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Angst vor der Schule„Angststörungen nehmen bei Kindern zu“

Lesezeit 5 Minuten

KölnHerr Wewetzer, inzwischen leiden schätzungsweise fünf Prozent der Kinder und Jugendlichen unter Schulangst. Wie besorgniserregend ist diese Entwicklung?

Prof. Christoph Wewetzer: Wir stellen insgesamt fest, dass Angststörungen bei Kindern und Jugendlichen tendenziell zunehmen. Bei der Schulangst oder bisweilen sogar Schulverweigerung spielen zum Teil Trennungsängste eine Rolle, oft aber leiden die betroffenen Kinder und Jugendlichen auch unter sozialen Phobien. Zentrales Merkmal einer solchen sozialen Phobie ist die Angst vor unvertrauten oder fremden Personen, in dem Fall die Lehrer oder Mitschüler. Zum anderen haben die Kinder Angst vor Situationen, in denen eine Hervorhebung oder Bewertung möglich ist –was ja im Unterricht öfter der Fall ist.

Es ist also gar nicht die Angst vor schlechten Noten, die Kinder und Jugendliche quält?

Wewetzer: Das kann man so nicht sagen. Ein wesentlicher Faktor ist schon der Leistungsdruck, und der hat nicht zuletzt durch die Verkürzung der Gymnasialzeit zugenommen. Ich habe den Eindruck, dass Kinder heute die gleichen Leistungsanforderungen in kürzerer Zeit erfüllen müssen. Dadurch bleibt immer weniger Zeit für Freundschaften oder Aktivitäten in Vereinen – eben die Dinge, die bei all dem Druck den nötigen Ausgleich bieten könnten. Selbst bei uns hier in der Klinik erleben wir es inzwischen immer öfter, dass Kinder und Jugendliche nachmittags keine Zeit für Therapien haben.

Welche Rolle spielen soziale Medien wie Facebook ?

Wewetzer: Dadurch hat das Mobbing unter Schülern deutlich zugenommen. Heute braucht man doch nur ein paar Tasten auf dem Smartphone zu drücken und kann im Nu einen Mitschüler blamieren. Solche Erfahrungen können zu einer Schulangst führen, vor allem bei den Kindern, die eher schüchtern und stiller und dadurch vielleicht auch nicht sozial eingebunden sind.

Soziale Ängste bei Jugendlichen – Wann wird Schüchternheit zur Krankheit?

Mittwoch, 6. Mai, 19.00 Uhr

studio dumont, Breite Str. 70, Köln

Nachdem es im April um die Ängste von Kindern ging, stehen nun die Ängste Jugendlicher im Fokus. Bei ihnen ist die soziale Angst am weitesten verbreitet. Wie entsteht sie? Wie kann man sie behandeln? Mit Wolfgang Oelsner, Pädagoge und Psychotherapeut für Kinder und Jugendliche, und Prof. Dr. Christoph Wewetzer von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters Holweide. Freier Eintritt!

Gehört die Welt heute den Lauten?

Wewetzer: Ich denke schon, dass es auch in der Schule ein Stück weit so ist. Mündliche Mitarbeit und mündlich präsentieren zu können hat heute einen viel größeren Stellenwert. Das erhöht noch einmal mehr den Druck auf die Kinder, die eher schüchtern sind.

Aber schüchtern sein allein ist doch keine Krankheit. Wo würden Sie die Grenze sehen?

Wewetzer: Es gibt natürlich Kinder, die haben eher eine Veranlagung dazu als andere. Bis zu einem gewissen Grad ist Schüchternheit oder Zurückhaltung ein ganz normales Phänomen, vor allem in der frühen Kindheit. Die Frage ist dann allerdings: Welche Auswirkungen hat diese Schüchternheit? Führt sie dazu, dass mein Kind ein ängstlich vermeidendes Verhalten zeigt? Ein solches Verhalten kann zu Beeinträchtigungen in der sozial-emotionalen Entwicklung führen. Mangelnde soziale Fähigkeiten zeigen sich dann etwa darin, dass Blickkontakte vermieden werden und Kinder auch keine Sozialkontakte pflegen und stattdessen z.B. ausgefallene Hobbys entwickeln, denen sie alleine nachkommen können. In solchen Fällen ist die Grenze einer gesunden Schüchternheit überschritten. Wir sprechen von einer sozialen Phobie.

Wie äußert sich denn eine solche soziale Phobie im Kontext Schule?

Wewetzer: Betroffene Kinder und Jugendliche meiden Leistungs- und soziale Situationen nach Möglichkeit. Da sie Angst haben, etwas Peinliches oder Beschämendes zu sagen, melden sie sich erst gar nicht und verabreden sich deshalb auch nicht gerne mit Mitschülern. Ganz schrecklich sind für sie Referate oder mündliche Prüfungen. Solche Situationen lösen bei ihnen Panikattacken mit Herzrasen, Schwindel und Erröten aus – was nicht selten zum Rückzug aus allen sozialen Bezügen wie Schule, Vereine und Freundschaften führt. Das ist ein Teufelskreis.

Prof. Christoph Wewetzer ist Chefarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters in Holweide.

Der wozu führt?

Wewetzer: In schweren Fällen kommt es zu einer kompletten Schulverweigerung. Diese Jugendlichen können überhaupt nicht mehr in die Schule gehen, sie ziehen sich komplett zurück, gehen bisweilen gar nicht mehr vor die Tür, aus Angst, dass sie jemanden treffen könnten, dem sie ihre Situation erklären müssten. Diese Fälle haben vor allem in der Altersgruppe der 12- bis 16-Jährigen leider deutlich zugenommen. Wir haben in unserer Klinik Jugendliche, die seit zwei Jahren nicht mehr in die Schule gehen.

Wie verhindert man als Eltern, dass es soweit kommt?

Wewetzer: Unsere Erfahrung ist, dass vor allem Kinder von Eltern, die sie sehr behüten, eher schüchtern und ängstlich sind. Wichtig wäre es also, gerade zurückhaltende Kinder nicht in Watte zu packen. Besser wäre es, sie zu unterstützen und anzuregen, aus dem Haus zu gehen. Man kann dafür sorgen, dass ein Kind in einen Verein geht oder andere Kinder eingeladen werden.

Wann sollte man sich Hilfe holen ?

Wewetzer: Wenn man merkt, dass das Kind leidet, wenn es weint oder in der Schule fehlt, weil es körperliche Beschwerden wie Bauchschmerzen hat, für die sich keine körperliche Ursache finden lässt. Oft dauert es viel zu lange, bis Eltern Hilfe bei Kinder- und Jugendpsychiatern oder Psychotherapeuten holen. Jeden Tag, den ein Kind nicht in die Schule geht, baut sich die Angst immer weiter auf.