshavn. Einst war der geschichtsträchtige Komplex in strahlendem Gelb königliches Waisenhaus, dann Marinehospital, zwischendurch Gefängnis.

Heute sitzen hier Kopenhagener, Expats und Touristen an langen Tischen zusammen, um gemeinsam wie bei Muttern zu speisen. Fællesspisning nennt sich dieses kommunikative Experiment, das mit 150 Kronen - umgerechnet 20 Euro - für ein mehrgängiges Menü für dänische Verhältnisse preiswert ist.

Für variantenreiche Küche lohnt auch ein Abstecher in den Stadtteil Nørrebro, der vom Reisemagazin „Time Out“ zu einem der coolsten Viertel der Welt gekürt wurde. Das Angebot reicht von Haute Cuisine mit Michelinstern bis zur Dönerbude und Lokalen, die sich auf reich belegte Butterbrote spezialisiert haben: Smørrebrød schmeckt auch in Winter.

Sogar Ski fahren kann man in Kopenhagen - was dem Architekten Bjarke Ingels zu verdanken ist. Der entwarf eine gigantische Müllverbrennungsanlage, und um das Projekt der Bevölkerung schmackhaft zu machten, stattete man das keilförmige Bauwerk unter anderem mit einer Kletterwand und einer Skipiste aus.

Auf Silikonmatten Richtung Erdgeschoss

Sie führt vom Dach um das gigantische Gebäude herum Richtung Erdgeschoss. Statt auf Schnee ist man am „Copenhill“ allerdings auf grünen Silokonmatten unterwegs - ein Ganzjahresspaß, bei dem auf Après-ski in einer Bar aber nicht verzichtet werden muss. „Für mich ist Copenhill die perfekte Vorbereitung für den Winterurlaub in den Alpen“, sagt Rune, ein Student, den ich vor Ort treffe.

Ich aber versuche es noch einmal mit dem Winterbaden, diesmal mit Mette Hansen an meiner Seite, einer 67-jährigen Dame, die Mitglied im Winterbadeclub von Svanemølle im Kopenhagener Stadtteil Østerbro ist. Ob ich das Bad im Öresund nicht doch einmal wagen möchte, fragt die Rentnerin. 

Ich gebe mir einen Ruck: raus aus den Klamotten, rein ins Drei-Grad-Wasser. Mit jeder Stufe kribbelt es mehr in den Waden. Zur Hälfte mit meinem Körper eingetaucht, trete ich allerdings den Rückzug an. „Nicht schlimm“, beruhigt mich Mette, „das nächste Mal klappt es bestimmt“. 

Links, Tipps, Informationen:

Anreise: Kopenhagen ist gut mit dem Zug zu erreichen. Die Fahrt zum Beispiel ab Hamburg dauert rund fünf Stunden. Ab Berlin gibt es Nachtzugverbindungen. Mit dem Auto ist man etwa ab Frankfurt am Main knapp zehn Stunden unterwegs, ab Hamburg noch fünf. 

Winterbaden: Visit Copenhagen listet auf seiner Website die „besten Plätze“ zum Eisschwimmen in der Hauptstadt.

Skifahren: Mit Ski oder Snowboard auf dem „Copenhill“ zu fahren, kostet zum Beispiel 150 Dänische Kronen (20 Euro) pro Stunde im Basistarif (copenhill.dk). Ausrüstung kann geliehen werden.

Stadtführungen: Mit Copenhagen Free Walkings Tours entdeckt man bei kostenlosen Rundgängen die Stadt. Los geht es täglich um 10.30 Uhr am Rathaus. Trinkgelder sind willkommen.

Weitere Auskünfte: Copenhagen Visitor Center (dpa)