Fünf ThesenAlleinerziehende, stellt euch nicht so an!
Sie fühlen sich allein gelassen und isoliert in unserem Land: Alleinerziehende. 1,6 Millionen von ihnen gibt es allein in Deutschland. Mit ihrem Buch „Allein, alleiner, alleinerziehend“ legt Christine Finke ein Plädoyer für die Unterstützung und Sichtbarmachung Alleinerziehender vor. Und räumt dabei mit Klischees und Vorurteilen auf, die diesen Menschen in ihrem Alltag immer wieder begegnen.
Wir haben die fünf gängigsten Klischees herausgesucht – und widerlegt.
Wer alleinerziehend ist, ist selbst schuld!
Wer Kinder in die Welt setzt und es nicht schafft, seine Partnerschaft aufrecht zu erhalten, dem fehlt es an Menschenkenntnis, der hat den falschen Mann geheiratet, sich in der Ehe nicht genug Mühe gegeben oder sich kampflos durch eine Jüngere ersetzen lassen.
Christine Finke ist „eine von denen, die sich erdreistet haben, den Mann zu verlassen“. So steht es in ihrem Buch. Ist sie also selbst schuld? Von wegen! Kaum jemand sucht sich aus, alleinerziehend zu sein. Alleinerziehend zu sein, bedeutet ein hohes Arbeitspensum, ein stark erhöhtes Altersarmuts-Risiko und gesellschaftliche Ausgrenzung, schreibt Finke. Ihre Ehe war am Ende, das spürte sie. Sie wollte mit diesem Mann nicht weiterleben. „Es war nicht auszuhalten“, schreibt sie. Sie hat gekämpft, lange, viel zu lange, aber sie erkannte den Mann, den sie geheiratet hatte, einfach nicht wieder. Er war unberechenbar und voller klarer Vorstellungen darüber, was eine gute Ehefrau ausmachte. Sie wollte nie alleinerziehend werden. Aber es gab für sie aus dieser Situation keinen anderen Weg.
Alleinerziehende haben viel mehr Zeit für sich, als Frauen, deren Männer dauernd arbeiten!
Freitag, Samstag und Sonntag ohne Kinder, ausgiebig ausschlafen, ausgedehnt frühstücken, rumliegen, lesen… Das gängigste Modell der Kinderbetreuung nach einer Trennung ist noch immer das: Die Mutter betreut die Kinder in der Woche und der Vater alle zwei Wochenende am Wochenende. Da können sich die Mütter doch dann mal richtig entspannen! Andere Mütter können das nie! Die müssen am Wochenende dann auch noch die Wäsche des Mannes mitbügeln. Also: Was haben sich Alleinerziehende eigentlich so?
Die Realität sieht anders aus. Christine Finke schreibt: „Diejenigen Alleinerziehenden, die in den Genuss von kinderfreien Wochenenden kommen […], können diese überhaupt nicht genießen, weil sie schmerzlich mit dem Fehlen der Kinder konfrontiert werden. […] Außerdem erinnern die kinderfreien Wochenenden ans Scheitern der Beziehung und lassen einem viel Zeit zum Nachdenken.“
Viele Alleinerziehende nutzen „freie“ Wochenenden aber vor allem auch dazu, mal zu putzen, zu waschen, die Steuer zu erledigen – oder zu arbeiten, weil unter der Woche nicht genug Zeit war. Alleinerziehende geben in ihrem Alltag 200 Prozent. Viele müssen mehr Stunden berufstätig sein, als andere Mütter, um sich das Leben leisten zu können, sie sind immerzu in Rufbereitschaft und Tag und Nacht verantwortlich. Da macht sich der Haushalt – leider – nicht zwischendurch und von selbst. Hinzu kommt die fehlende emotionale Unterstützung: Mal eine schnelle WhatsApp mit dem Partner, der die Kinder auch liebt? Für Alleinerziehende nicht möglich.
Alleinerziehende können doch auch einfach um Hilfe bitten!
Alleinerziehende beschweren sich oft, dass ihnen niemand hilft. Aber jetzt mal ehrlich: Es gibt doch wohl niemanden, der keine Familie, keine Freunde, keine netten Nachbarn hat, die mal einspringen können, um zu helfen!
Bei Christine war es so: die Kinder klammerten in den Jahren nach der Trennung so sehr, dass sie nicht einmal allein in den Keller gehen konnte. Also fragt sie in ihrem Buch, wem sie ihr Kind für mehrere Stunden anvertrauen könnte, wenn es sie schon nicht allein den Müll rausbringen lässt. Einfach, weil sie nicht will, dass es den Kindern schlecht geht. Ihre zwei jüngeren Kinder übernachten bis heute nicht gern bei Freunden. Sprich: Selbst wenn andere Leute bereit wären, ihre Kinder zu nehmen – sie wollen das nicht.
Mehr Unterstützung? Bessere Organisation?
Alleinerziehende bekommen Unterstützungsangebote doch hinterher geworfen!
Während viele Mütter kämpfen müssen, um ihre Krankenkasse von der Bewilligung einer Mutter-Kind-Kur zu überzeugen, werden Alleinerziehende in diesem Fall doch sogar bevorzugt behandelt. Da braucht sich also keiner zu beschweren.
Christine Finke bekam tatsächlich eine Kur genehmigt für sich und die drei Kinder. Was sie dort erwartete, war aber das Gegenteil von dem, was sie sich erhofft hatte. Sie war nämlich bereits so angeschlagen, dass die Kur zur zusätzlichen Belastungsprobe wurde und beinahe im Burn-out endete. Der Sohn hatte sich vorher noch das Bein angebrochen und reiste auf Krücken, die Kleine ging nur widerwillig in die Betreuung und die Kurmaßnahmen für die Mutter ließen sich an einer Hand abzählen. Hinzu kam eine Bindehautentzündung, durch die sie mehrere Tage in Quarantäne im Zimmer verbringen mussten – allein, abgeschottet und unglücklich. Christine reiste also eher gestresster ab als an.
Wer Finkes Buch liest, versteht: Kaum ein Unterstützungsangebot kann die Last der Verantwortung, die fehlende Zeit und die finanzielle Unsicherheit einer Alleinerziehenden aufwiegen. Die Autorin sagt: Man könnte sich viele Mutter-Kind-Kuren sparen, wenn Alleinerziehende im Alltag besser entlastet würden.
Alleinerziehende müssten sich einfach nur besser organisieren!
Ist nicht alles im Leben eine Sache der Organisation? Wer wirklich will, der kann auch. Mit einer guten Organisation können auch Alleinerziehende ein gutes Leben führen, ohne gleich in die Überforderung zu rutschen. Es braucht einfach feste Rituale und Zeiten, klare Regeln: schon steht das Konstrukt Familie auch für Alleinerziehende auf sicherem Grund.
Als Finkes große Tochter für eine Mandel-OP in die Klinik muss, bekommt ihre kleinere Tochter eine Magen-Darm-Grippe. So viel zum festen Konstrukt, zu klaren Regeln und Ritualen. Wer Kinder hat, wird immer wieder überrascht. Natürlich ist es dann gut, einen Rettungsring in Form einer Freundin oder Oma vorab organisiert zu haben – aber ganz ehrlich: Wer weckt die Nachbarn oder Freunde, wenn das erste Kind um 1 Uhr und das nächste um 3 Uhr morgens anfängt, zu spucken? Eben. Und die Wäsche mit dem Erbrochenen möchte man ihnen auch nicht zumuten. Und das sind ja nur die Extremsituationen.
Auch Alltägliches lässt sich für Alleinerziehende nicht mühelos bewältigen. Elternabende etwa, für Finke immer wieder ein nicht zu überwindender Spagat: Wer geht da hin, wenn zu Hause keiner die drei Kinder betreuen kann? Ein Babysitter ist zu teuer, denn viele Alleinerziehende leben nah am Existenzminimum. Organisation ist also ganz bestimmt nicht immer alles.
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