Eltern-Kind-Telefonate„Du warst kein einfaches Kind, Sebastian“
Wann haben Sie das letzte Mal mit Ihren erwachsenen Kindern telefoniert – beziehungsweise Ihre Eltern angerufen? Und wie oft haben Sie im Gespräch dabei leise den Kopf geschüttelt? Sebastian Lehmann tut das quasi ununterbrochen, wenn er seine Eltern an der Strippe hat, seit er vor rund 20 Jahren von seiner Heimatstadt Freiburg nach Berlin gezogen ist. Es kommt zu, sagen wir mal, leicht skurrilen Unterhaltungen voller absurder Ratschläge, sanfter Beleidigungen und sorgenvoller Affronts. Waren die Eltern immer schon so seltsam? Und warum macht der Sohn eigentlich so komische Sachen?
Weil er sich jedes Mal so wunderte, wie schräg diese Telefongespräche verliefen, begann Sebastian Lehmann sie zu dokumentieren. Eine Sammlung der echten Eltern-Kind-Telefonate kann man nun im Buch „Ich hab’s dir doch gleich gesagt, Sebastian!“ nachlesen. Natürlich habe er vorher seine Eltern um Erlaubnis gefragt, erzählt er, und sie hätten zugestimmt und selbstverständlich einige Anmerkungen dazu gehabt, welche Wahrheiten der liebe Sohn unterbringen dürfe und ausdrücklich solle: „Ich bitte dich, Sebastian“, zitiert er sie, „höre wenigstens dieses eine Mal auf deine armen, alten Eltern!“
Lustig erzählte Generationenkonflikte
Die Komik der Gespräche rührt natürlich daher, dass der in der Hauptstadt wohnende Sohn mit kreativem Beruf ein total anderes Leben führt als die älteren Eltern im beschaulichen Freiburg. Neben dem üblichen Generationenkonflikt kommen hier auch noch der Crash der Lebensstile, das Stadt-Land-Gefälle und die Mentalitätsunterschiede dazu – das hat komödiantische Sprengkraft.
Trotzdem lässt sich so vieles aus den Beispielen auch auf andere Familien übertragen. Auf Eltern, die sich vielleicht wundern, welchen Weg ihre Söhne oder Töchter nach dem Auszug einschlagen haben – was sie lieben, anstreben, tun und lassen. Plötzlich erzählt das Kind von Dingen, die wie vom anderen Stern klingen. Und auf Kinder, die Mutter oder Vater und deren Ansichten und Erwartungen auf einmal sonderbar, verstaubt oder kleinlich finden – als würden die gefühlt noch im Mittelalter leben. Gerade, wenn man sich selten sieht, kann die Irritation groß sein.
„Das Kind seiner Eltern bleibt man eben sein ganzes Leben lang“
In den Telefonaten schwingt trotz der Neckereien aber auch jene subtile Zuneigung mit, die Eltern und Kinder eben mehr oder weniger füreinander haben, wenn sie getrennte und doch verbundene Leben führen. „Das Kind seiner Eltern bleibt man eben sein ganzes Leben lang“, formuliert es Sebastian Lehmann, „und das ist auch gut so.“
Wir dürfen ein Eltern-Sohn-Telefonat aus dem Buch abdrucken:
Wahnsinnig interessant
Meine Mutter ruft aus meiner Heimatstadt Freiburg an. „Dein Vater und ich haben vorhin Frau Schmidt von gegenüber getroffen“, sagt sie. „Die Schmidts sind wirklich eine sehr nette Familie. Der Sohn ist während der schlimmen Lockdowns in der Corona-Zeit sogar für uns einkaufen gegangen.“ „Das ist aber nett.“ „Gleich am Anfang hat er uns zehn Kästen Rothaus gebracht“, ruft mein Vater von hinten. „Ihr habt Rothaus gehamstert? Was ist mit Schwarzwälder Schinken?“ „Haben wir sowieso grundsätzlich zwanzig Kilo in der Tiefkühltruhe.“ „Ich bin beeindruckt, liebe Eltern. Kaum jemand kam so gut mit dem Ausnahmezustand zurecht wie ihr.“ „Ach, Ausnahmezustand kannten wir ja auch noch von damals“, sagt meine Mutter. „Na ja, so alt seid ihr ja auch wieder nicht.“ „Mit dir als Kind war früher immer Ausnahmezustand.“ „Was soll das denn heißen?“ „Du warst kein einfaches Kind, Sebastian. Ständig war was los. Weißt du noch, als du deine Blockflöte verschluckt hast?“ „Wie soll denn das gehen, Mama?“ „Ein Ausnahme-Kind eben. Einmal hast du beim Fußball mit so viel Schwung neben den Ball getreten, dass du dir die Hüfte gebrochen hast.“ Meine Mutter stöhnt theatralisch auf.
„Jedenfalls hat Frau Schmidt erzählt, dass ihr Sohn sein Medizinstudium erfolgreich abgeschlossen hat und Hirnchirurg an der Uniklinik in Freiburg wird. Sehr gut bezahlt ist das.“ „Das ist ja alles wahnsinnig interessant“, sage ich. „Ja, fand ich auch. Aber dann hat Frau Schmidt leider gefragt, was du beruflich machst.“ „Und was hast du geantwortet?“ „Ich habe gesagt, dass du Lehrer bist.“ „Ich war ja eher für Rechtsanwalt“, ruft mein Vater. „Du hast Frau Schmidt angelogen, Mama? Warum denn das? Ist dir mein Beruf peinlich?“ „Was für ein Beruf denn, Sebastian?“ „Ich bin freischaffender Schriftsteller“, sage ich empört. „Ich schreibe Bücher und humorvolle Kurzgeschichten für die Bühne und das Radio. Das kannst du doch Frau Schmidt einfach sagen.“ „Das versteht die doch nicht. Die denkt doch dann, dass du arbeitslos bist.“ „Warum soll die denn das denken?“ „Denken wir ja auch“, ruft mein Vater. „Lehrer ist also okay, aber Schriftsteller nicht, oder was?“ „Für ein Jurastudium ist es noch nicht zu spät, Sebastian!“, wirft mein Vater ein.
„Welche Fächer unterrichte ich denn?“, frage ich dann. „Mathe und Physik“, sagt meine Mutter. „Und natürlich an einem Gymnasium.“ „Na, immerhin ...“ „Und dann hat Frau Schmidt gefragt, ob du ihrem Enkel vielleicht Nachhilfe in Mathe geben könntest. Deswegen rufe ich an.“ „Mama, meine beste Note in Mathe war eine Fünf plus. Ich kann dem Kind keine Nachhilfe geben.“ „Der ist in der zweiten Klasse. Die machen gerade Plusrechnen ...“ „Als Gymnasiallehrer ist das aber unter meiner Würde!“ „Außerdem gibt es zwanzig Euro die Stunde ...“ „Na gut“, sage ich. „Ich bring meinen Taschenrechner mit.“