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Geburtenrekord in NRWIst Corona der Grund für den Babyboom 2021?

Lesezeit 6 Minuten
Ein Baby lacht.

In NRW gab es 2021 so viele Babys wie seit 20 Jahren nicht mehr.

Köln – Endlich einmal gute Nachrichten. Im Jahr 2021 gab es in Nordrhein-Westfalen so viele Babys wie seit über 20 Jahren nicht mehr. Laut einer Schätzung des Statistischen Landesamts IT.NRW kamen 2021 insgesamt 174.000 Kinder auf die Welt – zuletzt hatte es im Jahr 2000 eine höhere Geburtenzahl gegeben. Während also die Pandemie im zweiten Jahr unermüdlich tobte, wurden in den Familien besonders viele Kinder geboren.

Auf den ersten Blick kann einen das schon wundern. Würde man doch vermuten, die Angst vor dem Virus und die belastenden Umstände führten eher dazu, dass Menschen ihre Familienplanung zögerlicher angehen. Die rekordverdächtige Geburtenzahl lässt eine andere Annahme zu: Hat Corona den Babyboom gar mit angestoßen? Spielte die Pandemie eine Rolle bei der Familienplanung vieler Menschen?

„Ein Kind zu bekommen, ist eine emotionale Entscheidung“

„Kinder kommen immer zur Welt“, sagt Psychologin und Familientherapeutin Marina Gardini, „wenn aber mehr Kinder geboren werden, dann hat das wahrscheinlich schon auch etwas mit den äußeren Bedingungen zu tun.“ Es sei eher selten, dass Entscheidungen, auch die für ein Kind, völlig unabhängig von allem anderen getroffen werden würden. „Ich kann mir vorstellen, dass Paare, die sowieso vorhatten, ein Kind zu bekommen, das jetzt gezielter planen oder sich bewusster dafür entscheiden.“ Gerade die Homeoffice-Erfahrung bestärke viele Paare in der Annahme, den Alltag auch mit Kind gemeinsam besser wuppen zu können. Bei vielen habe sich so unter der Hand die Gleichberechtigung verbessert.

Porträtfoto von Marina Gardini

Marina Gardini ist Psychologin und Familientherapeutin.

Es gehe aber nicht nur um praktische Rahmenbedingungen. „Ein Kind zu bekommen ist ja in erster Linie eine emotionale Entscheidung“, sagt Gardini. „Menschen haben in solchen schwierigen Zeiten das Bedürfnis, auf Hoffnung und Zukunft zu setzen – und nichts repräsentiert das so sehr wie die Planung eines gemeinsamen Kindes.“ Dadurch gäben die Eltern sich selbst die Möglichkeit, Vorfreude zu empfinden, konstruktiv zu sein, etwas gestalten zu können und in der Vorbereitung auf das Kind die positiven Gefühle wieder auftauchen zu lassen. „Das Prinzip Hoffnung ist in solchen bedrohlichen, existenziellen Krisen eine Art innerer Gegenentwurf. Das kleine System Familie gibt sich innerhalb des großen Systems Gesellschaft eine eigene Zukunft.“ Das sei eine mögliche Erklärung für die Geburtenzunahme im letzten Jahr.

Viele Eltern machten Babypläne unabhängig von der Pandemie

Auf der anderen Seite gebe es natürlich auch Paare, die sich komplett unbeeindruckt von der äußeren Krise sowieso für ein Kind entscheiden würden. „Obwohl man durch die Pandemie in vielen Dingen fremdbestimmt ist, findet die Familienplanung in der Regel immer noch selbstbestimmt statt. Kinder zu planen bleibt eine private, freiheitliche Angelegenheit.“

Dass die Pandemie gar keinen so großen Einfluss auf die Kinderplanung hat, dieser Eindruck entsteht auch, wenn man sich unter frisch gebackenen Eltern umhört. „Ich habe mit vielen Menschen gesprochen, die im letzten Sommer und Herbst Eltern geworden sind“, sagt die freiberufliche Hebamme Saskia Huda aus Köln, „aber alle sagten mir, dass die Pandemie bei ihrer Babyplanung keine Rolle gespielt hat.“ Auch sie und ihr Mann erwarteten im Mai ihr zweites Kind und hätten sich durch die Pandemie bei der Familienplanung nicht beeinflussen lassen. „Für uns war entscheidend, wann wir als Eltern bereit für ein weiteres Kind sind und wann es ein guter Zeitpunkt für unseren jüngeren Sohn ist, ein Geschwisterchen zu bekommen. Wir hätten das wegen Corona aber niemals verschoben oder vorgezogen.“

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Diese Erfahrungsberichte decken sich mit denen vieler weiterer Eltern, die im letzten Jahr ein Kind bekommen haben. Corona oder nicht, alle Befragten sagten, sie hätten so oder so ihren Kinderwunsch wahr gemacht. „Ich bin davon überzeugt, dass Corona die Entscheidung pro oder contra Kind nicht maßgeblich beeinflusst“, sagt auch Hebamme Heidi Bernard von der Elternschule „Neue Kölner“. „Ich denke, dass die Elterngeneration, so wie wir alle, die Hoffnung hat, dass es ein vorübergehende Krise ist.“

„Ohne Corona wären wir gar kein Paar geworden“

Jennifer Mohr mit Babybauch

Jennifer Mohr bekommt in wenigen Wochen Zwillinge.

Auch Jennifer Mohr wird in der Pandemie Mutter werden, in wenigen Wochen kommen ihre Zwillinge auf die Welt. „Bei uns wurde die Kinderplanung zumindest indirekt durch Corona beschleunigt“, erzählt die 25-Jährige, „denn mein Partner und ich wären gar kein Paar geworden, wenn es die Pandemie nicht gegeben hätte.“ Sie hätten sich noch vor Corona im Urlaub kennengelernt, als sie in Spanien und er in Schottland lebten, aber sich erst gegen eine Fernbeziehung entschieden. „Als im März 2020 der erste Lockdown kam, war ich zufällig bei ihm in Schottland zu Besuch und ich bin dann direkt dreieinhalb Monate geblieben – danach waren wir doch ein Paar.“ Seit letzten Sommer leben sie zusammen in Köln-Nippes. „Langfristig gesehen ist es also auch Corona zu verdanken, dass wir uns jetzt auf die Babys freuen können. Einen direkten Einfluss auf die Schwangerschaft hatte das aber nicht.“

Natürlicher Geburtenanstieg mit kleinem Corona-Effekt?

Die Stichprobenbefragungen im Umfeld geben es also nicht her, Corona als starken Faktor für den Babyboom auszumachen. Warum aber gab es den dann nun? Auch dieser Frage kann man sich nur annähern. „Ich kann mir vorstellen, dass der Babyboom auch ohne Corona gekommen wäre“, sagt Hebamme Saskia Huda. Die Geburtenzahlen seien ja tendenziell gestiegen. Das belegt auch die Statistik: Im Jahr 2016 hat es in NRW einen sprunghaften Anstieg der Geburtenzahlen gegeben, seither sind die Zahlen konstant auf höherem Niveau geblieben. „In den letzten zehn Jahren habe ich beobachtet, dass der Generation zwischen 25 und 35 familiäre Werte immer wichtiger werden“, sagt Huda. „Vielleicht handelt es sich um einen natürlichen Anstieg der Geburtenzahlen, bei dem Corona einfach nur noch das Sahnehäubchen draufgesetzt hat, zum Beispiel weil Paare sich in der Familienzeit Elternaufgaben besser aufteilen können und sich dann vielleicht auch ein zweites oder drittes Kind zutrauen.“

Jennifer Mohr sieht das ganz ähnlich: „Ich glaube, dass Corona unterbewusst dazu geführt hat, dass sich Paare entschieden haben, zu diesem Zeitpunkt ein Kind zu bekommen“, sagt sie, „weil sich ihre Prioritäten verschoben haben und sie vielleicht gemerkt haben, dass Dinge wie Ausgehen und Reisen, die sie vorher von der Familienplanung abgehalten hatten, doch nicht so wichtig sind.“

Babys als „hoffnungsvolles Signal für die Zukunft“

Wie toll es ist, dass es diese vielen Babys gab und gibt, da sind sich alle Befragten einig. „Ich finde es schön, dass Corona bei vielen keinen Einfluss darauf hat und das Kinderkriegen weiter eine Gefühlsentscheidung bleiben kann“, sagt Saskia Huda. „Ein Baby zu bekommen ist eine Entscheidung für das Leben“, sagt Hebamme Heidi Bernard, „und für mich ein sehr hoffnungsvolles Signal für die Zukunft, in die wir doch alle zuversichtlich blicken wollen.“ Das Leben mit Kindern bringe auch in der Pandemie viel Spaß und Freude, sagt Marina Gardini. „Ein neues Baby bleibt eben ein Wunder. Wenn es dann so schön lächelt, ist die Corona-Angst bei Eltern schnell ausgeblendet.“