Eltern, entspannt euch!Was unsere Kinder zu starken Persönlichkeiten macht
- Gunnar Busch ist Diplom-Sportwissenschaftler, Yogalehrer sowie Anti-Gewalt-Trainer und arbeitet als Bewegungstherapeut an der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie in Köln-Holweide.
- Im Interview erklärt er, wie Eltern ihre Kinder wirklich dabei unterstützen, zu starken und selbstbewussten Menschen zu werden.
Herr Busch, in Ihrer Klinik behandeln Sie Kinder und Jugendliche mit Essstörungen, Angsterkrankungen, Depressionen und anderen psychischen Erkrankungen. Wie können Bewegung und Sport helfen?
Im Sport, aber vor allem auch im kindlichen Spiel, erwerben wir Unmengen an sozialen und emotionalen Kompetenzen. Wenn ein Kind im Spiel einen Ringkampf verliert, erlebt es zunächst zwar Wut oder Traurigkeit, es hat aber in der Folge die Möglichkeit in dem „Proberaum Spiel“ zu lernen, mit diesen schwierigen Gefühlen umzugehen. Beim Sport geht es immer auch um soziale Anforderungen: Wie gehe ich als Stärkerer mit Schwächeren nachsichtig um, wie gut bin ich in der Lage, in der Gruppe für meine Belange einzustehen?
Eltern sollten Kinder zu Sport animieren?
Ja. Denn Bewegung nimmt neben all den allseits bekannten gesundheitlichen Vorzügen großen Einfluss darauf, wie wir uns fühlen, sogar wie wir denken. Unser Energie-Level, unser Körperbild, unser Stressniveau. Das sind alles wichtige Bereiche des Lebens, die eng mit Bewegung zu tun haben. Dazu können im Sport psychologische Entwicklungsschritte gemacht werden, wie zum Beispiel der Erwerb von Lernstrategien.
Wie meinen Sie das genau? Wie hilft Sport Kindern beim Lernen?
Kinder, die zu uns in die Klinik kommen, haben leider oft nicht gelernt, sich Schrittweise einen Lernerfolg, das Beherrschen einer Fertigkeit zu erarbeiten. Sie überfordern sich und scheitern, immer wieder. Bei der Aneignung einer Sportart ist das Lernprinzip „vom Einfachen hin zum Schweren“ unabdingbar. Dies erfordert Geduld und Beharrlichkeit. Bevor du mit einem Handstand brillieren kannst, musst du langweiligere Übungen machen. Das fällt vielen Kindern nicht leicht. Doch wer das langfristig nicht kann, tut sich später im Erwachsenenleben schwer, der Selbstwert ist eng an solche Fähigkeiten gekoppelt.
Warum fällt das Kindern eigentlich so schwer?
Gerade die Lernprozesse, die erst indirekt, also mit Verzögerung zu einem Lernerfolg führen, sind für Kinder eine Herausforderung. Nehmen wir Breakdance oder Hip-Hop, Jugendliche wollen so etwas können, wenn sie es sehen. Aber es braucht lange Übung. Es braucht die Überzeugung und das Vertrauen, dass der Aufwand und die vielen langweiligen Trainingsstunden zu Beginn des Lernprozesses dann letztendlich doch zu einem sichtbaren Ziel führen. Dieses Lernprinzip muss in Kindern aber erstmal angelegt werden. Sie müssen in gewissem Maße Frustration aushalten. Dazu braucht es auch viel Zuspruch und Unterstützung von Erwachsenen.
Was können Eltern tun, um ihr Kind in solchen Situationen bestmöglich zu unterstützen?
Eine zugewandte und zuversichtliche Begleitung anbieten. Den Glauben an den Erfolg vermitteln und den Wert des Kindes hochhalten, sei es bei Erfolg oder Misserfolg. Gerade wenn Kinder ihren Selbstwert sehr daran messen, ob sie gewinnen oder ob etwas sofort klappt. Eltern können sagen: „Diesmal ist etwas misslungen. Mehr aber auch nicht.“ Emotionale Unterstützung kann den Frust lindern, die Bindungserfahrung an den Erwachsenen kompensiert hier sozusagen die Unlusterfahrung.
Manche Eltern sind ja selbst aufgebracht, wenn ihr Kind beim Fußball verliert...
Wichtig ist es, dem Kind seine Selbstbestimmung aufzuzeigen und keinen Druck auszuüben, etwas immer wieder zu versuchen zu müssen. Eltern sollten sich selbst als gelassenen Moderator sehen in solchen Situationen, nicht als Trainer. Oft lassen sie sich ja von dem kindlichen Frust sogar anstecken und geraten dann sogar noch in Streit mit dem Kind.
Mir selbst geht es manchmal so, wenn ich mit meiner Tochter Klavier übe. Für Eltern ist es nicht immer einfach, zugewandt und gelassen zu bleiben, weil sie sich ja selbst sehr wünschen, dass ihrem Kind etwas gelingt. Heraus kommt im schlechtesten Fall eine Negativspirale.
Haben Kinder heute zu viele Sportkurse in ihrer Freizeit?
Das muss individuell betrachtet werden. Ist es ein Schulkind? Geht es in den offenen Ganztag und kommt erst um 16 Uhr nach Hause? Wie viel selbstbestimmte Zeit bleibt dem Kind, wie viel Selbstbestimmung wünscht es sich? Wenn Kinder gestresst sind, liegt es oft nicht per se daran, dass sie zu viele Termine haben, sondern dass sie zu wenig selbst bestimmen können, was sie machen. Gerade Eltern von Kleinkindern sind heute sehr daran interessiert, ihr Kind bei vielen Kursen anzumelden, beim Babyschwimmen, beim Pekip und so weiter.
Woher kommt dieser starke elterliche Hang zur sportlichen Frühförderung?
Eltern fragen sich naturgemäß: Was ist die beste Förderung für mein Kind und verbinden das mit aufzählbaren Angeboten. Hier hat sich aus meiner Sicht ein fragwürdiges gesellschaftliches Denken entwickelt. Denn die kindliche Entwicklung ist sehr komplex, es spielen viele Aspekte eine Rolle. Ein Beispiel: Ich hole mein Kind aus der Kita ab, 90 Minuten Zeit bis zum Schwimmkurs.
Das Kind trödelt, will über herumliegende Äste balancieren, Haselnüsse sammeln. Wer wagt denn jetzt zu behaupten, dass in dieser Situation keine Förderung stattfindet? Was also nun? Sich den Impulsen des Kindes widmen, mitmachen, vielleicht auch dem Kind hinterher balancieren? Oder doch die Sporen geben und ab zum Kurs? Vielleicht ist eine exklusive Stunde mit dem Elternteil alleine viel förderlicher als im Wasser zu sein.
Wir haben heutzutage ein fantastisches Kursangebot und die Inhalte dort haben eine Berechtigung. Aber ich habe den Verdacht, dass sich Eltern bei der Entscheidung, was Förderung für das Kind bedeutet, auch ein wenig vom Konsumgedanken leiten lassen.
Wollen Eltern oft zu viel und übertreiben?
Es ist eine Mischung. Eltern suchen zum einen professionell konzipierte Kurse, die ohne Frage einen guten und positiven Einfluss auf das Kind haben. Aber Eltern sind durch ein hohes Maß an berufsbedingter Auslastung auch froh um Angebote, bei denen sie Entlastung erfahren und dennoch das Gefühl haben, etwas Gutes für ihr Kind zu tun.
So ist das auch in der großen Mehrheit der Fälle. Aber auf keinen Fall immer! Aus kinder- und jugendpsychiatrischer Sicht stellen wir in Einzelfällen fest, dass auch der Sport Gefahren birgt: Ausgrenzung, Abwertung, chronischer Misserfolg. In extremen Fällen führt das ehrgeizige Verfolgen des Leistungsprinzips sogar zu kritischen körperlichen Zuständen. Die Magersucht ist hier insbesondere zu nennen.
Worauf kommt es denn wirklich an, damit ein Sportangebot gut ist oder nicht?
Ich bin nicht der Meinung, dass die eine oder andere Sportart aufgrund der motorischen Anforderung vorzuziehen ist. Die Impulse, Neigungen und Wünsche des Kindes sind entscheidend. Darüber hinaus die Beziehung. Wenn man Jugendliche über ihren Sport in der Kindheit befragt, sagen sie oft: Es hat mir gefallen, weil ich den Trainer mochte. Kinder wünschen sich, zumindest bis zu einem bestimmten Alter, dass ihre Eltern mitkriegen, was sie machen, sie wollen gesehen werden. Ein Angebot wird dann gut, wenn Eltern und Kind darüber ihre Beziehung intensivieren können.
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Eltern wollen nur das Beste für ihr Kind.
Das sehe ich genauso! Aber in unserer Gesellschaft denken Eltern, wenn sie an Förderung denken, meist an eine Einflussnahme von Außen, an etwas Aktives und wollen dem Kind Reize bieten. Wie bewerten wir aber den reizlosen Zustand: Langeweile, Ruhe, gemeinsame Momente der Ruhe?
Momente der Langeweile sind essenziell, um zu lernen, wie wir unsere Zeit sinnvoll füllen können. Da entsteht Kreativität. Reizlosigkeit hat einen günstigen Einfluss auf unsere Psychohygiene, das Gehirn sortiert sich. Der Körper kann entspannen.
Was kann ich tun, wenn mein Kind absolut keinen Sport mag?
Auch heute noch gibt es viele Menschen, die den Satz „ich bin unsportlich“ aus den Schulsporterfahrungen heraus verinnerlicht haben. Und diesen Zustand finde ich sehr schade. Womit ich aber nicht sagen will, dass es an den Schulen liegt. Viele Kinder haben schlechte Erfahrungen mit Schulsport gemacht, weil sie gehänselt oder von der Gruppe degradiert wurden. Der eigene Richterspruch „ich bin unsportlich“ verschließt in der Konsequenz aber eine Lebenswelt. Und das ist bedauerlich, weil diese Lebenswelt großartig sein kann.
Welche drei Tipps haben Sie für Eltern?
Begleite dein Kind, setz dich im übertragenen Sinne zu ihm ins Boot, bis es selbst schwimmen kann. Sei kritisch, was passiert und schau genau hin. Wie läuft die Fußball- oder Ballettstunde wirklich ab, was genau passiert in den Vereinen? Findet alles so statt, wie ich es mir vorstelle? Übertrage deine Leistungsgedanken nicht aufs Kind.