Die Bundestagswahl ist eines der wichtigsten Themen überall, auch am heimischen Esstisch. Warum der Austausch darüber wichtig ist und wie man in der Familie gut damit umgeht, erklärt eine Expertin.
Profi-TippsSo reden Eltern und Kinder über Politik, ohne dass es kracht
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Gelebte Demokratie in der Familie ist eine gute Voraussetzung, um gemeinsam über Politik und Wahlen zu sprechen.
Copyright: Zacharie Scheurer/dpa-tmn
Wahlen sind zentraler Bestandteil der Demokratie. Doch wie können Eltern Kindern das Thema näherbringen, ohne zu beeinflussen? Und was ist, wenn die Meinungen auseinandergehen?
Die Erziehungs- und Familienberaterin Kira Liebmann erklärt im Interview, warum Gespräche über Politik in der Familie sinnvoll sind – und wie sie gelingen.
Warum sollten Eltern mit ihren Kindern über Wahlen sprechen?
Kira Liebmann: Es ist ganz wichtig, dass wir mit Kindern und vor allem mit Jugendlichen über das Thema Wahlen sprechen. In dem Zusammenhang treffen oft Menschen aufeinander, die versuchen, sich gegenseitig von „ihrer“ Wahrheit zu überzeugen. Und da ist es wichtig, dass Eltern verstehen und vermitteln: Hier gibt es nicht nur eine Wahrheit, weil diese Überzeugungen viel mit Werten und persönlichen Moralvorstellungen zu tun haben.
Lernen Kinder nicht schon in der Schule genug über Politik?
Liebmann: Das Thema wird in Schulen tatsächlich immer präsenter. Es gibt zunehmend Projekte, in denen Kinder etwa ihre eigene Partei gründen dürfen. Sie überlegen sich dann: Worum soll es der Partei hauptsächlich gehen? Wie gehen wir mit verschiedenen Themen um? Dabei wird schon im Klassenzimmer kontrovers diskutiert. Doch auch zu Hause können wir Kinder und Jugendliche in das Thema einbeziehen – und sie damit zum kritischen Denken und Reflektieren erziehen.
Wie ganz konkret?
Liebmann: Im besten Fall wird Demokratie schon in der Familie gelebt. Zum Beispiel bei Entscheidungen: Was machen wir im nächsten Urlaub? Was kochen wir diese Woche? Idealerweise wird das automatisiert demokratisch entschieden. Eltern können ihre Kinder darauf aufmerksam machen: „Schau mal, das ist Demokratie! Wenn ich einfach bestimme, was es zu essen gibt, dann nicht.“
Und auf die Wahl bezogen, geht es gar nicht darum, ganze Wahlprogramme zu studieren, sondern sich die Wahlversprechen anzusehen und zu fragen: Was macht das mit dir? Was bedeutet das für dich? Warum ist dir das wichtig? Oder was heißt das für dich, wenn das nicht erfüllt wird? So lernen Kinder, sich eine eigene Meinung zu bilden.
Man kann auch ein kleines Wahlspiel zusammen machen: Jeder in der Familie übernimmt eine Partei und hat eine Stunde Zeit, sich Pro- und Kontra-Argumente zu notieren. Dann vertritt jeder „seine“ Partei und erklärt, warum man sie wählen sollte. Das kann nicht nur Spaß machen, sondern hilft auch, sich in verschiedene Sichtweisen hineinzuversetzen.
Was, wenn ein Kind oder Jugendlicher eine sehr starke Meinung entwickelt?
Liebmann: Meinungsbildung findet oft durch einzelne Personen statt. Auf Social Media sind es oft Influencer oder Content Creators, die ihre persönliche Meinung verbreiten. Und da ist wichtig, Kinder und Jugendliche dafür zu sensibilisieren: Sie hören oder lesen dort nicht „die“ Wahrheit, sondern eine Perspektive. Wer sich wirklich eine Meinung bilden will, sollte sich verschiedene Stimmen anhören.
Dann rate ich: Geht doch mal gemeinsam zum Kiosk und kauft euch verschiedenste Tageszeitungen – von Boulevard bis hochpreisig – und schaut zusammen, wie dort über die Themen berichtet wird. So berichten unterschiedliche Medien über das gleiche Thema oft ganz verschieden. Dadurch merken Jugendliche, wie stark die Wahl der Informationsquelle ihre Sicht auf ein Thema beeinflusst. Und es entsteht eine gute Gesprächsgrundlage in der Familie.
Wie lässt sich verhindern, dass politische Diskussionen in der Familie eskalieren?
Liebmann: Wichtig ist, Emotionen – so gut es geht – aus dem Gespräch herauszuhalten und auf einer Sachebene zu diskutieren. Es geht nicht darum, wessen Wert oder Moralvorstellung besser ist. Denn wenn jeder nur versucht, den anderen zu übertrumpfen, funktioniert ein Austausch nicht. Dafür müssen alle wirklich zuhören, die Perspektive des anderen einnehmen und sich auf Argumente einlassen – anstatt nur darauf zu warten, ein Gegenargument zu bringen.
Und wenn Diskussionen trotzdem zu heftig werden?
Liebmann: Dann hilft es, kurz aufzustehen, durchzuatmen - und versuchen, die Perspektive des anderen wirklich wohlwollend einzunehmen. Nicht einfach zu sagen: „Okay, ich verstehe dich“, sondern interessiert nachzufragen: „Welche Aspekte sind dir da wichtig? Warum ist dir das wichtig? Was, glaubst du, wird dadurch besser?“ Das halte ich für ganz wichtig.
Und dass wir uns als Eltern bewusst sind: Gerade Jugendliche sind in einem Alter, in dem Emotionen und Gefühle eine ganz, ganz große Rolle spielen. Und Wahlkampf ist Emotion! Wenn die sehr stark sind, ist es schwierig, dann mit Verstand zu argumentieren. Deswegen bringen uns Diskussionen dann oft nicht weiter. Und solange das Kind kein Erstwähler ist, kann man auch einfach irgendwann mal sagen, „Wir machen da jetzt einen Haken darunter“. Wir müssen nicht alles immer bis zum Schluss ausdiskutieren.
ZUR PERSON: Kira Liebmann ist Gründerin der Akademie für Familiencoaching im bayerischen Maisach und zweifache Mutter. (dpa)