Schwanger unter Corona„Ich konnte meinen Mann erst drei Tage nach der Geburt umarmen“
Köln – Es war im Auto vor dem Krankenhaus, als Eva und Maximilian Wenner sich endlich in den Arm nehmen und alle Gefühle raus lassen konnten – das erste Mal seit der Geburt ihres Sohnes drei Tage zuvor. Völlig überraschend war der kleine Linus Anfang Dezember zwei Monate zu früh auf die Welt gekommen und musste direkt auf der Neugeborenen-Intensivstation behandelt werden. Eine unfassbar schwierige Situation für die neuen Eltern aus Köln-Junkersdorf. Erst recht aber in Corona-Zeiten, wo Kontaktbeschränkungen auch beim Kinderkriegen vieles noch komplizierter machen. „Da es mein erstes Kind ist, wollte ich auf keinen Fall ohne meinen Mann sein bei der Geburt, alleine sein mit den Wehen, alle Entscheidungen selbst treffen“, betont Eva Wenner. „Doch genauso ist es leider gekommen.“
Schon die ersten Schritte ins Krankenhaus musste Eva Wenner ohne ihren Mann gehen, der sie wegen der Hygiene-Maßnahmen nicht begleiten durfte. „Ich lief alleine in die Uniklinik rein und war total überfordert“, erinnert sie sich. Nach einer Untersuchung war klar, dass das Kind noch in den nächsten Stunden als Frühchen geboren werden würde. Da vor Ort alle Kapazitäten erschöpft waren, wurde die werdende Mutter in einen Krankenwagen gesetzt und ins Krankenhaus Holweide gefahren. Zur gleichen Zeit tigerte ihr Mann zuhause auf und ab. „Es war schrecklich für mich, dass er nicht bei mir sein konnte“, sagt Eva Wenner. „Weil das Baby so früh kam, wurde ich so hinein geworfen in die Situation. Es war wie in einem Film. Ich habe nicht realisiert, was passiert. Eine ganz schwierige Situation.“
„Er sah noch, wie unser Sohn auf die Intensivstation gebracht wurde“
Während Eva Wenner die nächsten Stunden im Krankenzimmer die Wehen weg atmete, blieb sie über das Handy mit ihrem Mann in Kontakt. „Die Stationshebamme schaute immer wieder nach mir und ich wurde überall sehr gut behandelt, doch hat auch das Personal vor Ort sehr viel zu tun und man ist deswegen immer wieder alleine.“ Schließlich musste sie selbst entscheiden, ob sie in ihrer Situation auf natürlichem Wege oder per Kaiserschnitt entbinden wollte. Sie folgte dem Rat der Ärzte und wurde direkt für die Kaiserschnitt-OP vorbereitet.
Ab diesem Punkt der Geburt durfte auch der werdende Vater als Begleitperson dazu geholt werden. Doch es musste alles so schnell gehen, dass Maximilian Wenner noch auf dem Weg war, als Linus das Licht der Welt erblickte. „Mein Mann kam erst in den OP, als ich gerade zugenäht wurde“, erzählt Eva Wenner. „Er sah noch, wie unser Sohn auf die Intensivstation gebracht wurde und war danach mit mir im Aufwachraum. Als ich auf Station kam, durfte er zu Linus.“
Anfangs durften Partner oft nicht mit in den Kreißsaal
Schwangerschaft und Geburt sind in Corona-Zeiten wahrlich eine extra Herausforderung für werdende Eltern. Zu den vielen Ungewissheiten und Sorgen, die selbstverständlich dazu gehören, wenn man ein Kind erwartet, kommen nun noch so viele mehr. Und kaum eine Frage beschäftigt Schwangere und ihre Partner oder Partnerinnen in dieser Zeit so sehr, wie die nach den Kontaktregeln rund um die Geburt.
„Am Anfang der Pandemie mussten die Kliniken aufgrund fehlender Erfahrungswerte viele Entscheidungen bezüglich des Geburtsablaufs im Krankenhaus selbst treffen“, sagt Viktoria Michno, die als Assistenzärztin in der Geburtshilfe in einem Krankenhaus nahe Köln arbeitet. „Das war für uns als Team organisatorisch eine neue Herausforderung und auch psychisch eine Belastung.“
Besonders die Entscheidung, ob Partner im Kreißsaal zugelassen werden, fiel in den Häusern zunächst unterschiedlich aus. „Ich kann mir vorstellen, wie belastend es für die Schwangeren in der anfänglichen Corona-Zeit war, wenn sie erfahren haben, dass die Begleitperson bei der Geburt nicht dabei sein darf“, sagt Viktoria Michno. Viele Paare hätten deshalb noch kurzfristig das Krankenhaus gewechselt. „Dem Chef unserer Klinik war es aber von Anfang an wichtig, dass der Partner bei der Geburt dabei ist.“
Mittlerweile gebe es aber Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) zum Vorgehen in der Pandemie „Die Kliniken passen sich an und das Vorgehen ist an vielen Orten ähnlich.“ Unter anderem gebe es die klare Empfehlung, die engste Bezugsperson zur Geburt zuzulassen. „Ich kenne auch keine Klinik mehr, in der das nicht mehr erlaubt ist.“
Jede Geburtsklinik macht es ein bisschen anders
Nach Recherchen bleibt trotzdem der Eindruck, dass jedes Krankenhaus es nach wie vor ein bisschen anders macht. Vor allem wenn es um die genaue Umsetzung geht, scheinen die Geburtskliniken grundsätzlich Spielraum zu haben.
Im Severinsklösterchen etwa darf der Partner die Frau von Anfang an beim Geburtsprozess begleiten, auch wenn sie vorher stationär aufgenommen wird. In vielen anderen Krankenhäusern etwa wird der Vater, wie im Fall der Familie Wenner, erst dann dazu gerufen, wenn die Frau unter der Geburt ist, also regelmäßige Wehen hat oder zu einem Kaiserschnitt in den OP kommt. So ist es auch in der Klinik, in der Viktoria Michno arbeitet. „Wäre der Partner während des gesamten stationären Aufenthalts dabei, was bei einer Geburtseinleitung auch über Tage dauern kann, würden sich zu viele Menschen auf der Station aufhalten“, erklärt sie. „Deswegen ist das nur möglich, wenn ein Familienzimmer in Anspruch genommen wird. Das war allerdings auch schon vor Corona so.“ In den meisten Kliniken werden Schwangere und oft auch die Partner zuvor übrigens auf Corona getestet.
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Unwägbarkeiten gibt es gerade viele für werdende Eltern. Denn mit den Corona-Zahlen könnten sich auch die Regelungen in den Kreißsälen wieder ändern. Das macht unsicher. „Ich merke schon, dass die Frauen mehr Zuwendung brauchen. Auch kurz vor der Entbindung haben sie viel mehr Fragen als sonst“, berichtet Assistenzärztin Michno.
Besuchsverbot auf den Geburtsstationen
Hilfetelefon „Schwierige Geburt“
Das Hilfetelefon ist eine Anlaufstelle, bei der insbesondere Mütter mit Fachberaterinnen ganz offen und anonym über ihre Geburtserfahrung sprechen können. Es ist ein Projekt der Bundeselterninitiative „Mother Hood e.V.“ in Kooperation mit der „International Society for Pre- and Perinatal Psychology and Medicine e.V.“ (ISPPM).
Ein Angstpunkt ist unter anderem, in welchem Umfang Masken getragen werden müssen. Auch das ist nicht überall gleich. „Die Frauen werden bei uns gebeten, nach Möglichkeit vor oder nach der Geburt eine Maske zu tragen. Während der Geburt müssen sie aber keine Maske aufsetzen“, sagt eine Sprecherin des Klinikums Holweide. „Unter Wehen kann einer Frau wirklich nicht zugemutet werden, eine Maske zu tragen, das ist völlig verständlich“, sagt auch Viktoria Michno. In ihrer Klinik müssten Patientinnen immer dann eine Maske aufhaben, wenn sie Kontakt mit dem Krankenhauspersonal haben. Aus anderen Kliniken berichten aber auch Frauen, dass sie immer eine Maske tragen mussten, sobald sie auch nur ihr Bett verlassen haben.
Ziemlich einheitlich ist dagegen das Besuchsverbot auf den Geburtsstationen. Glückliche Verwandte, die das Baby angucken wollen, müssen draußen bleiben. Zumindest der Partner aber darf in vielen Fällen Mutter und Kind im Wochenbett besuchen – zumindest für wenige Stunden pro Tag. Als Eva und Maximilian Wenner im Dezember ihren Linus bekamen, waren im Klinikum Holweide Besuche der Väter auf der Geburtsstation allerdings aufgrund der hohen Corona-Infektionszahlen gerade nicht erlaubt.
„Mein Mann durfte mich die Tage nach der Geburt nicht einmal auf Station besuchen“, erinnert sich Eva Wenner. Auch ihren Sohn, der im Perinatalzentrum im Inkubator lag, durften sie jeweils nur getrennt besuchen. „Wir haben uns abgewechselt.“ Bei all der Sorge um das Kind blieb den beiden wieder nur der Austausch über das Telefon. „Das war wirklich schwierig. Ich war noch total durcheinander von der Geburt, hatte Schmerzen und so viele Fragen“, erinnert sie sich. „Ich habe meinen Mann erst wieder gesehen, als ich entlassen wurde.“
„Wir wissen, dass das Besuchsverbot eine starke Einschränkung für die Familien darstellte“, sagt eine Sprecherin des Klinikums Holweide. „Trotzdem war es notwendig zum Schutz der Patienten und Mitarbeiterinnen vor dem Corona-Virus.“ Im Augenblick seien Besuche von Vätern wegen der sinkenden Infektionszahlen dort mit entsprechenden Hygienemaßnahmen wieder möglich.
Geschwister dürfen das Baby erst zuhause treffen
Wie sich die Regelungen der Krankenhäuser rund um Corona konkret auf die einzelnen Familien auswirken, das ist natürlich höchst individuell, so wie auch jede Geburt anders ist. Nicht immer läuft es so dramatisch wie bei Familie Wenner. Und doch ist der Unterschied zu Vor-Corona-Zeiten in jeder Familie irgendwie spürbar.
Auch Pia und Andreas Altefrohne aus Köln-Holweide haben mitten in der Pandemie ihre zweite Tochter bekommen. Die kleine Edda kam Mitte Oktober im Krankenhaus Porz zur Welt und hatte es so eilig, dass Vater Andreas, obwohl er hätte dabei sein dürfen, es auch hier nicht mehr rechtzeitig zum ersten Schrei in den Kreißsaal geschafft hat. Doch die Geburt war komplikationslos und die Eltern durften danach noch zwei Stunden in Ruhe mit Baby Edda kuscheln. Andreas Altefrohne konnte die beiden noch auf die Station bringen, bevor er das Krankenhaus wieder verlassen musste. Erst am nächsten Tag durfte er für eine Stunde wiederkommen.
Für die vierköpfige Familie lief vor allem die erste Familienzusammenführung anders als gedacht. Denn ihre zweijährige Tochter konnte die Baby-Schwester zunächst nur via FaceTime kennenlernen. „Hedi dachte die ganze Zeit, das Baby auf dem Bildschirm wäre ihr kleiner Cousin, sie hat das gar nicht wirklich verstanden“, erinnert sich Altefrohne. „Ich hätte mir schon gewünscht, dass sich die beiden schon im Krankenhaus kennenlernen und Hedi dann später zuhause nicht so überrumpelt wird mit der neuen Situation.“
Stressiger Lockdown-Alltag statt entspannte Babyzeit
Auf der anderen Seite habe es auch positive Seiten gehabt, in den ersten Tagen keinen Besuch zu bekommen, sagt Pia Altefrohne. „Die Ruhe hat wirklich gut getan. Nach der ersten Geburt damals fand ich es mühsam, dass die Besucher sich die Klinke in die Hand gegeben haben.“ Auch die erste Zeit mit Baby zuhause sei entspannt gewesen. Zumindest bis zum Lockdown Ende des Jahres. Seitdem ist sie nämlich viel mit beiden kleinen Kindern alleine zuhause. „Das ist nicht nur ganz schön anstrengend“, sagt die Mutter, „ich finde es auch unglaublich schade, dass ich so wenig Zeit mit dem Baby alleine habe.“ Nur den Online-Rückbildungskurs kann die Mutter gerade noch so in den vollen Alltag quetschen.
Schon zu Beginn der Schwangerschaft im Frühjahr war das so ähnlich gewesen. Pia Altefrohne litt unter der klassischen Morgenübelkeit, während sie und ihr Mann ihre kleine Tochter wegen der Kita-Schließungen zuhause betreuen und zwei Fulltime-Jobs um sie herum organisieren mussten. Da habe es weder Zeit noch Gelegenheit gegeben, Kurse zu machen oder gar andere Schwangere zu treffen. „Es hat mir schon gefehlt, mich mit Frauen, die in der gleichen Situation sind, über die Wehwehchen aber auch die Vorfreude auszutauschen.“
Als Vater kein einziges Mal mit zur Vorsorgeuntersuchung
Andreas Altefrohne wiederum konnte wegen der Corona-Regeln kein einziges Mal bei der Vorsorgeuntersuchung dabei sein. „Am Anfang war es nicht erlaubt. Dann hätte er als Vater mit gedurft, aber unsere große Tochter nicht. Und die konnte in der Zeit ja niemand anderes betreuen.“
Maximilian Wenner hatte dagegen Glück und durfte bei allen Untersuchungen in der Praxis mit dabei sein. Auch ihnen als Erstlingseltern hätten aber die Möglichkeiten gefehlt, sich mit anderen werdenden Eltern zu treffen. „Der Geburtsvorbereitungskurs hat zwar online stattgefunden, doch das ist einfach so viel unpersönlicher, als wenn man direkt mit den Leuten in einem Raum sitzt und sich persönlich austauschen kann“, sagt Eva Wenner. Da Linus sich so früh auf den Weg machte, konnten sie den Kurs dann nicht einmal abschließen.
Kaum Möglichkeit, das Babyglück zu teilen
Doch auch für die drei Wenners ist schließlich alles gut ausgegangen. Anfang Januar durfte Linus endlich zu seinen Eltern nach Hause kommen, weil er sich sehr gut entwickelt hatte. Und Eva Wenner war von Herzen froh, ihn endlich richtig knuddeln zu können. „Da wir bei allen Besuchen auf der Frühchen-Station immer eine Maske tragen mussten, konnte ich ihm zuhause endlich einen richtigen Kuss ohne Maske geben – einen Monat nach der Geburt.“ Jetzt freut sich die kleine Familie jeden Tag, dass alles gut gegangen ist.
Nur mit Besuchen sind sie weiterhin vorsichtig. „Meine Eltern waren vor kurzem nach einem negativen Corona-Test einmal hier und haben den Kleinen gesehen“, erzählt Eva Wenner. „Ich finde es schon ziemlich schade, dass man den neuen Alltag mit dem Baby so wenig zeigen und teilen kann.“
Das findet auch Pia Altefrohne. „Ich habe den Eindruck, die Welt da draußen verpasst, wie sich mein Kind entwickelt.“ Ihre Eltern sähen die Kleine nur selten und wunderten sich immer, was Edda plötzlich Neues könne. „Viele haben bis heute das Baby noch nicht gesehen. Ich habe sogar Freunde, die haben mich das letzte Mal getroffen, da war ich noch nicht einmal schwanger. Das ist schon verrückt!“