Weltweit schließen sich unter der Bezeichnung „Birthstrike“ Frauen zusammen, die aus Klimaschutzgründen keine Kinder bekommen wollen. Doch hilft der Gebärstreik der Umwelt wirklich?
Keine Kinder wegen KlimawandelWas steckt hinter der Birthstrike-Bewegung?
„Ein neues Kind: Oh, wie viel neuer Schmutz kam auch zur Welt! Voll ist die Erde von Überflüssigen, verdorben ist das Leben durch die Viel-zu-Vielen.“ „Stell dir vor, jegliche Fortpflanzung würde eingestellt, dies würde nur bedeuten, dass es keinerlei Zerstörung mehr gäbe.“ Diese Sätze stammen von Friedrich Nietzsche (ersterer) und Mahatma Gandhi. Die Autorin Verena Brunschweiger hat sie als Einleitung für ihr Manifest „Kinderfrei statt kinderlos“ gewählt. Zur Erinnerung: Verena Brunschweiger ist die Gymnasiallehrerin aus Regensburg, die 2019 mit genau diesem Buch für große mediale Unruhe sorgte. Ihre These darin: „Kinder sind das Schlimmste, was man der Umwelt antun kann. Wenn der ausgebeutete Planet noch länger bewohnbar und lebenswert bleiben soll, sollte es keine weiteren Kinder mehr geben.“
Drei Jahre später gibt es weltweit viele Frauen, die der gleichen Meinung sind. Die Klimakrise hat sich verschärft, hinzugekommen sind Bedrohungen wie Corona und der Ukraine-Krieg. Aus all diesen Gründen schrecken Frauen davor zurück, ein Kind zu bekommen und haben sich weltweit unter der Bezeichnung Birthstrike (Gebärstreik) zusammengeschlossen. „Gerade unter jungen Menschen hat der Stress angesichts unzureichender politischer Maßnahmen besorgniserregende Ausmaße. Da sich die Auswirkungen der sozial-ökologischen Krisen zunehmend bemerkbar machen, ist es naheliegend, dass sich dies auf die Lebensplanung von Menschen auswirken kann“, sagt die Kommunikationspsychologin Anita Habel, die sich bei „Psychologists for Future“ engagiert.
„Jedes weitere Kind zerstört den Planeten.“
Aktuell leben acht Milliarden Menschen auf der Erde, die Weltbevölkerung wächst stetig weiter, derzeit kommen noch alle elf Jahre etwa eine Milliarde hinzu. Im Jahr 2100 soll sich die Weltbevölkerung nach Annahmen der Vereinten Nationen bei 10,4 Milliarden Menschen einpendeln.
Für Verena Brunschweiger heißt das ganz klar: Jedes weitere Kind zerstört den Planeten. Als sie diesen Satz vor drei Jahren sagte, wurde sie als Hexe beschimpft und erhielt sogar Morddrohungen. Wie konnte eine Frau, noch dazu eine Lehrerin, es wagen, sich so deutlich gegen Kinder auszusprechen? Seit Brunschweiger ihr Manifest gegen das Kinderkriegen veröffentlicht hat, ist viel passiert: Dürren und Überschwemmungen, Corona und Krieg. Junge Frauen und Paare überlegen es sich heute genau, ob sie es verantworten können, ein Kind in die Welt zu setzen. „Man kann davon ausgehen, dass immer mehr Millennials der Umwelt zuliebe das Kinderkriegen hinterfragen“, schreibt Nadine Pungs in ihrem Buch „Nichtmuttersein“. Auf der Plattform „We are childfree“ erzählen junge Frauen, warum sie sich gegen Kinder entschieden haben. Außer persönlichen Gründen spielt dabei oft auch der Umweltschutz eine Rolle. Weltweit schließen sich Frauen in Gruppen wie „No Future, No Children“ oder „Conceivable Future“ zusammen. In Großbritannien gilt die Sängerin Blythe Pepino als Vorreiterin der Bewegung. In einem BBC-Interview sagte sie: „Die Welt kollabiert und das passiert gerade jetzt. Ich bin so enttäuscht und mache mir solche Sorgen, dass ich beschlossen habe, keine Kinder in die Welt zu setzen, obwohl ich gerne Mutter wäre.“ Prominente wie zum Beispiel die Sängerin Miley Cyrus unterstützen die Bewegung.
Birthstrike: Mit jedem neuen Menschen wird mehr CO2 produziert
Mitglieder der Birthstrike-Bewegung befürchten, dass sie durch Kinder den Klimawandel weiter vorantreiben, weil mit jedem neuen Menschen auf der Welt mehr CO2 und Müll produziert werde. Manche Frauen wären eigentlich gerne Mutter, haben aber selbst so viel Angst vor Umweltzerstörung und Krieg, dass sie keinem Kind zumuten möchten, in dieser Welt zu leben. Neu ist das nicht – schon zu Zeiten des Kalten Krieges und rund um die Atomkatastrophe von Tschernobyl wollten einige Frauen zumindest zeitweise auf Kinder verzichten, weil sie sich ohnmächtig vorkamen und Angst hatten. Die Frauen, die heute in den Gebärstreik treten, haben zumindest das Gefühl, mit dieser Entscheidung selbst etwas für den Schutz der Erde tun zu können. Die Psychologin Habel findet die Angst, Trauer und Wut, die die Frauen spüren, völlig berechtigt. Die Gefühle seien eine gesunde Reaktion auf eine akute Krisenlage und sollten nicht bekämpft werden.
Studien zeigen: Mehr als die Hälfte der Kinder und jungen Erwachsenen hat Angst vor der Klimakrise
Forscher des Yale-NUS College in Singapur, einer Hochschule für freie Künste, haben sich 2020 wissenschaftlich mit dem Phänomen befasst. Befragt wurden 607 Menschen aus den USA im Alter zwischen 27 und 45, die den Klimawandel als Faktor in ihre Familienplanung miteinbeziehen. 96,5 Prozent der Befragten gaben an, dass sie „sehr“ oder „extrem“ besorgt sind über das Wohlergehen ihrer existierenden oder zukünftigen Kinder. Jüngere waren der Studie zufolge besorgter als Ältere, die Antworten von Frauen und Männern fielen ungefähr gleich aus. Auch Eltern wurden befragt. Von ihnen gaben sechs Prozent an, dass sie es bereuen, Kinder gezeugt zu haben.
2021 gab es in Großbritannien eine wissenschaftliche Studie zur Klimaangst bei jungen Menschen, die ergab, dass mehr als die Hälfte der Kinder und jungen Erwachsenen Angst vor der Klimakrise hat. Demnach machen sich fast sechs von zehn jungen Menschen (59 Prozent) im Alter von 16 bis 25 Jahren große oder extreme Sorgen über den Klimawandel. 56 Prozent der Befragten glauben, dass die Menschheit dem Untergang geweiht sei. Der negative Blick in die Zukunft beeinflusst auch persönliche Entscheidungen: Vier von zehn Menschen zwischen 16 und 25 Jahren (39 Prozent) weltweit sind unschlüssig, ob sie aufgrund der Klimakrise Kinder bekommen sollen. In Brasilien war der Wert besonders hoch. Dort zögern fast die Hälfte (48 Prozent) der Befragten, Kinder zu bekommen. Die Auswertung beruht auf den Befragungen von 10000 Kindern und Jugendlichen aus zehn verschiedenen Ländern, darunter Brasilien, Frankreich, Großbritannien und die USA. Sieben akademische Einrichtungen waren an der Analyse beteiligt, darunter die University of Bath, die University of East Anglia und der Oxford Health NHS Foundation Trust.
Ein Kind weniger pro Frau spart angeblich 58,6 Tonnen Kohlendioxid im Jahr
Doch wie schädlich sind Kinder wirklich für das Klima? Die Forscher Seth Wynes von der Universität Lund, Schweden, und Kimberly Nicholas von der University of British Columbia in Vancouver wollten das 2017 herausfinden. Dazu haben sie die gängigsten Ratschläge aus Umweltratgebern untersucht: Fleisch- und Benzinverbrauch reduzieren, Recycling, Wäsche mit kaltem Wasser waschen und keinen Trockner benutzen. In 39 Einzelstudien wurden 148 Szenarien zum Einsparen von Emissionen in zehn Industrieländern untersucht. Das Ergebnis kurz gefasst: Am allerbesten für die Umwelt wäre es, wenn jede Frau ein Kind weniger bekommen würde.
Den Ergebnissen der Forscher zufolge spart eine US-amerikanische Familie, die auf ein Kind verzichtet, genauso viel Emissionen ein wie 684 Teenager, die für den Rest ihres Lebens strikt recyceln. Außerdem sinnvoll wären eine vegetarische Ernährung sowie der Verzicht auf Auto und Flugreisen. Ein Kind weniger, das entspricht in der Studie dem Einsparen von 58,6 Tonnen Kohlendioxid im Jahr (die Emissionen anderer Treibhausgase wie Methan wurden entsprechend umgerechnet und sind enthalten). Ohne Auto zu leben würde 2,4 Tonnen CO2 jährlich sparen, Recyceln weniger als 0,2 Tonnen jährlich. Um diese Zahlen besser einzuordnen: Ein US-Amerikaner ist laut der Untersuchung im Jahr für rund 16,4 Tonnen CO2-Ausstoß verantwortlich, bei einem EU-Bürger sind es 6,7 Tonnen pro Jahr. Wie kommen nun die hohen Zahlen zustande? Also dass ein Kind weniger 58,6 Tonnen CO2 einsparen würde, obwohl nur 16,4 verbraucht werden? Die Antwort: Für die Untersuchung wurde auch der CO2-Ausstoß aller kommenden Generationen mit eingerechnet, es werden also Kinder- und Kindeskinder über mehrere Generationen in der Zukunft berücksichtigt. Die Wissenschaftler bestimmen also nicht den CO2-Fußabdruck, den ein einzelner Mensch zu seinen Lebzeiten hinterlässt, sondern ihre Zahlen beinhalten auch die CO2-Emissionen künftiger Generationen, bis ins Jahr 2400. Genau diese Rechnung bemängeln Kritiker dieser Untersuchung. Dennoch werden die hohen Werte dieser Studie immer noch gerne als Argumente genutzt, wenn es darum geht, aus Klimaschutzgründen keine Kinder zu bekommen.
Soll man die Menschheit einfach aussterben lassen?
Was wäre, wenn die Idee mehr und mehr Anhängerinnen fände? Wenn sich jede Frau auf der Erde dazu entscheiden würde, aus Klimaschutzgründen und um nicht noch mehr Müll zu produzieren, keine Kinder zu bekommen – vorausgesetzt, sie hätte Zugang zu Verhütungsmitteln? Die Menschheit würde irgendwann aussterben. Eine düstere Aussicht, obwohl die Erde sicher wunderbar ohne Menschen zurecht käme.
Obwohl das Thema für jüngere Frauen aufgrund der Krisen und der drohenden Erderwärmung eine neue Dringlichkeit bekommen hat, gibt es auch innerhalb der Klimabewegung Menschen, die Kinder weiterhin als Hoffnung auf eine bessere Zukunft sehen. Ein Ansatz, den auch die 29-jährige Umweltschützerin Nike Mahlhaus verfolgt. Sie ist Sprecherin der Bewegung „Ende Gelände“, die sich unter anderem für einen sofortigen Stopp des Braunkohleabbaus einsetzt. Und sie ist eine der Klimaschützerinnen, die der Fotograf Jim Rakete in seinem Film „Now“ porträtiert. Natürlich macht sich auch Nike Mahlhaus Sorgen um die Zukunft und fragt sich, ob sie Kinder in eine Welt setzen möchte, die so bedrohlich wirkt. Sie findet für sich aber eine andere Antwort als die Birthstrike-Anhängerinnen: „Im Moment würde ich die Frage nach Kindern mit Ja beantworten, weil es mir Hoffnung gibt. Kinder zu bekommen bedeutet, dass wir nicht aufgeben und das Leben wertschätzen, dass wir wollen, dass die Menschheit weiter existiert. Ich möchte eine bessere Welt erschaffen und ich möchte Kinder haben, die in dieser besseren Welt aufwachsen können.“
Zum Weiterlesen:
Verena Brunschweiger: Kinderfrei statt kinderlos. Ein Manifest, Büchner-Verlag, 150 Seiten, 16 EuroNadine Pungs: Nichtmuttersein, Piper-Verlag, 237 Seiten, 18 Euro. Nadine Pungs erzählt von ihrer eigenen Entscheidung, keine Kinder zu bekommen und spricht mit Müttern und Nicht-Müttern.Linn Stromsborg: Nie, nie nie, Dumont-Verlag, 255 Seiten, 12 Euro. In diesem Roman erzählt eine Frau davon, wie es ist, nicht Mutter werden zu wollen.Blog und Podcast rund um kinderlose Frauen: www.wearechildfree.com