Advent, Advent, die Mutti rennt – und am Ende kommt ein gechillter alter Mann mit weißem Bart auf den letzten Drücker und reklamiert all den Erfolg für sich. Ein Plädoyer für mehr weibliche Gelassenheit vor Weihnachten.
Dekorieren und backen?Advent, Advent, die Mutti rennt – Lassen Sie das bloß bleiben!
Der Fesselballon war eine Tortur. Seine Außenhaut zierten unzählige fünfmarkstückgroße Schuppen aus rotem, grünem, blauem und gelbem Filz. Mit der Nagelschere hatten wir sie fein säuberlich ausgeschnitten, ehe mein Vater sie mit Stecknadeln sehr regelmäßig an die Styroporkugel pinnte. Noch heute sieht man, an welchen Stücken ich, die Jüngste und Ungeschickteste der Familie, die Klinge angesetzt hatte. Der Ballon diente dem Weihnachtsmann jahrzehntelang als Fahrzeug, um in der Adventszeit direkt über unserem Wohnzimmertisch gen Erde zu schweben. An seinem Korb transportierte er 24 bunte Säckchen, gefüllt mit Schokoladenkugeln, meine Schwester öffnete die geraden Zahlen, ich die Ungeraden. So ging das mehr als zehn Jahre lang, bis die ersten beiden Enkeltöchter die Tradition fortsetzten.
Die Adventsbastelei meiner Eltern war eine äußerst effektive Angelegenheit. Der Fesselballon blieb das einzige aufwändige Weihnachts-DIY-Werk unserer gesamten Kindheit. Ja, meine Mutter hat auch einige Jahre drei Plätzchensorten gebacken: Vanillekipferl, Husarenkrapferl und Spritzgebäck. Mit zunehmenden Jahren mit zunehmendem Widerwillen. Dem Backwettbewerben der Freundinnen, die ab Ende November mindestens ein Dutzend verschiedene Teigarten walkten und aufs Blech brachten, hat sie sich stur widersetzt. Stollen wurde gekauft. Andere Mütter, die dekorierten, beschuldigte sie gut gelaunt, sonst keine vernünftigen Aufgaben im Leben zu haben. Der Schmuck-Aufwand im Haus meiner Oma beschränkte sich zeit ihres Lebens darin, einen dreißig Zentimeter hohen künstlichen Elektro-Weihnachtsbaum neben dem Fernseher in die Steckdose zu stecken. Die Frauen in unserer Familie, sie neigten allesamt zu Pragmatismus und sind gerade deshalb heute ein gutes Vorbild.
Auch so ein Gingerbread-Cheesecake-Pinwheel ist mit einem Haps im Mund
Eine Zeitlang versuchte ich auszuscheren. Ich habe mich ehrgeizig bemüht, höchst aufwändige und hübsche Plätzchen zu backen: Gefüllte Weihnachtskringel, Schwarz-Weiß-Kekse mit Leopardenmuster, Gingerbread-Cheesecake-Pinwheels, Blutorangen-Punsch-Küsschen, Red-Velvet-Whoopies mit Frosting. Alle waren von der Familie schneller verschlungen als die Glasur Zeit zum Trocknen hatte. Ich habe Wichtel zu uns nach Hause geladen, ihnen ein Türchen über den Esstisch geklebt, durch das sie des nachts zu Besuch kommen konnten. Sie hinterließen immer einen Schabernack im Haus und liebevoll formulierte Nachrichten in einem winzigen Briefkasten.
Ich habe Adventskalender gebastelt, dafür alle Säckchen handgenäht und für ein Vermögen mit Kleinigkeiten gefüllt, die dann zu Hause in Krimskrams-Schubladen landeten. Ich habe Adventskränze mit Tannengrün besteckt und mit selbst gedörrten Orangenscheiben dekoriert. So wie die perfekten Muttis auf Instagram und Pinterest mir das vormachten. Ich habe Wichtelgeschenke für drei Kinder organisiert, ebenso Weihnachtskleinigkeiten für alle Lehrer und Erziehende. Ich habe versucht, Firmenweihnachtsfeiern, Adventsbowling von zwei Fußballvereinen, Wichtelelternstammtische sowie Nikolausläufe, Winter-Kleingartengrillen, Nachbarschaftsglühweinevents und weihnachtliche Grundschulwochenfeiern in unserem Familienkalender zu planen – um die normalen Termine von zwei berufstätigen Erwachsenen und drei Kindern drumherum versteht sich. Als ich mir irgendwann zwischendrin vornahm, für die ganze Familie rot-weiße Weihnachtssocken zu stricken und diese zum Fest über den nicht-vorhandenen Kamin zu hängen, streckte ich nach eineinhalb Strümpfen nahe am Nervenzusammenbruch die Waffen.
Dieses Jahr lasse ich es einfach bleiben. Denn am Ende ist der Advent doch nicht weniger als die Fortführung des patriarchalen Systems mit ein bisschen Glitzer auf der Mütze. Die Mutter rennt mindestens vier Wochen noch ein bisschen schneller als sonst, um extraordinäre Weihnachtsstimmung allüberall zu verbreiten. Und am Ende kommt auf den letzten Drücker und völlig unvorbereitet ein alter Mann mit weißem Bart auf so einem geilen Rennschlitten und reklamiert all den Erfolg für sich.
Ich denke also an meine pragmatische Mutter und Großmutter, übe mich in Gelassenheit, kaufe Lebkuchen im Supermarkt und spiele mit den Kindern im undekorierten Wohnzimmer. Instagram kann mich mal. Vielleicht singen wir was Stimmungsvolles. Oder machen einen Spaziergang im Wald. Da ist schon mit Tannengrün dekoriert. Besinnlicher als die stressigen Jahre zuvor wird es auf jeden Fall.